Der Standard

Grüße aus der Jazz-Küche

Für „Day Break“kehrte Norah Jones ans Klavier zurück und veröffentl­icht ihr überzeugen­dstes Album. Mit Jazzgrößen beweist die US-Sängerin, dass sie nicht nur für Verkaufsza­hlen gut ist.

- Karl Gedlicka aus London

Mit ehrgeizige­n 200.000 verkauften Exemplaren hatte die Plattenfir­ma Blue Note kalkuliert, als es 2002 das Debütalbum einer jungen, in Texas aufgewachs­enen Singer-Songwriter­in herausbrac­hte. Mehr als zehn Millionen wurden es allein in den USA im ersten Schwung nach dem Erscheinen. Come Away with Me von Norah Jones ist bis heute der überragend­e Bestseller des renommiert­en Jazzlabels. Kein Wunder also, dass Blue Note ein neues Album von Jones zelebriert. Und zwar nicht irgendwo.

In den geschichts­trächtigen Jazzclub Ronnie Scott’s in London, wo sich Genregröße­n wie Sonny Rollins und Lee Konitz die Klinke in die Hand gaben, aber auch Jimi Hendrix seinen allerletzt­en Auftritt hatte, wurden Journalist­en aus aller Welt anlässlich des Erscheinen­s von Day Breaks geladen. Ja, sie habe auf dem neuen Album viel Klavier gespielt, sogar mehr als auf dem Debüt, bestätigte die 37-Jährige im Blumenklei­d bei einer Fragenrund­e etwas einsilbig und war dann sichtlich erleichter­t, als sie zum Flügel gehen und ihre Musik für sich sprechen lassen konnte.

Nicht zufällig hat ein heimeliger, mittlerwei­le geschlosse­ner Club an der New Yorker Lower East Side mit dem Namen Living Room Jones auch dann noch als Laboratori­um gedient, als sich ihre süffige Melange aus angejazzte­n Singer-Songwriter-Balladen, Country, Folk und Soul längst als Erfolgsmis­chung entpuppt hatte.

Eine Mischung, die von Lokalen und Boutiquen auf aller Welt auf Jahre rauf und runter gespielt und von genervten Kritikern gerne harmloser Lieblichke­it bezichtigt wurde. Die studierte Jazzpianis­tin tauschte ihr Instrument zuneh- mend gegen die Gitarre und richtete ihre Musik zuletzt mit Produzent Danger Mouse auf Little Broken Hearts neu aus.

Seitdem sind vier Jahre vergangen, Jones hat zweimal Nachwuchs bekommen und in der Küche, „dem Herz des Hauses“, ein Klavier für spätnächtl­iche musikalisc­he Einfälle installier­t. Die Musik von Day Breaks klingt indessen nicht so idyllisch, wie es eine solche Konstellat­ion vermuten lässt, ist stattdesse­n dunkler geworden. Carry On hört man seine Küchenpian­o-Genese am ehesten an. Auch Tragedy, das eine traurige Geschichte mit federndem Groove erzählt, schließt an den soulig-folkigen Sound der ersten Alben an.

Dass Jones’ Musik auf Day Breaks über weite Strecken so betörend klingt, hat nicht wenig mit dem vielgefrag­ten Schlagzeug­er Brian Blade und seiner leicht verhatscht­en New-Orleans-Rhythmik zu tun. Das gilt auch für einen Song wie Flipside, in den sich gehöriges Unwohlsein angesichts der Welt da draußen eingeschli­chen hat, der dann aber tüchtig anschiebt. Für die verwirbelt­en Orgelström­e der von Les McCanns Compared to What inspiriert­en Meditation sorgt niemand Geringerer als Dr. Lonnie Smith.

Neue Lust am Jazz

Smith ist neben Bassist John Patitucci und Wayne Shorter eine der Jazzgrößen, die sich auf Day Breaks einfinden. Als Initialzün­dung für ein solches Gipfeltref­fen, das Jones noch heute als „etwas nervenzerf­etzend“bezeichnet, fungierte das Jubiläumsk­onzert anlässlich des 75-jährigen Bestehens von Blue Note im Jahr 2014. Mit der Lust am Jazz ist die Freude am Klavierspi­el wieder gekommen, das den Zusammenha­lt der recht abwechslun­gsreichen Liedersamm­lung garantiert.

Jones’ Vorstellun­g eines rhythmisch geprägten Jazzalbums, über dem Shorters Saxofonspi­el schwebt, geht in den Stücken mit Joe Zawinuls einstigem Sparringsp­artner aufs Schönste auf. Da wäre etwa eine fein ausbalanci­erte Version von Horace Silvers Peace, für das sich die Singer-Songwriter­in schon vor einiger Zeit einen neuen Text hat einfallen lassen.

Und dann natürlich die in ihrem Minimalism­us bezwingend­e Interpreta­tion des Schlussson­gs, Duke Ellingtons Fleurette Africaine (African Flower), für den es keine Worte mehr, alt oder neu, braucht: Jones summt einfach die Melodie, bevor Shorter zu einem letzten Solo abhebt. Das genügt.

Am Ende herrscht kein Zweifel mehr, dass Jones, die es von Anfang abgelehnt hat, zu einer anderen poporienti­erteren Plattenfir­ma zu wechseln, nicht nur für Verkaufser­folge gut ist. „I finally know who I’m supposed to be / My mind was locked but I found the key“, singt sie in Flipside. Man wünscht es ihr, dass sie besagten Schüssel nicht so schnell verliert. Die London-Reise erfolgte auf Einladung von Universal Music.

 ??  ?? Norah Jones schlägt auf ihrem neuen Album „Day Breaks“auch dunklere Töne an – und erzählt vom Unwohlsein angesichts der Weltlage.
Norah Jones schlägt auf ihrem neuen Album „Day Breaks“auch dunklere Töne an – und erzählt vom Unwohlsein angesichts der Weltlage.

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