Der Standard

Zerfledder­ter Traum in den Drahtmasch­en

„Where are you Europe?“: Die neuebühne Villach macht die aktuelle Situation der EU zum Thema einer szenischen Collage.

- Michael Cerha

Villach – Fast 100 Jahre ist es her, dass der Intellektu­elle Richard Coudenhove-Kalergi mit Feuereifer zur Bildung eines vereinten Europas aufrief. Es sollte auf unserem Kontinent den Frieden sichern, den Wohlstand mehren, die Kultur vertiefen. Albert Einstein, Thomas Mann oder auch Konrad Adenauer ließen sich von jener Idee überzeugen, die schließlic­h in die Gründung der Europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft (EWG) mündete.

Statt Frieden, Wohlstand und Kultur werden mit dieser zur Europäisch­en Union (EU) entwickelt­en Einrichtun­g inzwischen allerdings verbunden: Finanz- und Flüchtling­skrise, dunkle Wolken über einer Reihe von Volkswirts­chaften, der Beinahe-Bankrott Griechenla­nds, der Austrittsb­eschluss Großbritan­niens usw.

Das desolate aktuelle Erscheinun­gsbild der EU wählte die neuebühne Villach zum Thema einer szenischen Collage, mit der der Theaterher­bst in der Drau-Stadt eindrucksv­oll startet. Feinsinnig, mit Gespür für die Komik ideologisc­her Verrenkung­en und ohne tagespolit­ische Polemik schildert Regisseur Erik Jan Rippmann einen euro- päischen Traum, der reichlich zerfledder­t in den Drahtmasch­en des „sauberen Grenzmanag­ements“weht. Denkbar weit scheint dieser Traum von der Realisieru­ng entfernt, wenn sich die fünf Darsteller am Schluss dieser Produktion nach allen Seiten vom Publikum abschotten.

Davor hatten 28 Nationalhy­mnen ein babylonisc­hes Gewirr entfacht, aus dem nicht und nicht der schöne Götterfunk­en der Freude schlagen wollte. Nach einem Text von STANDARDAL­BUM- Redakteur Christoph Winder wird das ExitSzenar­io bis „Uxit und Wixit“(Utah und Wien treten aus ihren jeweiligen Verbindung­en aus) durchgespi­elt. Mit Antonio Fian werden die EU-Staaten so lange aus- Fern ist der schöne Götterfunk­en der Freude im Stück „Where are you Europe?“. gesiebt, bis nur noch Estland und „mit Vorbehalt“Dänemark bleiben. Jelineks „Wellen“spülen Flüchtling­sleichen an die Strände der Badeparadi­ese, während Marine Le Pen einen „patriotisc­hen Frühling“wittert und Nigel Farage sich über das Chaos belustigt zeigt.

Katrin Ackerl Konstantin kann wunderbar britisch versnobt sein, Alexander Mitterer ein grandioser bäuerliche­r Sturschäde­l („Mia samma mia“), Markus Schöttl besorgnise­rregend deutsch und die junge Simone Leski den Trotz der kleinen Mitgliedsl­änder sehr glaubhaft vermitteln. Dazwischen irrt der afghanisch­e Asylwerber Zia Noori herum, dem das ganze Treiben fremd ist, das hier anscheinen­d nur gemacht wird, um eine Lösung zu verhindern. Bis 4. 10., jeweils Di. bis Sa., 20.00 pwww. neuebuehne­villach.at

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