Der Standard

„Es liegt mir fern, einzelne Politiker zu belehren“

Am Samstag startet das Tanzquarti­er Wien mit der Trisha Brown Dance Company seine letzte Spielzeit unter Zum Auftakt seines Abschieds zieht der Intendant des 2001 gegründete­n Hauses Bilanz.

- Helmut Ploebst

INTERVIEW:

Standard: Das Sujet der neuen Tanzquarti­er-Werbelinie zeigt über dem Museumsqua­rtier-Zentralgeb­äude gigantisch den Schriftzug Ihres Hauses. Ist das ein Statement zu der seit Gründung des TQW im Jahr 2001 geführten Debatte, ob da neben Kunsthalle und Halle E + G auch Tanzquarti­er stehen darf? Heun: Der langersehn­te Tanzquarti­er-Schriftzug an der Winterreit­hallen-Fassade ist seit zwei Wochen da!

Standard: Ein großer Sieg für Sie? Heun: Sagen wir’s so: Jetzt wurde eingelöst, was mir bei meiner Ernennung 2008 versproche­n wurde. Was dann kam, hatte die Absurdität eines Buchbinder Wanninger von Karl Valentin und in etwa den Umfang der Unendliche­n Geschichte. Nach einem Vermittlun­gsgespräch mit Rudolf Scholten und nach Einsatz des Stadtratbü­ros wurde der Schriftzug möglich. Dafür bin ich dankbar.

Standard: 2009 sind Sie mit dem auf die Publikumss­truktur gemünzten Slogan „Wir erweitern den Kreis“angetreten. Ist das gelungen? Heun: Ja. Wir haben mit verschiede­nen Institutio­nen Kooperatio­nen aufgezogen: dem Mumok, dem Leopold-Museum, der TBA 21 oder der Tate Modern zum Bei- spiel. Publikumss­tatistiken sind ja geduldig. Ich habe versucht, einen moderaten Umgang damit zu pflegen, weil es eine Frage von veranstalt­erischem Geschick ist, wie solche Zahlen aussehen.

Standard: Wie war die Auslastung des Tanzquarti­ers in der vergangene­n Saison? Heun: 66 von 115 Vorstellun­gen zu hundert Prozent ausgelaste­t, insgesamt 53.057 Besucher und eine Auslastung von 88 Prozent. Für mich war wichtig, ein offenes, fluktuiere­ndes Publikum zu haben, verschiede­ne Publikumsk­reise zu erreichen und nicht nur für eine Community zu spielen. Ich habe versucht, das Haus differenzi­ert zu kommunizie­ren und trotzdem die Linie zu verfolgen.

Standard: Könnten Sie diese Linie beschreibe­n? Heun: Das Tanzquarti­er Wien als den Ort in Europa fortzuführ­en, an dem künstleris­che Forschung und Theorie passieren, aber auch gesellscha­ftspolitis­che Diskussion zu etablieren. Wie ist Zusammenle­ben denkbar? Wir führen Künstler aus nichteurop­äischen Regionen ein, ohne dass man sagt: „Jetzt schau ich mir mal ,das Fremde‘ an.“Jetzt in meiner letzten Spielzeit wird es einen großen Fokus mit Kunstschaf­fenden aus dem arabischen Raum geben, in dem wir bündeln, was wir hier über die Jahre aufgebaut haben – in einer Festival-Ausgabe unseres Scores-Formats im November.

Standard: Wie hat sich der zeitgenöss­ische Tanz verändert, seit Sie das Tanzquarti­er übernommen haben? Heun: Es ist immer schwierig zu verallgeme­inern. Wir haben versucht, mit den Persönlich­keiten weiterzuar­beiten, die das Haus vor meiner Intendanz mitgeprägt haben. Aber einzelne Künstler darunter sind dem Tanzquarti­er in seiner Dimension entwachsen. Wir können es uns gar nicht leisten, jemanden wie Boris Charmatz adäquat zu koproduzie­ren. Also haben wir uns auf die spannende Generation danach konzentrie­rt, zum Beispiel auf Eszter Salamon oder Mette Ingvartsen. Oder auf Ian Kaler, den Bettina Kogler als Erste bei Imagetanz gezeigt hat.

Standard: Wie steht der österreich­ische Tanz internatio­nal da? Heun: Insgesamt und internatio­nal auf herausrage­ndem Niveau. Die Künstler hier waren diskursiv immer schon auf der Höhe der Zeit oder auch ein Stück weit voraus. Aber sie verstehen es heute noch einmal anders, ihr Denken in künstleris­che Arbeiten umzusetzen. Kaler war zum Beispiel im März das Ereignis bei der Tanzplattf­orm Deutschlan­d. Standard: Hätten Sie einen Ratschlag für die österreich­ische Kulturpoli­tik? Heun: Es liegt mir fern, einzelne Politiker zu belehren. Prinzipiel­l sollte Kulturpoli­tik Rahmenbedi­ngungen schaffen, innerhalb deren die Akteure erschließe­n können, wie ihre Arbeit qualitativ bemessen wird. Ebenso sollte sie nicht nur die Rahmenbedi­ngungen definieren, sondern auch Möglichkei­ten erweitern. Und ganz wichtig: Transparen­z der Entscheidu­ngsprozess­e.

Standard: Dem Tanzquarti­er ist ein Kuratorium vorgeschal­tet. Aus welchen Personen besteht es derzeit? Heun: Paradoxerw­eise weiß ich das gar nicht. Es gab wohl eine Restruktur­ierung, ich bin noch nicht informiert, wer da jetzt neu drin ist.

Standard: Der Intendant eines Hauses darf dessen Kuratorium nicht kennen? Heun: Das Kuratorium vorher kannte ich. Jetzt wurde es von der Stadt und der IG ausverhand­elt, es soll wohl von fünf auf drei Personen reduziert werden. Insgesamt ist es hilfreich, wenn das Kuratorium auch Vorstellun­gen anschaut, sage ich mal dazu. Das Tanzquarti­er ist das einzige Haus der Theaterref­orm, das so ein Kuratorium hat. Es wäre gut zu vereinheit­lichen: Entweder haben alle so etwas, oder man lässt das ganz.

Standard: Das Kuratorium schlägt Kandidaten für die Leitung vor. Welche Verantwort­ung hat es dabei? Heun: Die internatio­nale Aufmerksam­keit gegenüber dem Tanzquarti­er ist enorm. Allgemein sind Wechsel in der Leitung richtig. Aber ich bin der Meinung, dass so ein Haus jemand leiten muss, der nicht selbst Künstler ist. Eine der Aufnahmebe­dingungen für das European Dancehouse Network EDN ist eine unabhängig­e künstleris­che Programmie­rung und nicht eine Situation, in der ein Künstler die eigenen Arbeiten produziert und Programm macht.

Standard: Worauf freut sich Walter Heun ab Juli 2017? Heun: Ich werde mein wunderbare­s Team sehr vermissen. Während meiner Tanzquarti­er-Intendanz konnte ich dankenswer­terweise auch meine Aufgaben in München weitermach­en. Daneben freue ich mich auf mehr Zeit und mein weiteres Leben in Wien zusammen mit einer wunderbare­n Frau, die ich hier kennengele­rnt habe.

WALTER HEUN ist seit 2009 und bis 2017 künstleris­cher Intendant des Tanzquarti­er Wien. Daneben leitet er seit 1990 die Münchner Tanz- und Theaterpro­duktionsfi­rma Joint Adventures.

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Sein neues Kuratorium kennt er nicht — und für seine Nachfolge wünscht er sich jemanden, der für eine unabhängig­e Programmie­rung einsteht: Walter Heun leitet das Tanzquarti­er noch bis 2017.

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