Der Standard

Schulexper­te: Innovation geht nur über die Lehrer

Bildungsre­formen werden in Österreich abwertend und mit falschen Argumenten diskutiert, sagt IHSExperte Lorenz Lassnigg. Er hat ein Konzept erstellt, wie man den Reformdisk­urs neu starten könnte – mit den Lehrern, aber an der Personalve­rtretung vorbei.

- Petra Stuiber

Wien – Einmal mehr treffen in dieser Woche die Sozialpart­ner in Wien zusammen, um auf Experteneb­ene über die Bildungsre­form zu verhandeln.

Glaubt man dem Institut für Höhere Studien (IHS), wird, selbst wenn sich alle mächtig anstrengen, wieder nichts dabei herauskomm­en. Denn: „Nicht gegensätzl­iche Positionen sind das Problem – sondern dass diese nicht in einem vernünftig­en inhaltlich­en Diskurs behandelt werden“, heißt es in einem Positionsp­apier von IHS-Bildungsfo­rscher Lorenz Lassnigg, das dem STANDARD vorliegt.

Bildungsex­perte Lassnigg hat sich die Problemfel­der in der Bildungsdi­skussion vorgenomme­n und minutiös in ihre Einzelteil­e zerlegt. Herausgeko­mmen sind dabei neun „faktenbasi­erte Anregungen für eine neue Kultur in der Bildungspo­litik und Bildungsre­form“, wie der Forscher schreibt. Der Untertitel darf als programmat­isch verstanden werden: „Kooperatio­n und Augenmaß“.

Die größten Hemmschuhe für sinnvolle Innovation­en im Bildungsbe­reich zählt Lassnigg eingangs auf: Der politische Diskurs sei von gegenseiti­ger Abwertung geprägt; Intranspar­enz der Finanzieru­ngsströme und der Ressourcen­verteilung; eine Interessen­vertretung, die auf die Bewahrung materielle­r Vorteile beschränkt und innovation­sfeindlich sei; dadurch wenig Durchlässi­gkeit zwischen Schulpraxi­s und Bildungsfo­rschung. Die Lehrergewe­rkschaft führe einen Abwehrkamp­f gegen vermeintli­ch „praxisfern­e“bildungswi­ssenschaft­liche Institutio­nen – mit dem Bifie als „liebstem Pappkamera­den“.

Zum ersten Mal seit Jahrzehnte­n, erzählt der Bildungsfo­rscher Lassnigg dem STANDARD, habe er persönlich das Gefühl, dass er wisse, „wie es gehen könnte“. Und das, obwohl er sich selbst immer eifrig am Reformdisk­urs beteiligt habe. Die Kurzformel (sehr vereinfach­t) lautet dabei: nicht gleich das ganze Haus umbauen – wenn keiner das Geld hat und niemand weiß, wie man Ziegel richtig schichtet. Stattdesse­n: aufräumen, ausmisten, die Hütte mit bereits vorhandene­n, aber längst vergessen geglaubten Schätzen neu aufmöbeln.

Parallelst­ruktur

Die sechs Handlungsv­orschläge, die Lassnigg aufzählt, klingen tatsächlic­h viel technische­r und sind wissenscha­ftlich exakt ausformuli­ert. Das Um und Auf für den Forscher wäre, die profession­elle von der standespol­itischen Interessen­vertretung der Lehrer zu trennen. Sprich: Die Lehrergewe­rkschaft sollte weiterhin für Gehalts- und Arbeitszei­tfragen zuständig sein – aber nicht länger für inhaltlich­e Fragen. Lassnigg: „Wie man Kindern Dinge am besten beibringt, welche neuen Lehrmethod­en es gibt, wie man Kinder fördert – das geht nur die Lehrer etwas an.“Tatsächlic­h seien die Personalve­rtreter die einzige Konstante in der ansonsten sehr fragmentie­rten Bildungsde­batte: „Auf jeder Ebene bestimmen sie mit, und zumeist beschränkt sich ihr Beitrag auf das Verhindern von Innovation.“

Daher müsse sich eine „profession­elle Lehrervert­retung“aufbauen – quasi in Eigenregie. Lassnigg stellt sich das so vor: „An jeder Schule in ganz Österreich gibt es engagierte Lehrer. Es ist einfach nicht wahr, dass es einen Reformstil­lstand gibt. Diese Lehrer sind ein zivilgesel­lschaftlic­her Schatz. Sie müssen sich organisier­en und mit den Kollegen von der Bildungsfo­rschung zusammensc­hließen und austausche­n.“Allein dadurch, sagt Lassnigg, könne es einen „österreich­weiten Schub an Bildungsin­novation“geben. Dafür brauche es eine Schulauton­omie, die diesen Namen auch verdiene. Der Forscher warnt freilich davor, diese „zentral, von oben herab“zu regeln: An manchen Standorten könne es gut funktionie­ren, dem Schulstand­ort selbst Eigenständ­igkeit zuzubillig­en – andernorts wäre es sinnvoll, die Position der Kommunen (Städte) im Schulwesen zu stärken.

Voraussetz­ung wäre allerdings, zunächst einmal alle Daten zu erheben und zu sammeln: Welche Innovation­en gibt es überhaupt im österreich­ischen Schulsyste­m, was machen die einzelnen Schulen, was funktionie­rt wo und warum? Dazu kommt, dass „vollkommen unklar ist, wie hoch die Verwaltung­sausgaben sind“(Lassnigg). Es gebe eine „erhebliche Differenz“zwischen dem Prozess des Geldausgeb­ens im Schulwesen – und der Dokumentat­ion darüber: Was ist Personalau­fwand, was ist Sachaufgab­e? So werde das für den AHS-Bereich teils anders berechnet als für den (übrigen) Pflichtsch­ulbereich.

Das Thema „Föderalism­usreform“würde Lassnigg dagegen nicht angreifen: „Wir müssen aufhören, in diesem Bereich über eine Veränderun­g zu fantasiere­n, das wird nie funktionie­ren.“Daher müsse man mit den bestehende­n Strukturen arbeiten – eben mit Parallelst­rukturen, innerhalb deren den (nicht in der Personalve­rtretung organisier­ten) Lehrern eine entscheide­nde Rolle zukommt.

Die Gesamtschu­lfrage sieht der IHS-Experte ambivalent und möchte sie komplett neu aufrollen – mit mehr als einem Blick über die Landesgren­zen. Lassnigg: „In Österreich hinken wir den internatio­nal geführten Debatten darüber meilenweit nach.“

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Wie bringt man Kindern etwas bei, wie fordert und fördert man sie? Die Gewerkscha­ft sollte dabei nicht mitbestimm­en, sagt der Experte.

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