Die kleinsten Maschinen der Welt
Der diesjährige Nobelpreis in Chemie geht an die Konstrukteure von Maschinen im Nanoformat: Der Franzose Jean-Pierre Sauvage, der Schotte Sir J. Fraser Stoddart und der Niederländer Bernard Feringa bauen aus Molekülen Aufzüge, Rotoren und sogar Autos.
Stockholm/Wien – Nicht wenige dürften darauf gewettet haben, dass der heurige Chemienobelpreis an die Entwicklerinnen der Genschere CRISPR/Cas9 geht – doch Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna gingen erneut leer aus. Ausgezeichnet wurden stattdessen Forscher, die in einem nicht weniger spannenden Feld Herausragendes vollbracht haben: Der Preis ging zu je einem Drittel an den Franzosen JeanPierre Sauvage, den in den USA arbeitenden Schotten Sir J. Fraser Stoddart und den Niederländer Bernard L. Feringa, und zwar für das „Design und die Synthese von molekularen Maschinen“, wie die offizielle Begründung der Königlich Schwedischen Akademie lautete.
Neue Dimension
Die besondere Leistung der heurigen Laureaten besteht in der Entwicklung von Molekülen, die bei Zufuhr von Energie steuerbare Bewegungen ausführen können. Die Akademie betonte unter Verweis auf die Computerentwicklung, wie Miniaturisierung von Technologie zu einer Revolution führen kann. Die drei Nobelpreisträger hätten Maschinen miniatu- risiert, wodurch die Chemie in eine neue Dimension vorgestoßen sei.
Wie klein kann man Maschinen machen? Das war eine Frage, die der US-amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman 1984 in einer berühmten Rede stellte – ebenjener Feynman, der bereits in den 1950er-Jahren prophetische Bemerkungen zum Forschungsbereich der Nanotechnologie angestellt hatte. Bei der Herstellung solcher ultrakleinen Maschinen gab es zwar viele Rückschläge, aber kurz vor Feynmans Rede hatte es in Frankreich auch einen Durchbruch gegeben.
Diesen ersten Schritt in Richtung einer molekularen Maschine unternahm 1983 Jean-Pierre Sauvage. Der 1944 in Paris geborene Chemiker, Emeritus an der Universität Straßburg, verknüpfte zwei ringförmige Moleküle wie zwei Kettenglieder miteinander. Chemiker bezeichnen solche Verbindungen als Catenane. Normalerweise sorgt die sogenannte kovalente Bindung der Atome, eine chemische Bindung über gemeinsame Elektronen, für den starren Zusammenhalt der Moleküle.
In Catenanen hingegen wirkt eine freiere mechanische Bindung, was als Grundvoraussetzung für eine molekulare Maschine gilt. Für das Nobel-Komitee war dies gleichsam „der erste Embryo einer nichtbiologischen molekularen Maschine“.
Den zweiten Schritt unternahm Fraser Stoddart im Jahr 1991, als er ein sogenanntes Rotaxan entwickelte. Dafür verband der 1942 in Edinburgh (Großbritannien) geborene Chemiker von der Northwestern University in Evanston (Illinois) ein Ringmolekül mit einer molekularen Achse und zeigte damit, dass der Ring in der Lage ist, sich entlang der Achse zu bewegen. Auf dieser Basis entstanden auch ein molekularer Lift, ein „molekularer Muskel“und ein molekülbasierter Computerchip.
Bernard Feringa schließlich war 1999 der Erste, der ein Motorprotein konstruierte – ein molekulares Rotorblatt, das sich kontinuierlich in dieselbe Richtung dreht. Mit solchen Motorproteinen gelang es dem 1951 in Barger-Compascuum (Niederlande) geborenen Forscher von der Universität Groningen, einen Glaszylinder rotieren zu lassen, der 10.000-mal größer war als das Protein.
Allradauto im Nanoformat
Spektakulärer noch war jene Konstruktion, die Feringa im November 2011 auf der Titelseite von Nature präsentierte: Der Chemiker designte gemeinsam mit Kollegen von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) aus einzelnen Molekülen ein Auto im Nanoformat. Das nur zwei mal vier Nanometer kleine Nanocar wird über die Spitze eines Rastertunnelmikroskops mit Strom versorgt und bewegt sich per Allradantrieb fort.
Welche konkreten Anwendungen dieses junge Forschungsgebiet noch hervorbringen wird, ist vorerst noch gar nicht absehbar. Viele Wissenschafter sehen sein größtes Potenzial in der Medizin. Davon ist auch Feringa überzeugt, der bei der Nobelpreis-Pressekonferenz zugeschaltet war. Er glaubt, dass man solche Nanogeräte eines Tages durch unseren Körper schicken wird.
Von der Nachricht über die Auszeichnung zeigte sich Feringa überwältigt. „Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und war ein bisschen geschockt“, sagte der Forscher. „Meine zweite Reaktion war, dass ich mich sehr geehrt fühle und dass es mich berührt.“