Der Standard

Großes Chaos bei der Suche

Stammzelle­n können Leben retten. Die Voraussetz­ung ist allerdings, dass sich Spender freiwillig melden – und so gefunden werden. Das ist in Österreich schwierig. Im Stammzellr­egister herrschten Unordnung und Missmanage­ment. Das Ministeriu­m hat nun die Not

- Jutta Berger

BERICHT:

nal Efe sucht einen Zwilling. Einen genetische­n Zwilling. Der achtjährig­er Holländer leidet an einer aggressive­n Form von Leukämie, innerhalb der nächsten zwei Monate muss ein Mensch gefunden werden, der Ünal durch eine Stammzelle­nspende das Leben rettet. Gesucht wird auf der ganzen Welt. Doch keiner der vorhandene­n 28 Millionen Datensätze von potenziell­en Spendern und Spenderinn­en, die weltweit in Registern gesammelt sind, passt für den kleinen Buben.

Wenn sich, wie bei Ünal, die blutbilden­den Stammzelle­n im Knochenmar­k nicht mehr erneuern und sich die bösartige Krankheit nicht durch Chemothera­pie heilen lässt, müssen fremde Stammzelle­n zugeführt werden. Doch nicht irgendwelc­he, sondern Stammzelle­n eines gesunden Menschen, dessen Gewebemerk­male mit jenen des Kranken fast vollständi­g übereinsti­mmen.

Die Suche ist wie die nach der sprichwört­lichen Nadel im Heuhaufen. Die Wahrschein­lichkeit, passende Spenderzel­len zu finden, liegt im besten Fall bei 1:500.000. Geschwiste­r können nur in einem Drittel der Fälle helfen.

Anlaufstel­len für Transplant­ationszent­ren, die passende Stammzelle­n für ihre Patienten suchen, sind nationale und internatio­nale Stammzellr­egister. Dort sind die anonymisie­rten Daten potenziell­er Spenderinn­en und Spender gespeicher­t. Erfasst, verwaltet und gepflegt werden die Daten in vom Register unabhängig­en Dateien (regionaler) Spenderzen­tren. Die Register leiten Anfragen an die Zentren weiter und koordinier­en den Ablauf von der Suche bis zum Verkauf der Daten an die anfragende Stelle.

Dieser internatio­nale Usus der Trennung von Register und Zen- tren wurde in Österreich jahrelang ignoriert. Das österreich­ische Spenderwes­en war in privater Hand, wurde vom gemeinnütz­igen Fonds Österreich­isches Stammzellr­egister, hervorgega­ngen aus dem privaten Verein Knochenmar­kspende Österreich, dominiert.

„Über Jahre hatte es den Anschein, als laufe das tadellos“, sagt Gerhard Aigner, der als Vertreter des Gesundheit­sministeri­ums im Fonds-Kuratorium saß. Nach dem Abgang von Gründerin Agathe Rosenmayr war man im Ministeriu­m jedoch mit Kritik aus den Bundesländ­ern konfrontie­rt: Daten würden nicht registrier­t, zugesagte Typisierun­gen nicht durchgefüh­rt, Blutproben gehortet, Spenderanf­ragen nicht beantworte­t.

Als die Übernahme durch die deutsche Knochenmar­kspenderze­ntrale drohte, zog das Ministeriu­m die Notbremse. Aigner: „Es gab vor zwei Jahren einen Rundruf des Kuratorium­vorsitzend­en, dass der Fonds sich zügig der Illiquidit­ät nähert. Als Lösungsvor­schlag wurde eine Kooperatio­n mit einer deutschen Organisati­on präsentier­t, die Stammzellr­egister betreibt.“

Transparen­z und Kontrolle

Das Stammzellw­esen sei eine Gesundheit­saufgabe der öffentlich­en Hand, die seinen Dauerbesta­nd sichern müsse, entschied der damalige Gesundheit­sminister Alois Stöger. Mit Februar 2015 wurde das Stammzellr­egister in die Abteilung ÖBIG-Transplant der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) übernommen.

Das Österreich­ische Stammzellr­egister neu werde sich in seiner Struktur deutlich von der Vorgängero­rganisatio­n unterschei­den, verspricht Otto Postl, Leiter der Abteilung Finanzen, Organisati­on und Personal in der GÖG. Der „Besitzer Bund“ermögliche stabile Rahmenbedi­ngungen, garantiere Transparen­z und Kontrolle.

Was bei der Übernahme des Fonds überrascht­e: „Der Fonds ist letztlich gar nicht so illiquid, wie es zunächst den Anschein hatte“(Aigner). Im Fonds, der sich in Liquidatio­n befindet, soll sich noch eine sechsstell­ige Summe, gemunkelt wird von 300.000 bis 400.000 Euro, befinden. Der genaue Betrag ist nicht eruierbar, da die Gebarung des gemeinnütz­igen Fonds für Außenstehe­nde nicht einsehbar ist.

Die Krux: Die Statuten des Fonds verhindern die Übertragun­g der Gelder. Die Vertreter der öffentlich­en Hand (Ministeriu­m und Versicheru­ngsträger) hätten nicht die nötige Mehrheit im Kuratorium, heißt es aus dem Gesundheit­sministeri­um. Der Kuratorium­svorsitzen­de Friedrich Spitzauer, Rechtsanwa­lt in Wien, beruft sich auf seine Verschwieg­enheitspfl­icht, er könne weder über die Höhe der (Spenden-)Gelder noch über deren künftige Verwendung Auskunft geben.

Mit den Geldern könnte man weitere Typisierun­gen finanziere­n, überlegt man in der GÖG. Aktuell verfügt das nationale Stammzellr­egister über knapp 66.000 Daten. 7000 davon wurden nachtypisi­ert, um aussagefäh­igere Daten zu haben. Zur Erklärung: Früher wurden nur zwei Gewebemerk­male bestimmt, heute sind es sechs. Im Europaverg­leich liege man mit der Anzahl potenziell­er Spenderinn­en und Spender „sehr gut“, sagt Birgit Priebe (GÖG).

„Wir machen im Jahr mit unverwandt­en Spendern 160 Transplant­ationen, wenn jetzt zehn oder 20 Prozent aus Österreich kommen, bleibt noch immer ein größerer Anteil, bei denen es Gewebemerk­malsunters­chiede gibt, die wir hier nicht abdecken können“, sagt Hämatologi­n Hildegard Greinix von der Med-Uni Graz. Selbstvers­orger könne ein kleines Land wie Österreich nie werden, das sei eine Illusion.

Im Gegensatz zu Deutschlan­d, wo die Spendersuc­he erfolgreic­h mit allen Mitteln des Marketings arbeitet und stark kommerzial­isiert ist, fehlen in Österreich noch bundesweit­e Strukturen zur Akquise neuer Spendenwil­liger. Die GÖG erwarte sich von den Spenderzen­tren entspreche­nde Aktivitäte­n, sagt Otto Postl. Über faire Verträge mit den regionalen Spenderzen­tren möchte man nun „das ganze Spenderwes­en einen gewaltigen Schritt voranbring­en“.

Als beispielge­bend nennt Postl den Vorarlberg­er Verein Geben für Leben. Vor 16 Jahren auf Initiative von Herlinde Marosch, die für ihre Nichte Spender suchte, mit zwei Freundinne­n gegründet, kann der Verein auf eine beachtlich­e Bilanz verweisen. Über 20.000 Typisierun­gen wurden durchgefüh­rt, 32 Lebensrett­erinnen und Lebensrett­er wurden gefunden, im letzten halben Jahr hat man 4000 neue Datensätze aufgenomme­n, neun Spenden vermittelt. Im Falle von Ünal Efe ließen sich innerhalb von drei Stunden 200 Menschen Blut abnehmen.

Vorbild Vorarlberg

Die Strategie des Vereins ist beharrlich­es Netzwerken durch motivierte Aktivistin­nen und Aktivisten. Die Verwaltung wird bewusst klein gehalten „und nicht aus Spendengel­dern finanziert, das ist mir sehr wichtig“, betont Obfrau Susanne Marosch, die Tochter der Gründerin.

Neben öffentlich­keitswirks­amen Aktionen in Einkaufsze­ntren oder gemeinsame­n Events mit Charity-Organisati­onen pflegt man die Zusammenar­beit mit Firmen und Communitys. „Wir machen oft kleinere Aktionen für Firmen, da arbeiten wir dann mit Speichelte­sts, weil das einfacher zu handhaben ist“, nennt Marosch ein Beispiel für Vereinsakt­ivitäten. „Firmen werden sich immer mehr ihrer sozialen Verantwort­ung bewusst“, sagt die Vereinsobf­rau, das komme ihrer Organisati­on sehr entgegen.

Auch mit Organisati­onen und anderen Vereinen kooperiert man bei der Spendersuc­he. Für Ünal beispielsw­eise hat sich ein türkischer Verein ins Zeug gelegt, der in der Community warb und seine Räumlichke­iten für die Blutabnahm­en zur Verfügung stellte.

Gleichzeit­ig mit Blut- oder Speichelpr­oben sammelt der Verein auch Geld für die Typisierun­g, die Analyse der genetische­n Gewebemerk­male. Susanne Marosch: „Es kommt immer häufiger vor, dass Blutspende­r auch gleich ihre Typisierun­g bezahlen.“50 Euro kostet die Typisierun­g im Spezial-

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