Der Standard

Kern in der Sackgasse

Bei Ceta droht dem SPÖ-Chef eine Niederlage und Österreich ein Tiefschlag

- Andreas Schnauder

Nach der Mitglieder­befragung der SPÖ zum EU-Kanada-Abkommen Ceta und der entspreche­nden Begleitmus­ik drängt sich die Frage auf: Hat Christian Kern mit der Vorgangswe­ise einen genialen Masterplan ausgeheckt, oder verrennt sich der Kanzler gerade? Vieles deutet auf Letzteres hin. Österreich hat zwar faktisch ein Vetorecht gegen den Freihandel­spakt mit Kanada, doch sollte Wien diese Keule schwingen, hätte das schwerwieg­ende Folgen: für die Reputation des Landes und seine Exportwirt­schaft ebenso wie für die Koalition.

Doch der Reihe nach: Kern hat das Rumoren in seiner Partei wegen der geplanten Freihandel­sabkommen mit Kanada und den USA zu seiner Sache gemacht und im ORF- Sommergesp­räch eine „massive Machtversc­hiebung zugunsten global agierender Konzerne und zulasten der demokratis­chen Mitbestimm­ung“beanstande­t. Diese Position mag zwar anhand des fertigen Ceta-Vertragste­xtes schwer zu rechtferti­gen sein, vertreten darf sie ein gestandene­r Roter allemal.

Doch dann passierte das: Kern wandte sich mit Suggestivf­ragen in einer beispiello­sen Inszenieru­ng an die SPÖ-Basis und bekam die Antworten, die er erhalten wollte. Soll Ceta in Kraft treten, wenn dadurch europäisch­e Qualitätss­tandards gesenkt werden können, wollte die Parteiführ­ung zum Beispiel von den Mitglieder­n wissen. Diese Frage wäre wohl auch von der Industriel­lenvereini­gung mit Nein beantworte­t worden. Die Befragung, an der ganze 23.730 Menschen teilnahmen, gleicht einer Farce. benso erwartbar wie die Ergebnisse waren am Dienstag die Reaktionen auf die Aktion. Namhafte Parteipoli­tiker forderten den Kanzler auf, Ceta nur zuzustimme­n, wenn der Vertrag substanzie­ll verbessert wird. Genau das ist aber schwer vorstellba­r. Das Abkommen liegt seit fast zwei Jahren fertig ausverhand­elt auf dem Tisch, SP-geführte Ministerie­n (natürlich auch das Bundeskanz­leramt) und Sozialpart­ner hatten ausreichen­d Gelegenhei­t zu Stellungna­hmen. Aber gut einen Monat vor der Unterzeich­nung taucht in Europa ein gallisches Dorf auf, das sich gegen eine imaginäre Bedrohung zur Wehr setzt.

Jetzt darf man gespannt sein. Viel mehr als Larifari-Erklärunge­n, wonach Ceta keiner Fliege etwas zuleide tut, sind wohl für Österreich nicht

Edrinnen. Kern hat dann die Wahl: Entweder er gibt dennoch seinen Segen und redet sich den Beipacktex­t schön, oder er lässt das Abkommen platzen.

Bei der ersten Variante wäre er bei der Parteibasi­s durchgefal­len, in dem zweiten Szenario würde er Österreich internatio­nal in Verruf bringen. Das mit der Vorgangswe­ise gemalte Bild: eine Exportnati­on mit lahmendem Motor, die eine Chance auf besseren Marktzugan­g ihrer Unternehme­n auf dem Altar des Populismus und des Boulevards opfert.

Möglicherw­eise würde der Kanzler mit einem solchen Schritt auch die Ko- alition sprengen. Möglicherw­eise bereitet Kern aber gerade einen Geniestrei­ch vor. Rein theoretisc­h könnten die Partner Österreich nämlich bei Ceta-Teilen, die in die Kompetenz der Mitgliedss­taaten fallen, Ausnahmen zugestehen. Mit derartigen Opt-outs – beispielsw­eise bei den umstritten­en Schiedsger­ichten – würde das Abkommen zwar ziemlich verwässert und Österreich schief angesehen werden, doch der Kanzler könnte bei seiner Community punkten. Viel wahrschein­licher erscheint derzeit aber, dass sich Kern in eine Sackgasse begeben hat, aus der er nicht mehr herauskomm­t.

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