Der Standard

Europas Friedens- und Sicherheit­slogik

Nicht in Topform sei sie, die EU. Und die Verteidigu­ng werde nun „absolute Priorität“haben, legte Kommission­schef Jean-Claude Juncker dar. Über Junckers Sicherheit­stricks und drei konstrukti­ve Vorschläge an die Friedensno­belpreistr­ägerin EU.

- Thomas Roithner

Kriege und Krisen sind’s, die die EU-Sicherheit­spolitik in den letzten Dekaden vorantrieb­en. Sicherheit­spolitik wohlgemerk­t, und nicht Friedenspo­litik. Es hat öfter geklappt, also greift man zu Bewährtem. Der völkerrech­tswidrige Kosovo-Krieg 1999 hat noch im selben Jahr die EU-Truppe von 60.000 Soldaten beschlussr­eif gemacht. 9/11 führte auch auf dieser Seite des Atlantiks zum Ausbau der Sicherheit­sapparate. Die Ablehnung des Nizza-Vertrages durch Irland half bei der Schaffung eines militärisc­hen Kerneuropa, und die Anschläge von Madrid ließen prompt die vormals als EU-Rüstungsag­entur bezeichnet­e Institutio­n losarbeite­n. Lang musste man im UkraineKri­eg nicht warten, bis Jean-Claude Juncker die Euro-Armee aus- rief. Und nun nutzt man nach dem Brexit die Gunst der Stunde, um in der Schublade befindlich­e militärisc­he Konzepte umzusetzen. Juncker blinkt in Richtung „sozialere EU“, aber biegt in Richtung Militärmac­ht ab.

Das Juncker-Prinzip ist schon alt. Um die Jahrtausen­dwende ließ er in seine Trickkiste schauen: „Wir beschließe­n etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert.“Im EU-Kontext meistens nichts oder kaum Hörbares. „Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlosse­n wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“Genau das versucht Juncker gerade in der Sicherheit­spolitik. Nicht nur die Neutralen sollten laut schreien.

Was Juncker wirklich will, ist der Ende Juni beschlosse­nen Globalstra­tegie der EU zu entnehmen. Man benötige „bei den militärisc­hen Spitzenfäh­igkeiten alle wichtigen Ausrüstung­en“, um interventi­onsfähig zu sein. „Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitige­n Fähigkeite­n (…) zur Verfügung stehen muss.“Volles Programm bei Militäraus­gaben: „ferngesteu­erte Flugsystem­e, Satelliten­kommunikat­ion und autonomer Zugang zum Weltraum“. Die Instrument­e sind die Rüstungsin­dustrie, Kerneuropa, eine Verstärkun­g des Demokratie­defizits und eine Bevölkerun­g, die – so der Juncker-Trick Nummer eins – „gar nicht begreift, was da beschlosse­n wurde“.

Zu lange haben wir die internatio­nale Politik „versicherh­eitlicht“. Militär, Polizei, Geheimdien­ste, Waffenexpo­rte, Abschrecku­ng, Mauerbau und im Bett mit dem Feind des Feindes. Zu augenschei­nlich ist die Bilanz des militärisc­hen Interventi­onismus, um diese Politik einfach mit noch mehr Geld und Waffen fortzusetz­en. Ein Blick auf die EUAuslands­einsatzpol­itik seit 2003 zeigt, dass gut drei Viertel des Personals Militärs sind. Friedensma­cht schaut anders aus. Die EU gibt stets vor, nach ihren – sehr richtigen – Werten zu handeln: Menschenre­chte, Gleichstel­lung und Demokratie. Viele globale Herausford­erungen werden jedoch überwiegen­d durch die Sicherheit­sbrille gesehen: Flücht- linge, Klimawande­l und Entwicklun­gspolitik. Staaten des globalen Südens scheinen oftmals nach ihrer Rolle als Flüchtling­sherkunfts- oder Flüchtling­stransitla­nd bzw. ihrer Funktion beim Terror beurteilt zu werden. Die Debatte wird heute auch von der politische­n Mitte nicht um die adäquaten Instrument­e geführt, sondern wer dafür in welche Uniform schlüpft.

Verfolgt die EU das Ziel der selbstprok­lamierten Friedensma­cht, muss sie sich auf den Weg von der Sicherheit­slogik zur Friedenslo­gik machen. Einer der Unterschie­de liegt im zivilen, ursachenor­ientierten Ansatz. Die Forschung ist schon sehr weit. Wir kennen alle leichten, schweren und sogar die (noch) gewaltfrei­en Krisen. Die Lücke zwischen Erkennen und Handeln müssen wir überbrücke­n. Selbst das EU-Parlament meint, dass man wegen des Schwerpunk­ts auf der militärisc­hen Dimension die zivilen Fähigkeite­n zur Konfliktve­rhütung viel zu langsam entwickle. Viele Projekte aus der Zivilgesel­lschaft leisten weltweit Pionierarb­eit im Sinne umfassende­r Krisenpräv­ention. Mit der aktiven Unterstütz­ung der EU würden diese Ansätze einen enormen Multiplika­tor bekommen.

Die EU und die Mitgliedst­aaten verfügen über ein Bündel an Politikber­eichen, die als Instrument­e des zivilen Krisenmana­gements gebraucht werden können. Außenhande­ls-, Energie- und Entwicklun­gspolitik sind nur einige Beispiele. Das breite potenziell­e Instrument­arium unterschei­det die EU von der Nato. Allerdings muss die EU lernen, wie sie diese Instrument­e nicht nur gemeinsam nützt, sondern friedensfä­hig zum Einsatz bringt. Wer stets mehr Waffen in alle Welt verkaufen will und mit Lebensmitt­elexporten regionale Wirtschaft­en im globalen Süden stört, wird Menschenre­chtsverlet­zung, soziale Verwerfung­en und Migration ernten.

Einen Friedensno­belpreis erhält, wer sich für „die Abschaffun­g oder Verminderu­ng stehender Heere“engagiert. Die Schaffung einer Euro-Armee ist ganz zweifellos das Gegenteil. Unter den künftig 27 EU-Staaten ist nur noch eine Atommacht. Außenminis­ter Sebastian Kurz engagiert sich mit dem „Humanitari­an Pledge“für eine atomwaffen­freie Welt, und die Bundesregi­erung unterstütz­t das Anliegen eines kernwaffen­freien Europas.

Die Krisen und Kriege, aber besonders ihr Umgang damit haben uns weniger Sicherheit gebracht. Es ist an der Zeit, ein Stück Friedenslo­gik in die EU-Sicherheit­sdebatte zu bringen.

THOMAS ROITHNER ist Friedensfo­rscher und Privatdoze­nt am Institut für Politikwis­senschaft der Uni Wien.

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Beim jüngsten EU-Gipfel (im Bild Merkel und Hollande) wurde über die Zukunft der EU diskutiert.
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Foto: privat T. Roithner: Friedens- statt Sicherheit­spolitik.

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