Krisenmanagement: Löschen, bevor es brennt
Resilienz ist ein oft benutzter Begriff dieser Tage. Dabei geht es aber nicht nur um den Härtegrad von Organisationen in Krisenzeiten. Die Frage ist auch, welche Führungsstrategien aus dem militärischen im zivilen Bereich nutzbar sind.
Alpbach/Wien – Sie stecken ihre Köpfe zusammen. Drei Stunden haben sie Zeit, um einen umfassenden Notfallplan für einen großen, auf die Grenzen Österreichs zukommenden Flüchtlingsstrom zu entwerfen. Optionen werden abgewogen. Mehr oder weniger offen ideologische Differenzen geäußert. Krisenszenarien überlegt. Rechtliche Rahmenbedingungen gewälzt. Je mehr Zeit verstreicht, desto höher wird der Druck. Das Briefing mit dem Verteidigungsminister rückt immer näher. Bis dahin muss etwas Brauchbares auf dem Tisch liegen.
Alpbach, Hauptschule. An diesem Abend während des Forum Alpbach hat die Direktion für Sicherheitspolitik des Bundesheeres ein „Situation Room Experiment“organisiert. Studenten sollen einen „robusten und kollektiven Echtzeit-Entscheidungsfindungsprozess“simulieren. Die Aufgabenstellung ist: Wie kann eine Organisation in hyperkomplexen Ausnahmesituationen und auf Basis einer mangelhaften Datenlage strategisch richtige Entscheidungen treffen? Der Subtext lautet: „Was kann man aus militärischem Denken und militärischer Lageeinschätzung für die Führung im zivilen Bereich lernen? Was ist an Strategien nutzbar, was für den Führungsstil des 21. Jahrhunderts brauchbar?“So formuliert es Harald Katzmair, der Leiter des Situation-Room-Experimentes.
Der renommierte Netzwerkanalyst mit Büros in Wien und den USA ist der Ansicht, dass das Militär ein „Center of excellence“im Umgang mit komplexen Krisen ist. Wenn es Fachleute für Resilienz, also den inzwischen in Mode gekommenen Begriff für die Widerstandsfähigkeit (von Organisationen) im Krisenfall, gebe, dann seien sie beim Heer zu finden. Für sie hat seine FAS Research unter anderem eine Software entwickelt, die eine (Entscheidungs-)Struktur in eine überraschende, extrem schnell gewordene, quasi aus wabernden, beweglichen Blasen bestehende Welt bringen kann.
In disruptiven Krisenfällen (Terrorismus, Pandemien, große Migrationsbewegungen, Währungskalamitäten und Ähnliches) ist es laut Katzmair inmitten von riesigen Datenmengen schwer bis unmöglich, den Blick für das Große und Ganze zu bewahren. Es sei für Organisationen (ob nun Heer, NGOs oder Unternehmen) dennoch unerlässlich, sich ihre Fähigkeit für strategisches Handeln zu erhalten. Sie müssen – nach Clausewitz – maximale Handlungsfreiheit herstellen, zum entscheidenden Zeitpunkt so stark wie möglich sein und ihre Kräfte zusammenhalten.
Drei Strategiebausteine
Essenziell für die Krisenbewältigung sind für den Netzwerkanalysten eine allgemein geteilte Lageeinschätzung unter den Akteuren („shared situation awareness“), Zweck und Ziel, die von allen anerkannt werden („shared purpose“), sowie ein gemeinsamer Entscheidungsfindungsprozess, in dem Lösungsmuster für Krisensituationen gefunden werden („shared decision making“). Hakt es irgendwo in diesem Prozess, dann ist es auch nicht weit her mit der Widerstandsfähigkeit von Organisationen jedweder Art.
Yaakov Amidror kann das bestätigen. Der Generalmajor war in seiner langen Karriere in Israel unter anderem Sicherheitsberater des israelischen Ministerpräsidenten und Direktor einer nachrichtendienstlichen Analyseabteilung. In Alpbach sagte er: „Resilienz muss vor und nicht während einer Krise geschaffen werden. In einer Krise überprüft man bloß, ob die Konzepte halten, was sie versprachen.“Improvisieren könne man nur auf Basis wohldurchdachter Pläne. Anders gesagt: Das Feuer muss gelöscht werden, lange bevor es auflodert.
Psychologische Resilienz
Als konkretes Beispiel führt Amidror die Bedrohung Israels durch palästinensische Raketen an. „Was haben wir gemacht? Wir haben die Fähigkeiten der anderen Seite mit einem technischen System, dem Iron Dome, neutralisiert. Und vor allem: Wir haben zugleich in der Bevölkerung eine bisher ungekannte nationale Einheit und damit psychologische Widerstandsfähigkeit erzeugt.“
Für diese psychologische Resilienz allerdings braucht es Risikobewusstsein. Und das ist dem früheren Bundesinnenminister Caspar Einem (SPÖ) zufolge in Österreich Mangelware: „Es gibt keinen überparteilichen Konsens, was die Sicherheitspolitik in Österreich betrifft. Die Politiker sind weder bereit, über Herausforderungen zu sprechen noch diese anzunehmen“, sagte Einem, der heute Chef des Österreichischen Institutes für internationale Politik ist.
Daraus resultiere ein Mangel an strukturiertem Dialog unter den Spitzen der Republik und entsprechend ein Mangel an übergreifenden strukturierten Elementen in der Krisenbekämpfung. Der Nationale Sicherheitsrat sei gewissermaßen zum Krenreiben. Man könne nur hoffen, dass bald ein Sicherheitskabinett eingerichtet werde, das nicht als PR-Plattform missbraucht werde wie der Nationale Sicherheitsrat.
Trotz aller Unzulänglichkeiten hat sich die Republik etwa in der Flüchtlingskrise vor einem Jahr ganz gut geschlagen, findet Generalleutnant Franz Leitgeb, der Planungschef im österreichischen Verteidigungsministerium. Das Bundesheer arbeite mit einer an der Mission orientierten Taktik. Ziele würden definiert, deren Erreichen den jeweiligen Verantwortlichen im Feld überlassen. Der Weg führe weg von der klassischen Kommandostruktur und hin zu einer Teamstruktur, in der sich einfach effizienter auf Krisen aller Art reagieren lasse. Das strategische Handwerkszeug des Militärs stehe aber jedenfalls auch für andere Bereiche offen, in denen es um die Widerstandskraft von Organisationen gehe.
In der Tat: Die Begriffe Antizipation, Bereitschaft, Adaption und Überleben(swille) gehen weit über die reine Verteidigungs- und Sicherheitspolitik hinaus. Damit drücken sich auch eine Haltung und der Wille aus, als Staat, Unternehmen oder Organisation zu gedeihen. p www.alpbach.org