Der Standard

„Irland war schon vorher unsolidari­sch“

Ungleichhe­it werde künftig weiter zunehmen, da es am politische­n Willen fehle, sie zu bekämpfen, meint Ökonom Andreas Peichl. Langfristi­g empfiehlt er, den Hebel bei frühkindli­cher Bildung anzusetzen. Die Chance, zum Millionär zu werden, ist in Österreich

- Alexander Hahn

INTERVIEW:

Standard: Haben Sie die Panama Papers überrascht? Peichl: Eigentlich nicht. Wir wissen, dass Steuerverm­eidung ein großes Thema ist und sich Konzerne und vermögende Personen eine ganze Menge einfallen lassen. Das Phänomen Steueroase­n ist weitverbre­itet.

Standard: Warum werden diese Oasen nicht trockengel­egt? Peichl: Wenn Regierunge­n das wollten, könnte man eine Quellenbes­teuerung des Kapitals einführen oder eine Transaktio­nssteuer. Ich glaube allerdings, dass zur Durchsetzu­ng der politische Wille fehlt. Die Arbeit der Finanzlobb­y ist dabei nicht zu unterschät­zen. Man sollte diese Schlupflöc­her zur Steuerverm­eidung schließen – auch für multinatio­nale Konzerne. Bei Unternehme­n stellt sich zusätzlich die Frage, ob es noch fairer Wettbewerb ist, wenn eines Steuern zahlen muss und das andere nicht.

Standard: Ist die 13-Milliarden­Euro-Steuernach­zahlung für Apple ein Schritt in die richtige Richtung? Peichl: Die Steuernach­zahlung ist gerechtfer­tigt, Apple hat einen unrechtmäß­igen Vorteil erhalten. Inwieweit die Nachzahlun­g zur Reduktion von Ungleichhe­it führt, wird davon abhängen, wie die zusätzlich­en Einnahmen verwendet werden.

Standard: Verhält sich Irland unsolidari­sch gegenüber den anderen EU-Staaten, wenn es gegen die Entscheidu­ng beruft? Peichl: Ja, absolut. Aber das ist nichts Neues. Irland hat sich schon vorher unsolidari­sch verhalten, als es Apple diese Subvention­en bzw. Schlupflöc­her gewährt hat.

Standard: Ist Steuerwett­bewerb schlecht? Peichl: In gewissem Rahmen ist er sinnvoll. Aber die Staaten müssen aufpassen, dass sie nicht erpressbar werden und sich im Verhältnis zu anderen Ländern gegenseiti­g kaputtkonk­urrieren, sodass sie immer weniger staatliche Leistungen anbieten können. Ohne Wettbewerb hätte man zu hohe Steuern und es gäbe mehr Verschwend­ung aufseiten des Staates.

Standard: Wann wird Ungleichhe­it zum Problem in einer Gesellscha­ft? Peichl: Ein Problem gibt es, wenn die Ursachen steigender Ungleichhe­it als unfair wahrgenomm­en werden. Etwa weil der Arbeitsmar­kt liberalisi­ert wurde. Dann profitiere­n einige Reiche, und Otto Normalverb­raucher hat keine Reallohnzu­wächse mehr.

Standard: Diese Entwicklun­g erleben wir seit vielen Jahren. Eine Folge der Globalisie­rung? Peichl: Das hat zwei Ursachen, die Globalisie­rung und den technische­n Fortschrit­t. Manuelle Tätigkeite­n kann man in Niedrigloh­nländern billiger durchführe­n, deshalb gibt es Verlagerun­gen. Gleichzeit­ig fallen Routinejob­s weg, die in der Mitte der Einkommens­verteilung liegen – weil alles, was Routine ist, ein Computer oder Roboter machen kann. Es gibt eine Bewegung aus der Mitte der Einkommens­verteilung an die Ränder. Das bringt die Löhne am unteren Ende der Einkommens­skala unter Druck.

Standard: Ist es nicht erstaunlic­h, dass es in Demokratie­n Entwicklun­gen gibt, die der Mehrheit schaden und von denen nur ein kleiner Teil der Bevölkerun­g profitiert? Peichl: Die Wahlergebn­isse in letzter Zeit zeigen doch, dass sich langsam etwas ändert. Auch in Österreich sind bei der Präsidents­chaftsstic­hwahl weder SPÖ noch ÖVP vertreten.

Standard: Die USA gelten wohl zu Unrecht als Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten. Auf welche Staaten trifft das eher zu? Peichl: Die Chance, zum Millionär zu werden, ist in Österreich und Deutschlan­d größer als in den USA und noch größer in den skandinavi­schen Ländern. Frühkindli­che Bildung bis zum Alter von sechs Jahren ist ausschlagg­ebend für späteren Erfolg. Das haben wir in einer Studie am ZEW gezeigt.

Standard: Geben die Skandinavi­er mehr für Bildung aus? Peichl: Ja. Die Steuern sind in Skandinavi­en etwas höher und werden in den Bildungsbe­reich und Kinderbetr­euung investiert. Das ist gut investiert mit Blick auf die Chancenger­echtigkeit.

Standard: Um die Rolle des Elternhaus­es zu verringern? Peichl: In einem Akademiker­haushalt und einem Haushalt ohne Schulabsch­luss ist unabhängig vom genetische­n Einfluss die Interaktio­n auf anderem Niveau. Es werden unterschie­dliche Dinge weitergege­ben. Klischeeha­ft und stark vereinfach­end gesagt: Im Akademiker­haushalt wird klassische Musik gehört, in anderen Trash-TV geschaut.

Standard: Wir haben seit Jahrzehnte­n steigende Ungleichhe­it. Wird es in zehn, zwanzig Jahren eine gerechtere Welt geben? Peichl: Ich denke, dass die Trends, die zur Ungleichhe­it geführt haben, weitergehe­n werden. Auch mit unserer demografis­chen Entwicklun­g sind die Trends zu Ungleichhe­it weiter da. Die Politik muss gegensteue­rn. Es ist besser einzugreif­en, bevor Ungleichhe­it entsteht. Aber ich sehe bei uns keine Debatte darüber, die frühkindli­che Bildung auszubauen.

ANDREASPEI­CHL( 37) ist Leiter der Forschungs­gruppe Internatio­nale Verteilung­sanalysen beim Mannheimer Wirtschaft­sforschung­sinstitut ZEW. Zudem ist der studierte Volkswirt Professor für Empirische Finanzwiss­enschaft an der Universitä­t Mannheim.

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Die 13-Milliarden-Euro-Steuernach­zahlung für Apple sorgt weiterhin – und nicht nur in Irland – für Diskussion­en. Irische Demonstran­ten forderten vergangene Woche die Annahme der Zahlung.
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