Was für ein Weiß
Für sein neues Buch hat sich der britische Autor und Künstler Edmund de Waal auf die Spuren seiner drei Leidenschaften begeben: Schreiben, Reisen und Porzellan. „Die weiße Straße“erzählt auch die Geschichte der Allacher Porzellanmanufaktur während der NS-
Ich liebe das Werk von Wilhelm Wagenfeld. Eine Lampe, die er in den frühen Bauhaus-Jahren entwarf, ist eine poetische Balance aus Kugel und Säule. Und sein Kubus-Sortiment aus ineinandergestellten Glasbehältern aus dem Jahr 1938, perfekt für einen Kühlschrank, ist reines Bauspiel, praktisch und konzise im Gebrauch des Materials. Im MoMA-Shop in New York wurde es in der Abteilung für teures Glas verkauft. Ich denke über ihn nach und frage mich, ob er Porzellanobjekte geschaffen hat. Eine Vase, ein bisschen zu rundlich, um vollkommen schön zu sein, erscheint auf dem Schirm meines Laptops. Und Allach. Den Namen dieser Fabrik kenne ich nicht, also google ich ihn. Sie liegt in Dachau bei München.
Mit dem Recherchieren verhält es sich so: Man schlägt eine Route ein – Bergwerksordnungen in Cornwall oder Porzellan bei einem Schiffbruch –, die dann nirgendwohin führt; das waren dann drei Tage Arbeitsleben, und man kehrt um, um zurückzutrotten, kickt Steine beiseite. Aber ich bin neugierig geworden und kaufe ein Buch über dieses Allacher Porzellan.
Mein üblicher Zwischenstopp, wenn ich nicht weiterkomme, besteht darin, ein Buch zu kaufen. Es kommt eine Woche später, ein kleines, schwarzes, gebundenes Buch mit dem Foto einer Porzellanstatuette der Athene auf der Vorderseite. Es ist auf Englisch, verlegt von Tony L. Oliver in einer Vorortstraße in Egham, Surrey, 1970.
Konzentration an Talenten
Es war den einzigartigen Umständen zu verdanken, die 1934 in Deutschland herrschten, dass die allerbesten Künstler, Designer, Töpfer und alle Personen, die mit der Herstellung von feinem Porzellan befasst waren, von den vielen weltberühmten Manufakturen, die in Deutschland damals existierten, Dresden, Berlin, Rosenthal etc., abgezogen und in der bis dahin unbekannten Fabrik in Allach beschäftigt werden konnten. Diese einmalige Konzentration an Talenten, die für die Produktion zur Verfügung gestellt wurden, ermög- lichte es, dass das Allacher Porzellan von solch hoher Qualität war und deswegen auch äußerst gefragt …
Auf der hinteren Klappe sind Bücher und farbige Postkarten von Uniformen der SS aufgelistet. Ich schlage das Buch auf; Abbildung 1 zeigt ein Foto von Hitler und Reichsführer-SS Heinrich Himmler, die „mit offenkundiger Billigung eine Auswahl von Porzellanfiguren aus Allach begutachten. 1943“. Die Figuren sehen aus wie Meißner Porzellan des 18. Jahrhunderts. Hitler lächelt begeistert.
Konzentration an Talenten ist schwer. Sie wurden im Lager in Dachau angefertigt.
Die Geschichte beginnt 1935 in der Lindenstraße 8 in Allach, einem nordwestlichen Vorort von München, mit drei engagierten SS-Mitgliedern: dem Maler Franz Nagy, dem Bildhauer Theodor Kärner und dem Maler Karl Diebitsch. Sie errichten eine an eine Vorstadtvilla angeschlossene kleine Fabrik. Der Plan ist, Porzellan zu erzeugen, das der Partei würdig ist.
Ein ganzes Porzellanregiment
Der Plan kommt rasch Himmler zu Ohren, der einen substanziellen Kapitalzuschuss von 45.000 Reichsmark aus seinem persönlichen Büro in die Wege leitet. Die PMA, Porzellanmanufaktur Allach, wird gegründet. Himmler glaubt, dass Kunst in jedes deutsche Heim gehört, „in erster Linie aber in das Haus meiner SS-Männer“. Eine eigene Porzellanfabrik würde ihm Kontrolle verschaffen, ihm erlauben, seine kulturelle Reichweite zu demonstrieren, Geld für die Anliegen zu beschaffen, die ihm wichtig sind. Eines davon ist das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes, die von Hitler nach seinem Amtsantritt als Reichskanzler gegründete offizielle Wohlfahrtsorganisation der NSDAP. Diese Organisation genießt in der Partei enormes Prestige.
„20 Millionen Porzellansoldaten marschieren auf!“lautet der Slogan für 1938, als Allach Porzellansoldaten und kleine Porzellanabzeichen mit darauf abgebildeten Soldaten verkauft, um Geld für verarmte loyale Bürger des Reichs aufzutreiben. Es ist die Woche des „Anschlusses“, als deutsche Soldaten die Grenze nach Österreich überschritten und von delirierenden Massen empfangen wurden.
Zur selben Zeit wird ein Artikel veröffentlicht: August und die Porzellansoldaten. Er erzählt die Geschichte von König August dem Starken und seiner Leidenschaft für Porzellan und wie er ein ganzes „Porzellanregiment“von Dragonern gegen eine Garnitur blau-weißer Vasen eintauschte. In der Folge wird betont, dass dieses Regiment in der Schlacht von Kesselsdorf für Preußen kämpfte und die österreichische Armee besiegte.
Himmler glaubt, dass Kunst in jedes deutsche Heim gehört, ,in erster Linie aber in das Haus meiner SS-Männer‘. Eine eigene Porzellanfabrik würde ihm Kontrolle verschaffen ...
Besitzt man seine eigene Porzellanfabrik, kann man Geschenke machen. In Himmlers SS gab es endlose Riten des Geschenkeverteilens. Alfred Rosenberg, der Parteitheoretiker, bemühte sich ständig, neue Rituale zu erfinden, neue Arkana, um das Volk in seine Kultur einzubetten. Aus Weihnachten wurde das Julfest, eine pseudonordische Winterfeier mit geheiligtem Feuer, Kerzen und Musik. So stellt Allach Julleuchter her, die auf den Festtafeln stehen und leuchten sollen, während die Familie das neue Jahr, den Neubeginn für ihr Land feiert.
Geburtstage und Hochzeiten und wenn einem SS-Mitglied ein Kind geboren wird – einige davon wurden Patenkinder Himmlers –, dies alles rechtfertigt Geschenke von Allacher Porzellan. Und es gibt Porzellanschüsseln, die bei den Parteiversammlungen in Nürnberg überreicht werden, Plaketten zur Erinnerung an den „Anschluss“, eine Vase für Hitler zum 50. Geburtstag 1939, riesige weiße Vasen für die Nischen in der Reichskanzlei. Wer hätte einen solchen Bedarf an Porzellan vorhersehen können?
Die Fabrik in Allach wird zu klein; Ende 1940 wird sie ins Konzentrationslager Dachau verlegt. Es gibt viele Vorteile, wenn die Fabrik sich hier befindet. Zunächst der unmittelbare Vorteil, dass man die Häftlinge einsetzen kann. Die Porzellanfabrik Allach verliert ebenso wie die Manufaktur in Meißen erfahrene Arbeiter, die an die Ostfront müssen, und hier kann man auf die Insassen zurückgreifen. Die geringe Zahl an Häftlingen, die 1941 aus dem Lager rekrutiert wurden, schwillt bis 1943 auf mehr als hundert an: „Seit Beginn des Sommers habe ich den Ausfall von Facharbeitern in verschiedenen Abteilungen durch Einsetzen von Häftlingen wettzumachen versucht. Die Ergebnisse in der FormengießereiAbteilung und später in der Formerei und Gießerei sind äußerst befriedigend. Die Produktion hat sich trotz Wegnahme mehrerer Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie gegenüber dem Vorjahr erheblich gebessert. Auch im Brennhaus und in der Glasurstube werden heute Häftlinge beschäftigt, die sich schon recht gut eingearbeitet haben. Ebenso sind in der Malerei die bisherigen Anfangserfolge mit Häftlingen zufriedenstellend.“
Hier in Dachau kann praktischerweise Eleonore Pohl, Frau von SSHauptamtschef Oswald Pohl, beratend tätig sein. Sie ist Künstlerin. Er ist der Chef des SS-Wirtschafts- Verwaltungshauptamts (WVHA), das sich um alle wirtschaftlichen und finanziellen Aktivitäten der SS kümmert. Dazu gehören auch die Konzentrationslager. Und Himmler hat seine eigene Fabrik, die er den anderen SS-Offizieren zeigen kann, wo er die Werkbänke entlanggehen, den Häftlingen über die Schulter sehen, sich erkundigen und inspizieren kann. Wenn sie Dachau besuchen, ist die Fabrik die erste Station auf dem Rundgang. Johannes Heesters, der berühmteste Unterhaltungskünstler in Deutschland, wird herumgeführt, erhält Geschenke. Es gibt ein Gästebuch.
Da sind sie alle, nehmen Figuren in die Hand, vergleichen. Sie drehen sie um, wie es geboten ist, unten steht die Marke, Allach, das Symbol ist der Doppelblitz der SS. Ironischerweise ist das auch das transformierte Signet der zwei gekreuzten Meißner Schwerter.
Alle sind zufrieden mit der Regelung, dass Allach eine halbautonome Firma ist, es gibt Beförderungen, und Kärner erhält an Hitlers Geburtstag ehrenhalber den Titel eines SSHauptsturmführers und eine Ehrenprofessur. Diebitsch, überaus beschäftigt mit den neuen Rang- und Dienstgradabzeichen und Ausrüstungen, den Flaggen, Dolchen und Mützen, so wichtig für die Besonderheit der SS, wird Obersturmbannführer der Waffen-SS.
Es ist ein Unternehmen, das mit Präzision geführt wird. Die Buchhaltung ist akkurat, die Nummerierung der Figuren sorgfältig registriert. Himmler nimmt 45 Prozent vom Ausstoß der Fabrik, manchmal zahlt er dazu. 1942, als unter den Häftlingen in Dachau eine Typhusepidemie wütet, verlangt Himmler Entschädigung für die Gestorbenen.
Deutsch sein, klar sein
Nach Himmlers Willen soll Allach „künstlerisch wertvolle“Objekte produzieren, die nicht in den Kitsch abgleiten. Der Direktor der Staatlichen Porzellangalerie in Dresden, Professor Dr. Paul Fichter, früher für Augusts Porzellansammlung zuständig, begutachtet die Allacher Entwürfe, was der Firma zusätzlich Prestige verleiht. Am Fuß mancher Produkte steht sein Name samt Titel. Professor Wagenfeld, gegenwärtig für die Glasfabrik Lausitzer tätig, soll ebenfalls als Berater fungieren. „Deutsch sein heißt klar sein“, sagte Hitler.
Klar sein bedeutet gewandt zu sein und Geschichten gut zu erzählen, ohne Dunkelheiten. Entartete Kunst ist schlecht gemacht, bloß angedeutet, ungeschickt. Unklar. Hitler weiß, was er will. Er will Können sehen. Wenn man den „Führer“beeindrucken will, muss man nichts anderes tun, als so vorzugehen.
Und so wird in Allach ein sich aufbäumender porzellanener Hengst mit flatternder Mähne hergestellt, kraftvoll und unabhängig, ein „Führer“, etc., etc. Allach-Porzellan sei eine Art Reklametafel für die kulturelle Darstellung der SS gewesen, schrieb Wolff nach dem Krieg. Nur Hochwertiges, künstlerisch Wertvolles sei produziert worden, so herausragend, dass es die größten technischen Schwierigkeiten zu überwinden imstande gewesen sei. Die bestanden etwa darin, die Figur eines Pferdes darzustellen, das nur auf den zwei dünnen Hinterbeinen stand, ohne dass der schwere Pferdeleib mittels eines allegorisch verbrämten Baumstammes, eines Zweigs oder einer Blume gehalten worden wäre. Nicht einmal die anderen berühmten deutschen Manufakturen wie Meißen, Nymphenburg oder andere hätten etwas Derartiges zu leisten vermocht. Es war der Wille des Reichsführers SS. Himmler bringt also zustande, was August der Starke niemals tun konnte, durch Willen. Und Hitler, der gesehen hat, was in Allach möglich ist, befiehlt die Sonderanfertigung von hundert Figurinen, „Friedrich der Große zu Pferd“. Eine steht in seinem Büro in der Reichskanzlei. Die anderen verschenkt er an Personen, die ihn mit ihrer Hingabe an die Reinheit des Reichs beeindruckt haben.
Noch mehr Können, noch mehr Klarheit. Man sehe sich die Modellierung der Porzellanbären an, der Hirsche und Damtiere und Rehkitze, der jungen Füchse, Dackel und Schäferhunde. Die Welpen sind so ausdrucksstark. Der „Ruhende Hirsch“von Professor T. Kärner ist wachsam, jeder Muskel vibriert, bereit zur Flucht. Ein deutsches Bestiarium: Tiere zum Hätscheln oder Tiere zum Jagen.
Am südlichen Rand des Lagers Dachau, gleich hinter den Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen, gibt es solch prachtvolle Hirsche, sorgsam eingehegt, um nach dem Abendessen mit dem Kommandanten vom Jagdhaus her abgeschossen zu werden.
Und dann gibt es Statuen der Jungen und Vollkommenen: junge Mädchen nach dem Bad, Mütter mit Kindern, Sportskanonen, ausschreitende weibliche Akte, ein Hitlerjunge in kurzen Hosen, der die Trommel schlägt, lautstark, die Augen in die Zukunft gerichtet, und ein BDM-Mädel mit Zöpfen, die ihr Gesicht umrahmen, den linken Fuß nach vorn gestellt. Es gibt eine Reihe von Fliegeroffizieren in voller Uniform mit Schwertern und die Figurine eines nonchalant aus dem Cockpit kletternden Piloten, einen SS-Reiter und einen SSStandartenträger. „Der Standartenträger trägt ein schön deutlich ausgeführtes SASS-Kehlstück“, heißt es im Buch für Sammler. Der Standartenträger wird nicht in den Geschäften ausgestellt und ist ein persönliches Geschenk Himmlers. Dann gibt es noch ein Mitglied der SSSturmabteilung.
Joachim von Ribbentrop, der deutsche Botschafter in London, kauft sie, um sie Persönlichkeiten der Gesellschaft zu überreichen, von denen er das Gefühl hat, sie verstünden die Komplexität des Reichs. Ein Allacher SS-Mann der Sturmabteilung endet auf dem Kaminsims des Earl of Londonderry in Nordirland. Die begehrteste aller Figurinen war die eines muskulösen jungen Mannes mit nacktem Oberkörper, der sich auf seinen Degen stützt: der Fechter. Eine solche erhielt nur die Parteielite. Und ich finde ein formelles Porträt von Reinhard Heydrich. Heydrich war Vorsitzender der Wannsee-Konferenz, auf der die Pläne für den Holocaust ausgearbeitet wurden. Er sei, sagte Hitler, „der Mann mit dem eisernen Herzen“, zuständig für die Einsatzgruppen. Sie ermordeten eine Million Juden. Er war Fechter. Der Fechter steht auf einem Tisch neben ihm, eine weiße Trophäe, „ein Omen im Gebein / Der Schreckensnäh des Todes“.
Weiß deckt so viel zu
Das Schwarze Korps, die Zeitung der SS, berichtet am 1. April 1939 von der Eröffnung des neuen Allacher Geschäfts in der Leipziger Straße 13 in Berlin. Sie zitiert Hitler. Bei der Besichtigung des Porzellans hatte er verkündet: „Kein Volk lebt länger als die Dokumente seiner Kultur.“Diese Worte des „Führers“seien ein Motto, schreibt die Zeitschrift. Alles, was geschaffen werde, werde von den Nachkommenden kritisch beurteilt werden, und man wolle sich nicht deren Abschätzigkeit aussetzen. Das neue Geschäft ist wirklich schick, zwei riesige Fenster flankieren den Eingang, Wandlaternen beleuchten es während der ganzen Nacht, über der Tür steht der Name ALLACH. (...) 1941 und 1942, während die Wehrmacht nach Osten vorstieß, wurden in den neuen Städten des Reichs, Warschau, Posen und Lemberg, neue Geschäfte für Allacher Porzellan eröffnet.
Der Julfest-Teller für 1943, den führende SS-Mitglieder erhielten, zeigt rosa Krokusse, die schneebedeckter Erde entsprießen. Auf der Rückseite ist ein Faksimile von Pohls Unterschrift, umgeben von einem Kreis Runen. Am 14. Januar 1943 schreibt Himmler an Oswald Pohl, dass er das Allacher Geschäft in Posen besucht habe: „Wir hatten in Allach einen sehr schönen Adler in Ton, und zwar in matt. Diesen Adler sehe ich nun in dem Geschäft in Posen glasiert! Er sieht schauerlich aus. Ich bitte, daß dies sofort geändert wird.“Es könne doch nicht zu schwierig sein, ihm die erste Probe zu schicken, die produziert werde, und seine Meinung einzuholen. Und die Belegschaft sei zu jung. Sie sollte im Krieg nicht an solch exponierter Stelle arbeiten. „Ich will doch wirklich nicht, was zu den wenigen Dingen gehört, die positiv sind und die mir Freude machen, jedesmal mich ärgern.“
Details sind Himmler wichtig. Er zählt auf Pohl, sie sind in ständiger Verbindung. Am 6. Februar schickt Pohl Himmler, wie verlangt, ein Inventar der Gegenstände, die Juden in Auschwitz abgenommen wurden. 155.000 Frauenmäntel, 132.000 Männerhemden, 11.000 Knabenjacken, 3000 Kilo Frauenhaar.
Es gibt jetzt ein sehr elegantes Geschäft in Warschau. Passanten werfen einen Blick hinein, eine Frau im Pelzmantel zögert an der Schwelle. Das Porzellan ist ein großer Erfolg, die kommende Sache, in Bewegung, findet neues Publikum.
Die meisten dieser Figuren waren weiß. Das geschah auf Verlangen Himmlers. Sie waren entweder weiß glasiert oder unglasiertes Biskuitporzellan. Die Produktionszahlen des weißen übertrafen die des farbigen Porzellans bei weitem. In weißem Porzellan verkörpere sich die deutsche Seele, heißt es im ersten Allacher Katalog. Das Weiß dieser Porzellanhaut ist das Weiß von Marmoroberflächen, das Weiß der Vollkommenheit griechischer Statuen in den Berliner und Münchner Museen. Das Pergamon-Museum, in dem die bedeutendsten Skulpturen der Antike zu sehen sind, ist das weißeste Gebäude im Reich. Die Allacher Porzellanfiguren richten sich nach den Vorgaben des deutschen Kunstkritikers Johann Joachim Winckelmann: „Da nun die weiße Farbe diejenige ist, welche die mehresten Lichtstrahlen zurückschicket … so wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weißer er ist.“
Dies ist Körperkult, die fetischisierte Glätte und die korrekten Proportionen, die Sauberkeit, die Asexualität. Sie sind für Männer gedacht. Das ist Porzellan zum Befühlen, zum Sammeln. Man kann die Akte kaufen. Oder sich eine Garnitur SS-Männer zulegen und seinen Offizierskollegen zeigen, wie exakt die Insignien gestaltet sind, während man sich nach der Erfüllung seiner Pflichten erholt.
Ich denke an Susan Sontag und was sie über die Filme von Leni Riefenstahl und den „Gegensatz zwischen rein und unrein, zwischen dem Unbestechlichen und dem Korrupten, dem Geistigen und dem Körperlichen“geschrieben hat. Das Weiß spürt Degeneriertheit auf.
Ich erinnere mich an Ezra Pound in Rapallo, er schreibt wie besessen Briefe, beschimpft die Juden, beschimpft alle und jeden. Und schreibt in seinem Canto LXXIV: „Was für ein Weiß magst du auf solches Weiß noch setzen, was für Lauterkeit?“Weiß gibt Aufrichtigkeit vor, deckt so viel zu, deckt zu viel zu. Das ist die Geschichte ohne Menschen.
Edmund de Waal, geb. 1964 in Nottingham, ist britischer Keramiker und Autor. Er stellt am 28. 9., 19 Uhr, im Wiener Palais Ephrussi sein neues Buch vor. Die Ausstellung „During the Night. Edmund de Waal meets Albrecht Dürer“läuft von 11. 10. bis 29. 1. 2017 im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Edmund de Waal, „Die weiße Straße“. € 26,80 / 464 Seiten. Hanser, 2016
ALBUM Mag. Mia Eidlhuber (Redaktionsleitung) E-Mail: album@derStandard.at
Klar sein bedeutet gewandt zu sein und Geschichten gut zu erzählen, ohne Dunkelheiten. Entartete Kunst ist schlecht gemacht, bloß angedeutet, ungeschickt. Unklar.
Dies ist Körperkult, die fetischisierte Glätte und die korrekten Proportionen, die Sauberkeit, die Asexualität. Sie sind für Männer gedacht. Das ist Porzellan zum Befühlen, zum Sammeln.