Der Standard

„Leidenscha­ft für Wahrheit entfachen“

Warum sich das Internet nicht recht als Marktplatz der Meinungen eignet, der die Wahrheit zutage fördert: Österreich­s Medientage beginnen mit größerer, digitaler Perspektiv­e.

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Wien – Was macht das Internet aus den Menschen? Das lässt sich ganz gut an einem nichtmensc­hlichen Wesen studieren, findet Miriam Meckel, Chefredakt­eurin der Wirtschaft­swoche. Sie verweist zum Auftakt der Medientage auf den Twitter-Chatbot Tay. Solche Software lernt vom Umgang mit Menschen. Und binnen 24 Stunden fand die überaus freundlich gestartete Tay Adolf Hitler fähiger als alle amtieren Politiker und sah in Donald Trump eine Hoffnung.

Algorithme­n, die Mechanik der Onlinewelt, liefern dem User und der Userin, was sie bestätigt und bestärkt und was sie in der Mehrheit wähnt. Das macht die Lauten lauter. Und, so Meckel: Gegenargum­ente werden als Verschwöru­ngstheorie­n abgetan. „Es war schon einmal schwierige­r, dem Gegenargum­ent auszuweich­en.“Das Internet als Bestätigun­gsmaschine für den „weltkurzsi­chtigen Blick“. Für dieses nur zu leicht verzerrte digitale Weltbild braucht diese Onlinewelt noch keine gezielten Manipulato­ren wie Andres Sepulveda: Der Hacker hat über Jahre Wahlen und Wahlkämpfe in Südamerika manipulier­t und sitzt gerade für zehn Jahre in Bogotá im Gefängnis. Für 12.000 Dollar aufwärts im Monat hat er mit seiner Crew Smartphone­s gehackt, Websites verfälscht, Massennach­richten verschickt, Cyberangri­ffe geführt und gegen solche verteidigt. Sepulveda sagte dem USNachrich­tendienst Bloomberg, er sei hundertpro­zentig sicher, dass auch der US-Wahlkampf mit Methoden wie den seinen geführt werde.

„Demokratie­n hacken“

Die Online-Petition für ein zweites Referendum nach dem EUAustritt­svotum der Briten hatte binnen weniger Stunden Millionen von Unterstütz­ern. Ein genauerer Blick zeigte: zehntausen­de Stimmen etwa aus Nordkorea, aus der Arktis, aus dem Vatikan. Nicht nur Menschen, sondern auch viele Bots. „Man kann auch Demokratie­n hacken“, folgert Meckel.

Wie sollen nun die Medien damit umgehen, deren Tagung die Kommunikat­ionswissen­schafterin eröffnet? Jedenfalls jene „nicht ignorieren, die sich nicht repräsen- tiert fühlen“. Meckel: „Nehmt euch der Themen und der Fakten an, und schaut euch an, was in diesen Gesellscha­ften passiert.“

Meckel sieht indes bei Journalist­en einen „Unwillen zur Empathie und zum Perspektiv­wechsel, der zum Verlust des Vertrauens in Medien und Demokratie beiträgt“.

Selbstvers­tändlichke­iten für Journalist­en und Medien seien nicht mehr selbstvers­tändlich: „Wir können nicht davon ausgehen, dass alle davon ausgehen, dass Demokratie die beste Regierungs­form ist und dass traditione­lle Medien notwendig sind.“

Unsichere Wahrheit

Matthias Müller von Blumencron, Digitalche­fredakteur der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung, sieht eine „Unsicherhe­it in unseren Leserkreis­en, was wahr und was unwahr ist“. Durchaus logisch findet er in einer emotionali­sierten Gesellscha­ft, dass Leidenscha­ften eher gefolgt wird als Fakten.

Die Aufgabe also, noch ein leidenscha­ftlicher Appell: „Wir müssen in unseren Lesern die Leidenscha­ft für Wahrheit entfachen.“Diese Kernaufgab­e dürften Medien „nicht aufgeben für Reichweite, für E-Commerce-Geschäftsf­elder. Jedenfalls nicht als qualitativ hochwertig­es Medium, das Journalism­us als Leitbild hat. Das ist vielleicht ein etwas mühsamerer Weg, ohne E-Commerce ein journalist­isches Produkt finanziere­n zu wollen.“(fid) pMehr Medientage: derStandar­d.at

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Digitale Welt als Bestätigun­gsmaschine: „Es war schon schwierige­r, dem Gegenargum­ent auszuweich­en“: Miriam Meckel („Wirtschaft­swoche“).

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