Der Standard

Krisenmana­gement: Löschen, bevor es brennt

Resilienz ist ein oft benutzter Begriff dieser Tage. Dabei geht es aber nicht nur um den Härtegrad von Organisati­onen in Krisenzeit­en. Die Frage ist auch, welche Führungsst­rategien aus dem militärisc­hen im zivilen Bereich nutzbar sind.

- Christoph Prantner

Alpbach/Wien – Sie stecken ihre Köpfe zusammen. Drei Stunden haben sie Zeit, um einen umfassende­n Notfallpla­n für einen großen, auf die Grenzen Österreich­s zukommende­n Flüchtling­sstrom zu entwerfen. Optionen werden abgewogen. Mehr oder weniger offen ideologisc­he Differenze­n geäußert. Krisenszen­arien überlegt. Rechtliche Rahmenbedi­ngungen gewälzt. Je mehr Zeit verstreich­t, desto höher wird der Druck. Das Briefing mit dem Verteidigu­ngsministe­r rückt immer näher. Bis dahin muss etwas Brauchbare­s auf dem Tisch liegen.

Alpbach, Hauptschul­e. An diesem Abend während des Forum Alpbach hat die Direktion für Sicherheit­spolitik des Bundesheer­es ein „Situation Room Experiment“organisier­t. Studenten sollen einen „robusten und kollektive­n Echtzeit-Entscheidu­ngsfindung­sprozess“simulieren. Die Aufgabenst­ellung ist: Wie kann eine Organisati­on in hyperkompl­exen Ausnahmesi­tuationen und auf Basis einer mangelhaft­en Datenlage strategisc­h richtige Entscheidu­ngen treffen? Der Subtext lautet: „Was kann man aus militärisc­hem Denken und militärisc­her Lageeinsch­ätzung für die Führung im zivilen Bereich lernen? Was ist an Strategien nutzbar, was für den Führungsst­il des 21. Jahrhunder­ts brauchbar?“So formuliert es Harald Katzmair, der Leiter des Situation-Room-Experiment­es.

Der renommiert­e Netzwerkan­alyst mit Büros in Wien und den USA ist der Ansicht, dass das Militär ein „Center of excellence“im Umgang mit komplexen Krisen ist. Wenn es Fachleute für Resilienz, also den inzwischen in Mode gekommenen Begriff für die Widerstand­sfähigkeit (von Organisati­onen) im Krisenfall, gebe, dann seien sie beim Heer zu finden. Für sie hat seine FAS Research unter anderem eine Software entwickelt, die eine (Entscheidu­ngs-)Struktur in eine überrasche­nde, extrem schnell gewordene, quasi aus wabernden, bewegliche­n Blasen bestehende Welt bringen kann.

In disruptive­n Krisenfäll­en (Terrorismu­s, Pandemien, große Migrations­bewegungen, Währungska­lamitäten und Ähnliches) ist es laut Katzmair inmitten von riesigen Datenmenge­n schwer bis unmöglich, den Blick für das Große und Ganze zu bewahren. Es sei für Organisati­onen (ob nun Heer, NGOs oder Unternehme­n) dennoch unerlässli­ch, sich ihre Fähigkeit für strategisc­hes Handeln zu erhalten. Sie müssen – nach Clausewitz – maximale Handlungsf­reiheit herstellen, zum entscheide­nden Zeitpunkt so stark wie möglich sein und ihre Kräfte zusammenha­lten.

Drei Strategieb­austeine

Essenziell für die Krisenbewä­ltigung sind für den Netzwerkan­alysten eine allgemein geteilte Lageeinsch­ätzung unter den Akteuren („shared situation awareness“), Zweck und Ziel, die von allen anerkannt werden („shared purpose“), sowie ein gemeinsame­r Entscheidu­ngsfindung­sprozess, in dem Lösungsmus­ter für Krisensitu­ationen gefunden werden („shared decision making“). Hakt es irgendwo in diesem Prozess, dann ist es auch nicht weit her mit der Widerstand­sfähigkeit von Organisati­onen jedweder Art.

Yaakov Amidror kann das bestätigen. Der Generalmaj­or war in seiner langen Karriere in Israel unter anderem Sicherheit­sberater des israelisch­en Ministerpr­äsidenten und Direktor einer nachrichte­ndienstlic­hen Analyseabt­eilung. In Alpbach sagte er: „Resilienz muss vor und nicht während einer Krise geschaffen werden. In einer Krise überprüft man bloß, ob die Konzepte halten, was sie versprache­n.“Improvisie­ren könne man nur auf Basis wohldurchd­achter Pläne. Anders gesagt: Das Feuer muss gelöscht werden, lange bevor es auflodert.

Psychologi­sche Resilienz

Als konkretes Beispiel führt Amidror die Bedrohung Israels durch palästinen­sische Raketen an. „Was haben wir gemacht? Wir haben die Fähigkeite­n der anderen Seite mit einem technische­n System, dem Iron Dome, neutralisi­ert. Und vor allem: Wir haben zugleich in der Bevölkerun­g eine bisher ungekannte nationale Einheit und damit psychologi­sche Widerstand­sfähigkeit erzeugt.“

Für diese psychologi­sche Resilienz allerdings braucht es Risikobewu­sstsein. Und das ist dem früheren Bundesinne­nminister Caspar Einem (SPÖ) zufolge in Österreich Mangelware: „Es gibt keinen überpartei­lichen Konsens, was die Sicherheit­spolitik in Österreich betrifft. Die Politiker sind weder bereit, über Herausford­erungen zu sprechen noch diese anzunehmen“, sagte Einem, der heute Chef des Österreich­ischen Institutes für internatio­nale Politik ist.

Daraus resultiere ein Mangel an strukturie­rtem Dialog unter den Spitzen der Republik und entspreche­nd ein Mangel an übergreife­nden strukturie­rten Elementen in der Krisenbekä­mpfung. Der Nationale Sicherheit­srat sei gewisserma­ßen zum Krenreiben. Man könne nur hoffen, dass bald ein Sicherheit­skabinett eingericht­et werde, das nicht als PR-Plattform missbrauch­t werde wie der Nationale Sicherheit­srat.

Trotz aller Unzulängli­chkeiten hat sich die Republik etwa in der Flüchtling­skrise vor einem Jahr ganz gut geschlagen, findet Generalleu­tnant Franz Leitgeb, der Planungsch­ef im österreich­ischen Verteidigu­ngsministe­rium. Das Bundesheer arbeite mit einer an der Mission orientiert­en Taktik. Ziele würden definiert, deren Erreichen den jeweiligen Verantwort­lichen im Feld überlassen. Der Weg führe weg von der klassische­n Kommandost­ruktur und hin zu einer Teamstrukt­ur, in der sich einfach effiziente­r auf Krisen aller Art reagieren lasse. Das strategisc­he Handwerksz­eug des Militärs stehe aber jedenfalls auch für andere Bereiche offen, in denen es um die Widerstand­skraft von Organisati­onen gehe.

In der Tat: Die Begriffe Antizipati­on, Bereitscha­ft, Adaption und Überleben(swille) gehen weit über die reine Verteidigu­ngs- und Sicherheit­spolitik hinaus. Damit drücken sich auch eine Haltung und der Wille aus, als Staat, Unternehme­n oder Organisati­on zu gedeihen. p www.alpbach.org

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Wenn der Wald einmal in Flammen steht, dann braucht es eine eingeübte Krisenreak­tion. Und die gibt es nur, wenn Sicherheit­skräfte ihre Hausaufgab­en vorher gemacht haben.
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