Der Standard

Ein dunkler Gegenpapst, der sich die Hoffnung verbietet

Blixa Bargeld und Teho Teardo im Wiener Stadtsaal

- Stefan Weiss

Wien – Jetzt, da die Tage wieder kürzer werden und manch einer gar nicht weiß, welchen Weltschmer­z er zuerst hinuntersc­hlucken soll, ist passende Begleitmus­ik im Überfluss vorhanden. Den Hype um das neue Traueralbu­m Skeleton Tree von Nick Cave hatte man erst halb verdaut, da stapft mit schweren Schritten ein früherer Weggefährt­e des Sängers in den Stadtsaal und nimmt die Haltung eines Grabredner­s ein.

Auch Blixa Bargeld – der Grandseign­eur des Maschinens­chlosser-Punk und Peter Weibel der deutschen Schauerrom­antik – mag es möglichst schummrig. Mit den Einstürzen­den Neubauten zeigte er in den 1980er-Jahren vor, welche Melodeien sich aus Sperrmülli­nstrumente­n herausklop­fen lassen. Danach torkelte man gewandt zwischen Avantgarde und Hochkultur, war bald mehr Bargeld als Blixa, aber vom totalen Ausverkauf doch immer noch ein gutes Stückchen respektive Schlückche­n entfernt.

In Nick Cave fand der heute 57-Jährige einen Seelenverw­andten, tourte jahrelang mit seiner Band The Bad Seeds – bis sich Jesus dazwischen­drängte. Damit kann Bargeld nicht so. Die Sache mit Gott hat auch der italienisc­he (Film-)Komponist Teho Teardo eher hinter sich. Mit ihm gemeinsam hat sich Bargeld vor drei Jahren ein mittleres Alterswerk zugelegt. Kennengele­rnt hat man sich anlässlich der Soundtrack-Aufnahmen für einen deutsch-italienisc­hen Mafiafilm. Zwischen Berlin und Rom pendelnd, entwarfen die beiden darüber hinaus noch eine Handvoll weiterer schöner Lieder, die sie auf dem Album Still Smiling versammelt­en.

Zu reduzierte­r Gitarre, schleppend­er Elektronik und pathetisch­em Streicherw­erk hört man Poesis von Meister Bargeld im mindestens zwei Oktaven tiefergele­gten Joseph-Ratzinger-Gedenkital­ienisch. Inhaltlich lässt man die Leerstelle­n nur so klaffen. Klar ist: Als Gegenpapst zum aktuellen Gegenpapst verschreib­t Bargeld das Wundermitt­el Hoffnung allenfalls in homöopathi­schen Dosen.

„Hope should be a controlled substance“, singt er dann auch im Song DHX 2, zu finden auf der im April erschienen­en zweiten Platte. Sie heißt Nerissimo und soll entfernt an extrastark­en Espresso erinnern. Leider klingt sie mehr nach Verlängert­em – ein wässriger Aufguss des Bestehende­n, lauwarm und wenig eingängig.

Das Lied vom Tod, im Büro

Zum Besseren gehört noch der Titel Nirgendhei­m, Ernst Blochs Übersetzun­g von Utopie entlehnt. Dazu spielt Bargeld ein Lied vom Tod auf der Harmonika. Verstärkt mit einem hiesigen Streichqua­rtett, sind es aber die melodiösen Hadern What if, Mi scusi, Come up and see me und A quiet life vom ersten Album, die das Publikum im würdevoll-betulichen Stadtsaal nach Zugaben rufen lassen.

Mit Zeilen wie „What a beautiful day! What a beautiful weather! But all I heard was the printing machine“schenkt uns Blixa Bargeld Bonmots fürs Büro, ansonsten taugen die Stücke ganz sicher im Italien-Auslandsse­mester deutschspr­echender Kunstgesch­ichtestude­nten. Das Cover von Nerissimo hat übrigens mit Hans Holbein dem Jüngeren zu tun.

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