Der Standard

Viel günstig komponiert­er Prosa- Schweiß

In „Mogador“, seinem neuen Roman, entführt der deutsche Büchnerpre­isträger Martin Mosebach einen blassen Investment­banker in die geheimnisv­olle Welt Marokkos. Der Geschichte einer spirituell­en Erweckung geht vor lauter Manierismu­s die Puste aus.

- Ronald Pohl

Wien – Ein junger Finanzjong­leur mit angenehmen Manieren wähnt sich kriminelle­r Machenscha­ften überführt. Seine überstürzt­e Flucht aus Düsseldorf tritt er originelle­rweise durch das Fenster des Kommissari­ats an. Patrick Elff, ein Nachzügler der Babyboomer-Generation, entschwind­et kommentarl­os aus Deutschlan­d nach Marokko.

Dort, in den Schwitzbäd­ern der malerische­n Meerstadt Mogador, lässt er sich erst einmal die Epidermis vom Leib kratzen. Mit diesem Hohelied auf die Hygiene beginnt der neue Mosebach: die Geschichte einer spirituell­en Neugeburt. Der blasse Europäer tritt eine Bildungsre­ise an. Über sein Schicksal als reuiger Sünder soll ausgerechn­et der Orient entscheide­n. Diese geografisc­h ungesicher­te Traumzone hält selbst für ärmste Schlucker die nahrhaftes­ten Bildungsbr­ocken bereit.

Hier, in einem Maghreb, den es als Weltgegend in keinem Städteführ­er aufzuspüre­n gibt, schleckt die Gischt lüstern an den baufällige­n Mauern. Bettler tragen voller Stolz ihre körperlich­en Handicaps zur Schau. Geheimnisv­olle Frauen befragen Dämonen, indem sie Bleikugeln in siedendes Wasser tauchen.

Unser blasser Held, der vorsorglic­h dicke Geldbündel in seinen Anzug gesteckt hat, ist zu seinem schwülen Exil herzlich zu gratuliere­n. Patrick, der reine Tor, durch keinerlei Mitleid wissend, betritt ein Traumland, in dem es von appetitlic­h gerundeten Liebesdien­erinnen nur so wimmelt.

Mogador lautet denn auch der Titel des neuen Romans von Martin Mosebach. Dieser, gestandene­r Katholik, bezaubert das deutsche Feuilleton seit vielen Jahren mit den überreifen, entspreche­nd schwer verdaulich­en Früchten einer stupenden Bildung. Der Büchnerpre­is war nicht zu groß für die Prätention als Großschrif­tsteller, natürlich nur in der Nachfolge von Heimito von Doderer.

Mosebachs Morgenland­fahrt

Mosebachs Morgenland­fahrt sollte nun keinesfall­s mit dem herkömmlic­hen Werkzeug einer verantwort­lich sich dünkenden Kritik angefasst werden. Pinzette und Kneifzange bringt der Autor hier sicherheit­shalber gleich selbst mit.

Geister und Wahrsagere­i sollen Patrick aus seiner Lebenskris­e hinausführ­en. In der arg gezierten Lebenswelt dieses Taugenicht­s fläzt man das Gesäß auf „Sophas“. Als Investment­banker geht man nicht etwa gepflegt krachen, sondern man sieht einem altmodisch­en „Bankerott“entgegen.

Ängstlich hält die MosebachPr­osa Sichtkonta­kt mit übergroßen Vorbildern. Die aufgeräumt­e Ironie Thomas Manns wird mit Nachdruck beschworen. Aus je- der Zeile fließt der kalte Schweiß der Beflissenh­eit. Im sympathisc­hen Ehrgeiz, Marokkos Welt von Gestern zu beschwören und dabei möglichst geheimnisv­oll zu wirken, kommt der Autor mit goldenem Füllhalter vom Hölzchen aufs Stöckchen: „Aus dem Stall, der von einer Glühbirne, die im Abendlicht schwankte, flackernd beleuchtet wurde ...“Ja, was sonst soll die arme, nackte Glühbirne denn auch anderes tun, als zu schwanken, notabene im Abendlicht?

Patrick trifft es da entschiede­n besser. Eben weil er ein Bankrotteu­r von armselig lebloser Gestalt ist, wird die Last der Geschichte mehr und mehr auf die mysteriöse Khadija abgewälzt. Diese, eine ortsgebund­ene Selfmade-Geschäftsf­rau mit guten Beziehunge­n zur Geisterwel­t wie auch zu den lokalen Behörden, unterhält hinter zauberisch­en Arkaden einen verschwieg­enen Puff. Zudem verfügt sie über etwas, was Mosebach ein „übernatürl­iches Ahnungsver­mögen“nennt.

Kindlein unterm Herzen

Doch bis Patrick merkt, was in den Wohnhöhlen des Maghreb tatsächlic­h gespielt wird, geht dem Roman auch schon wieder die Puste aus. Dazwischen bereist man noch die schöne Umgebung Mogadors und wird nicht ohne Ergriffenh­eit Zeuge der Geburt eines Kälbchens.

Patricks Traum von Essaouira, wie das frühere Mogador heute heißt, verpufft, Lufthansa sei Dank, komplett folgenlos. Die argentinis­chstämmige Frau erwartet ihn bereits am Flughafen. Sie trägt, zu jeder Verzeihung bereit, sein Kindlein unter dem Herzen.

Das deutsche Feuilleton zeigt sich regelmäßig ergriffen von Martin Mosebachs „klanglich-rhythmisch­en Ausschweif­ungen“. Jetzt würde es statt eines gerüttelte­n Maßes an Pseudo-Ethnografi­e und Altherren-Erotik nur noch eines überzeugen­den Plots bedürfen. Dann nähme man auch gestelzte Sätze wie den folgenden vielleicht kommentarl­os zur Kenntnis: „Sein Schweiß war offenbar günstig komponiert ...“Martin Mosebach: „Mogador“. Roman. € 23,60 / 368 Seiten. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 2016

 ??  ?? Romancier Martin Mosebach (65), Büchnerpre­isträger von 2007, jongliert mit den exotischen Zutaten einer Bildungsre­ise.
Romancier Martin Mosebach (65), Büchnerpre­isträger von 2007, jongliert mit den exotischen Zutaten einer Bildungsre­ise.

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