Kern in der Sackgasse
Bei Ceta droht dem SPÖ-Chef eine Niederlage und Österreich ein Tiefschlag
Nach der Mitgliederbefragung der SPÖ zum EU-Kanada-Abkommen Ceta und der entsprechenden Begleitmusik drängt sich die Frage auf: Hat Christian Kern mit der Vorgangsweise einen genialen Masterplan ausgeheckt, oder verrennt sich der Kanzler gerade? Vieles deutet auf Letzteres hin. Österreich hat zwar faktisch ein Vetorecht gegen den Freihandelspakt mit Kanada, doch sollte Wien diese Keule schwingen, hätte das schwerwiegende Folgen: für die Reputation des Landes und seine Exportwirtschaft ebenso wie für die Koalition.
Doch der Reihe nach: Kern hat das Rumoren in seiner Partei wegen der geplanten Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA zu seiner Sache gemacht und im ORF- Sommergespräch eine „massive Machtverschiebung zugunsten global agierender Konzerne und zulasten der demokratischen Mitbestimmung“beanstandet. Diese Position mag zwar anhand des fertigen Ceta-Vertragstextes schwer zu rechtfertigen sein, vertreten darf sie ein gestandener Roter allemal.
Doch dann passierte das: Kern wandte sich mit Suggestivfragen in einer beispiellosen Inszenierung an die SPÖ-Basis und bekam die Antworten, die er erhalten wollte. Soll Ceta in Kraft treten, wenn dadurch europäische Qualitätsstandards gesenkt werden können, wollte die Parteiführung zum Beispiel von den Mitgliedern wissen. Diese Frage wäre wohl auch von der Industriellenvereinigung mit Nein beantwortet worden. Die Befragung, an der ganze 23.730 Menschen teilnahmen, gleicht einer Farce. benso erwartbar wie die Ergebnisse waren am Dienstag die Reaktionen auf die Aktion. Namhafte Parteipolitiker forderten den Kanzler auf, Ceta nur zuzustimmen, wenn der Vertrag substanziell verbessert wird. Genau das ist aber schwer vorstellbar. Das Abkommen liegt seit fast zwei Jahren fertig ausverhandelt auf dem Tisch, SP-geführte Ministerien (natürlich auch das Bundeskanzleramt) und Sozialpartner hatten ausreichend Gelegenheit zu Stellungnahmen. Aber gut einen Monat vor der Unterzeichnung taucht in Europa ein gallisches Dorf auf, das sich gegen eine imaginäre Bedrohung zur Wehr setzt.
Jetzt darf man gespannt sein. Viel mehr als Larifari-Erklärungen, wonach Ceta keiner Fliege etwas zuleide tut, sind wohl für Österreich nicht
Edrinnen. Kern hat dann die Wahl: Entweder er gibt dennoch seinen Segen und redet sich den Beipacktext schön, oder er lässt das Abkommen platzen.
Bei der ersten Variante wäre er bei der Parteibasis durchgefallen, in dem zweiten Szenario würde er Österreich international in Verruf bringen. Das mit der Vorgangsweise gemalte Bild: eine Exportnation mit lahmendem Motor, die eine Chance auf besseren Marktzugang ihrer Unternehmen auf dem Altar des Populismus und des Boulevards opfert.
Möglicherweise würde der Kanzler mit einem solchen Schritt auch die Ko- alition sprengen. Möglicherweise bereitet Kern aber gerade einen Geniestreich vor. Rein theoretisch könnten die Partner Österreich nämlich bei Ceta-Teilen, die in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten fallen, Ausnahmen zugestehen. Mit derartigen Opt-outs – beispielsweise bei den umstrittenen Schiedsgerichten – würde das Abkommen zwar ziemlich verwässert und Österreich schief angesehen werden, doch der Kanzler könnte bei seiner Community punkten. Viel wahrscheinlicher erscheint derzeit aber, dass sich Kern in eine Sackgasse begeben hat, aus der er nicht mehr herauskommt.