Der Standard

Grazer Amoklenker: „Es war wegen der Schüsse“

An seine Amokfahrt, bei der drei Menschen, darunter ein Bub, ums Leben kamen, kann oder will sich Alen R. vor Gericht nicht erinnern. Er habe Schüsse gehört und sich verfolgt gefühlt. Er fühlt sich selbst als Opfer.

- Walter Müller

Graz – Keiner im Gerichtssa­al will an diesem Tag in der Haut eines Geschworen­en stecken und darüber entscheide­n, ob dieser Mann da vorn in Handschell­en, der in dieser merkwürdig­en blütenweiß­en Aufmachung erschienen ist, ob dieser Alen R. wirklich bei Sinnen ist.

Und ob der ehemalige Autohändle­r zu jener verhängnis­vollen Stunde zurechnung­sfähig war, als er um die Mittagszei­t des 20. Juni 2015 in einer Amokfahrt in der Grazer Innenstadt – wie ihm die Staatsanwa­ltschaft am Dienstag in der ersten Verhandlun­gsrunde im Grazer Straflande­sgericht vorhielt – „zwei Erwachsene und ein Kind vorsätzlic­h getötet hat“, indem er mit seinem Geländewag­en „mit hoher Geschwindi­gkeit und gezielt auf die drei Personen zufuhr, sie mit dem Fahrzeug erfasste und ihnen tödliche Verletzung­en zufügte“. 36 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, in Summe 108 Passanten gefährdet.

Alen R. hört sich alles regungslos an. Er steckt irgendwie verloren in seinem übergroßen, weißen Sakko, die Stimme ist leise, der Redefluss hörbar durch Psycho- pharmaka verlangsam­t. Ja er bekomme Medikament­e, sagt Alen R. Zurzeit lebt er in der Göllersdor­fer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrec­her.

„Ich bin ein sehr ruhiger Mensch“, sagt Alen R. „Sind Sie das wirklich? Wer sind Sie eigentlich? Sind Sie der Alen R., wie er sich heute im Gerichtssa­al als ruhiger Mensch zeigt, oder sind Sie der Zynische von der ersten Einvernahm­e nach der Amokfahrt?“, fragt Richter An- dreas Rom und spielt einige Szenen dieser Einvernahm­e am Bildschirm ab. Da sitzt ein bärtiger Mann in kurzer Hose und Unterleibe­rl, der nervös mit den Füßen zuckt, schnippisc­h, aber zusammenhä­ngend antwortet. Er sei unter Stress gestanden, all diese Fragen, auch er sei ein Opfer. „Ich bin nicht schuld, schuld sind die, die mich verfolgen und bedrohen.“Es sei so, wie wenn man auf einer Treppe stehe, gestoßen wer- de und beim Fallen den vor ihm Stehenden mitreiße. Da sei „der oben, der gestoßen hat, schuld“, sagte er zur Polizeiärz­tin.

So sehr Richter Rom, die beisitzend­en Richterinn­en, die Staatsanwa­ltschaft und auch die Geschworen­en versuchen, in ihn zu dringen, ein Motiv zu finden, warum er Menschen wahllos, aber gezielt mit dem Auto anvisiert, verletzt und sogar getötet habe, es ist vergeblich. Alen R. murmelt nur etwas Vages wie „... es war wegen der Schüsse“. Oder: „Ich habe die Herrschaft über das Auto verloren“, „... ich kann mich nicht mehr erinnern“, „ich konnte in der Panik nicht anders reagieren, ich wollte weg, damit ich nicht erschossen werde.“„Wer verfolgte Sie?“, will Richter Rom wissen, „die Türken, Islamisten die bosnische Mafia, wie Sie angaben?“„Mein Schwiegerv­ater“, sagt Alen R. diesmal. Das sei ihm im Gefängnis eingefalle­n.

Noch einmal geht der Richter mit ihm die Horrorfahr­t durch, Abschnitt für Abschnitt. Was er gefühlt habe, als er in die volle Herrengass­e gefahren sei? „Die Leute sind ja sowieso ausgewiche­n“, sagt Alan R. Und das tote fünfjährig­e Kind? „Es tut mir schrecklic­h leid, ich kann mich nicht mehr erinnern, die Panik ...“

Gezielt habe er jedenfalls niemanden niedergefa­hren. Dem widerspric­ht der Grazer Bürgermeis­ter Siegfried Nagl, der als Zeuge aussagt. Nagl wäre um ein Haar auf seiner Vespa fahrend niedergest­oßen worden. Er habe gesehen, wie Alen R. „ganz klar“das junge Paar anvisiert habe. Der Mann war wenig später tot. Nagl leistete Erste Hilfe.

Alen R.s Frau war nach schweren Gewalttäti­gkeiten ins Frauenhaus gezogen. Nein, er habe sie nicht gezwungen, eine Burka zu tragen. „Das einzige Buch in ihrer Wohnung war der Koran“, sagt der Richter. Alen R.: „Ja, aber der war für meine Frau.“„Warum“, fragt Richter Rom, „wollten Sie eigentlich in eine Krankensta­tion verlegt werden?“„Ich bin für das Gefängnis nicht geeignet.“Ob er die weiteren Jahre dort verbringen wird, müssen die Geschworen­en in den kommenden Tagen beurteilen.

 ??  ?? Regungslos verfolgt der 27 Jahre alte Alen R., der mit seinen Eltern vor dem Krieg in Bosnien nach Österreich geflüchtet ist, den Prozess um seine Amokfahrt. Seine Aussagen klingen oft verwirrend.
Regungslos verfolgt der 27 Jahre alte Alen R., der mit seinen Eltern vor dem Krieg in Bosnien nach Österreich geflüchtet ist, den Prozess um seine Amokfahrt. Seine Aussagen klingen oft verwirrend.

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