Corbyn betont Labours Regierungswillen
Nach seiner Wiederwahl als Chef der oppositionellen Labour-Partei hat Jeremy Corbyn am Mittwoch sein Programm dargelegt. Der Chef der britischen Sozialdemokraten wehrte sich gegen Vorwürfe, der Partei fehle unter seiner Führung der Gestaltungswille.
Eine Zuwanderungsbeschränkung als Konsequenz aus der BrexitEntscheidung kommt für die britische Labour-Opposition nicht infrage. Seine Partei werde nicht „mit falschen Versprechungen Öl ins Feuer der Angst“gießen, sagte der soeben wiedergewählte Vorsitzende Jeremy Corbyn am Mittwoch zum Abschluss des Jahrestreffens in Liverpool. Immigranten hätten zum Wohlstand des Landes beigetragen und seien in vielen Branchen unverzichtbar.
Statt Einwanderer zu dämonisieren, gelte es die echten Probleme zu bekämpfen, die mit der wachsenden Bevölkerung einhergehen. So werde eine zukünftige Labour-Regierung die Kommunen entlasten und Investitionen für mehr Schulen und Krankenhäuser bereitstellen. „Und wir werden die Ausbeutung ausländischer Arbeitnehmer beenden, welche die Arbeitsbedingungen von Einheimischen erschwert.“
Zentrale Einwanderungsfrage
Drei Monate nach dem knappen Votum der Bevölkerung für den Austritt aus der EU wird in Regierungsstuben und Thinktanks heftig über die Konsequenzen debattiert. Politikwissenschafter und Demoskopen glauben ermittelt zu haben, dass die hohe Nettozuwanderung von zuletzt etwa 330.000 Menschen jährlich einen entscheidenden Beitrag zum Brexit leistete. „Das war absolut zentral“, sagt etwa Politik-Professor Matthew Goodwin von der University of Kent. Von der Personenfreizügigkeit im EU-Binnenmarkt haben in den vergangenen 15 Jahren Mil- lionen von Mittel- und Osteuropäern Gebrauch gemacht. Erst kürzlich lösten Polen die Einwanderer aus Indien als größte Immigrantengruppe ab.
Der mit vergrößertem Mandat (61,8 Prozent) wiedergewählte Parteichef gab sich in seiner 50-minütigen Ansprache gelassen und selbstbewusst. Noch vor Jahresfrist hatte Corbyn sich unklar zu der Frage geäußert, ob er wirklich Premierminister werden wolle. Diesmal sprach der Oppositionsführer von den Plänen „der Regierung, die zu führen ich entschlossen bin“. Allerdings legen die Umfragen nahe, dass der Weg bis dorthin weit ist. Eine Online-Befragung von BMG Research ergab vergangene Woche: 38 Prozent der Briten und 29 Prozent der LabourWähler geben Labour „fast keine Chance“auf den Sieg bei der nächsten Unterhauswahl, die freilich erst 2020 ansteht. Bei der Donnerstagsfrage – auf der Insel wird donnerstags gewählt – entschieden sich 39 Prozent für die Konservativen und 28 für Labour. Der Wert liegt noch unter dem schlechten Ergebnis von 2015.
Ausdrücklich warnte Corbyn seine Anhänger daher vor einer vorgezogenen Neuwahl schon im kommenden Jahr. Dafür gelte es alle Kräfte zu konzentrieren: „Wir müssen die Grabenkämpfe beenden, Vertrauen und Unterstützung wiedergewinnen.“Dies sei nur mit einer geeinten Partei möglich. Damit setzte er die rebellischen Mitglieder der Unterhausfraktion unter Druck, die ihm im Juli mit 80-prozentiger Mehrheit das Misstrauen ausgesprochen hatten. Gro- ße Teile der „Schattenkabinett“genannten Führungsmannschaft verweigerte dem ungeliebten Chef die Gefolgschaft. Allerdings werde eine „nicht unbedeutende Zahl“von Corbyn-Skeptikern schon kommende Woche ins Schattenkabinett zurückkehren, kündigte ein Sprecher des Parteichefs an. Darunter seien auch „Überraschungen“.
Prominente Vertreter der Parteimitte haben aber klargemacht, dass sie unter dem Linksaußen nicht ins Führungsteam zurückkehren wollen. Chuka Umunna und Yvette Cooper bewerben sich stattdessen um den Vorsitz des mächtigen Innenausschusses, der entlassene außenpolitische Sprecher Hilary Benn will als Chef des neuen Brexit-Ausschusses die Parlamentskontrolle der EU-Austrittsverhandlungen organisieren.
Nach der Niederlage für Corbyns Herausforderer Owen Smith stand das Liverpooler Treffen im Zeichen des 67-jährigen Siegers. Seit Corbyns Kandidatur und Wahl im Sommer 2015 hat sich die Zahl der Mitglieder verdreifacht und liegt nun bei 680.000.