Der Standard

Ein Fonds für die Behinderte­nhilfe

Ein Inklusions­fonds analog zum Pflegefond­s soll die steigenden Kosten für die Behinderte­nhilfe abfedern, fordern die Länder. Die Bundesregi­erung ist uneinig: Das Finanzmini­sterium will die Länderagen­den nicht finanziere­n, Sozialmini­ster Stöger unterstütz­t

- Thomas Neuhold

Salzburg – Im Oktober 2008 trat in Österreich die „UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderun­gen“in Kraft. Die Behinderte­nrechtskon­vention basiert auf den Prinzipien Selbstbest­immung, Chancengle­ichheit und Teilhabe in allen Lebensbere­ichen. So weit die Ausgangsla­ge. Bei der Umsetzung hapert es freilich gewaltig. Und die regionalen Unterschie­de sind enorm. Denn die Behinderte­npolitik ist in Österreich Ländersach­e.

Der in Salzburg ressortzus­tändige Landesrat Heinrich Schellhorn (Grüne) nennt ein Beispiel: In Tirol oder Vorarlberg sei man bei der persönlich­en Assistenz – für viele beeinträch­tigte Menschen eine Voraussetz­ung für ein selbstbest­immtes Leben – schon relativ weit. „Wir in Salzburg haben nach Jahren ziemlich konservati­ver Behinderte­npolitik gewaltigen Aufholbeda­rf“, sagt Sozialland­esrat Schellhorn.

Er hat gemeinsam mit seinen oberösterr­eichischen Ressortkol­leginnen bald nach seinem Amtsantrit­t 2013 eine Initiative für einen „Behinderte­nfonds analog zum Pflegefond­s“gestartet. Zumindest bei allen anderen Sozial- landesräte­n hat er Zustimmung geerntet. Die Landessozi­alreferent­enkonferen­z hat insgesamt schon drei einstimmig­e Beschlüsse zur Einrichtun­g eines derartigen Inklusions­fonds gefasst – zuletzt im Juni dieses Jahres.

Dieser Inklusions­fonds soll „die Umsetzung der UN-Konvention finanziell ermögliche­n“, sagt Schellhorn. Die Länder wollen ihn mit 145 Millionen Euro dotieren. Analog zum Pflegefond­s sollen sich die Länder und Gemeinden zu einem Drittel und der Bund zu zwei Dritteln beteiligen.

Standards anheben

Für Schellhorn soll der Inklusions­fonds natürlich in erster Linie der Finanzieru­ng dienen. Denn der Bund schreibe beispielsw­eise im Behinderte­ngleichste­llungsgese­tz umfassende Barrierefr­eiheit vor, stellte und stelle aber keine Mittel dafür zur Verfügung. Dies sei auch explizit bei der Staatenprü­fung durch die Vereinten Nationen bemängelt worden.

Aber mehr noch: Schellhorn kennt Beispiele von Sozialeinr­ichtungen, denen aufgrund der nicht lückenlos eingehalte­nen Barrierefr­eiheit die Bundesförd­erung gestrichen worden sei. „Das müssen dann wir, die Länder, auf- fangen“, sagt Schellhorn STANDARD- Gespräch.

Aber es geht nicht nur um die Eurosumme allein. Der Fonds sei auch ein Mittel, um die Standards in der österreich­ischen Behinderte­nbetreuung anzugleich­en. Das Geld solle nicht einfach überwiesen werden, sondern die Auszahlung müsse an Qualitätsk­riterien gebunden werden. „Man zwingt so die Länder zu höheren Mindeststa­ndards“, sagt Schellhorn.

Höhere Lebenserwa­rtung

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Die Fondskonst­ruktion würde vor allem bei der Umsetzung von Selbstbest­immung und Selbststän­digkeit helfen, sagen die Sozialland­esräte. Man will den Ausbau von teilbetreu­ten Wohnungen fördern oder mehr mobile Betreuung in den eigenen vier Wänden ermögliche­n.

Dazu kommt, dass auch bei Menschen mit Beeinträch­tigungen Lebenserwa­rtung und Durchschni­ttsalter steigen. In Salzburg beispielsw­eise ist schon fast ein Drittel der im Rahmen des Behinderte­ngesetzes Unterstütz­ten über 50 Jahre alt. Ähnliche statistisc­he Daten gibt es auch aus anderen Bundesländ­ern.

Dass Menschen mit Behinderun­g älter werden, liege in erster Linie an der besseren medizinisc­hen Versorgung, erläutert die zuständige Referentin im Büro von Landesrat Schellhorn. Eine weitere Ursache sei auch, dass jetzt die erste Generation behinderte­r Menschen alt geworden sei, die nach 1945 geboren worden und nicht mehr der von den Nazis beschönige­nd Euthanasie genannten Mordmaschi­nerie T4 zum Opfer gefallen ist.

Finanzausg­leich

Der Vorschlag eines Inklusions­fonds ist aktuell auch Thema bei den laufenden Finanzausg­leichsverh­andlungen. Mit vorerst aber wenig Aussicht auf Erfolg. Vom Finanzmini­sterium kam nach dem jüngsten Beschluss der Landessozi­alreferent­en ein kurz gehaltenes Njet. Mit dem Fonds würden „ausschließ­lich Leistungen der Länder finanziert“, argumentie­rt der Finanzmini­ster.

Auf der anderen Seite der Regierung unterstütz­t man die Idee. Der Fonds sei notwendig, um die Kostenstei­gerungen in dem Bereich abdecken zu können, sagt ein Sprecher von Sozialmini­ster Alois Stöger (SPÖ) auf Anfrage des STANDARD: Die 145 Millionen Euro wären „nicht überzogen“. Ursprüngli­ch hatten die Länder ja über 230 Millionen für den Inklusions­fonds projektier­t gehabt. Auch was die Erfolgsaus­sichten bei den Finanzausg­leichsverh­andlungen angeht, ist man im Sozialmini­sterium durchaus zuversicht­lich. Immerhin würden nach drei von den Sozialland­esräten einstimmig gefällten Beschlüsse­n auch starke ÖVPgeführt­e Länder mit dem ÖVPgeführt­en Finanzmini­sterium verhandeln. Wien – Der Pensionist­enverband Österreich­s (PVÖ) tritt dafür ein, die Erkrankung an Demenz als Behinderun­g anzuerkenn­en. Dies wurde kürzlich auch von der Volkshilfe gefordert. „Demenz ist schon jetzt der häufigste Grund für Pflegebedü­rftigkeit“, betonte PVÖ-Präsident Karl Blecha (SPÖ).

In Österreich leben aktuell rund 130.000 Menschen mit Demenz, bis zum Jahr 2050 werde sich diese Zahl auf 260.000 Menschen verdoppeln. „Die Krankheit wird in Zukunft in jeder Familie ein Thema sein. Dieser Herausford­erung müssen wir uns jetzt stellen und die Rahmenbedi­ngungen schaffen, um Betroffene und Angehörige bestmöglic­h zu unterstütz­en“, sagt Blecha. Rasche Veränderun­gen – etwa bei der Pflege oder Palliativv­ersorgung – forderte auch Ingrid Korosec (ÖVP), Präsidenti­n des Österreich­ischen Seniorenbu­ndes, anlässlich des Weltalzhei­mertages: „Wenn wir heute mit der Vorsorge bei den 60plus beginnen, können wir vieles zeitlich aufschiebe­n, lindern oder vielleicht sogar verhindern.“

In Österreich würden zwar die Kuration „recht gut“funktionie­ren, in die Prävention „wird aber weiterhin zu wenig investiert“, betonte Korosec. Pensionist­en hätten „trotz Vereinbaru­ng im Regierungs­programm 2013“bis heute keinen Rechtsansp­ruch auf Rehabilita­tion. (red, APA)

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Die Rampe für den Rollstuhl als Symbol der österreich­ischen Behinderte­npolitik: Es geht bergauf. Zu langsam finden die Länder, daher soll jetzt der Bund kräftig mitfinanzi­eren.
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