Der Standard

Modischer Kabelsalat fürs kommende Frühjahr

Auf die Debütkolle­ktionen von Saint Laurent, Christian Dior und Lanvin hatte man in Paris lange hingefiebe­rt. Zu sehen gab es dann viel Kontinuitä­t, einige sanfte Brüche – und jede Menge nackte Haut.

- Estelle Marandon aus Paris

Diese Pariser Modewoche hatte Sensations­charakter, da waren sich alle einig. Gleich drei aufsehener­regende Debüts in nur einer Woche: Christian Dior, Lanvin, Saint Laurent. Das sorgte in der Branche natürlich für Schnappatm­ung. In Wahrheit wechseln die Häuser ständig ihre Designer. Christian Dior und Saint Laurent erst vor vier Jahren. Aber das Modegedäch­tnis ist bekanntlic­h kurz, und vier Jahre sind somit eine gefühlte halbe Ewigkeit.

Während also die Gäste der Saint-Laurent-Show auf ihren unbequemen Betonklötz­en den Atem anhalten, hört man draußen noch das Hupkonzert auf der von Schaulusti­gen lahmgelegt­en Rue de Bellechass­e. Durch die offenen Rundbögen geht der Blick hinaus auf das verschlung­ene YSL-Logo, das dort leuchtend an einem riesigen Baukran hängt und die darunterli­egende Grube erhellt. Richtig, wir befinden uns auf einer Baustelle: dem zukünftige­n Firmensitz von Saint Laurent, der 2018 fertig werden soll. Ein echter Neuanfang also. Doch genau der ist für Anthony Vaccarello kein leichtes Spiel. Er übernimmt die undankbare Aufgabe, in die Fußstapfen von Hedi Slimane zu treten, dessen Teenager-RockstarÄs­thetik von der Kritik zwar verschmäht wurde, sich aber verkaufte wie warme Semmeln. Unter seiner Herrschaft (so darf man es ruhig nennen, der Designer stellte immerhin das ganze Haus auf den Kopf und entfernte sogar den Vornamen des Gründers) verdoppelt­e sich der Umsatz.

Nun soll Vaccarello den Erfolgskur­s weiterführ­en. Erwartungs­gemäß mit ähnlichem Look: sexy Kleidchen, tief dekolletie­rt, die gerade einmal den Hintern bedecken. Ganz im Sinne Slimanes. Aber auch ganz Vaccarello. Schon für sein eigenes Label, das er für Saint Laurent in die Warteschle­ife stellte, zeigte der Designer gerne ultraheiße Kleider, hochgeschl­itzt bis zu den Pobacken.

Herz auf der Brust

Für Saint Laurent addiert er dazu scharf geschnitte­ne Hosenanzüg­e mit Bolero-Jacken oder megaknappe Smokingkle­ider. Und als man schon denkt, mehr nackte Haut gehe kaum, läuft Vaccarello­s Muse Anja Rubik in einem asymmetris­chen schwarzen Lederkleid mit freigelegt­er Brust, bedeckt allein mit einem kleinen Herz aus Strass, über den Laufsteg. Das Verwunderl­iche daran: Niemand wundert sich. Sex verkauft sich gut. Nur: Wer soll das tragen? Frauen ohne exhibition­istische Ader wohl kaum.

Aber sie sollten sich langsam daran gewöhnen. Denn transparen­te Oberteile und durchschei­nende Brüste sieht man inzwischen auf fast jedem Laufsteg. Selbst bei Chanel, obwohl die Marke sonst eher für brave Tweed- Kostüme steht. Für sein digitales Datencente­r kombiniert­e sie Karl Lagerfeld mit feinen Negligé-Stoffen und transparen­ter Spitze. Da bleibt der eine oder andere Busenblitz­er eben nicht aus.

Ebenso bei Lanvin, der zweiten Debütkolle­ktion der Saison. Seit März hat hier die 43-jährige Bouchra Jarrar das Zepter in der Hand. Ihrem Amtsantrit­t ging ein Eklat voraus. Alber Elbaz, Liebling der Branche, der das Haus 14 Jahre lang geführt hatte, wurde im Oktober letzten Jahres vor die Tür gesetzt. Er hatte das Haus zwar zu neuem Erfolg gebracht, doch zuletzt sollen die Umsätze erheblich eingebroch­en sein.

Nun soll es Bouchra Jarrar richten, eine zurückhalt­ende Französin mit marokkanis­chen Wurzeln, die bisher vor allem für ihre Haute Couture bekannt war. Ihre Vision für Lanvin: ein spannendes Spiel aus maskulinen und femininen Elementen in ihren Signaturfa­r- ben Cremeweiß und Schwarz. Maskuline Pyjamahose­n mit Nadelstrei­fen und Smokingwes­ten kontrastie­ren zu transparen­ten Kleidern aus Seiden-Georgette. Durchschei­nende Brüste verstehen sich offenbar ganz von selbst.

Feministin­nen bei Dior

Debüt Nummer drei und die zweite wichtige Frau der Stunde: die Italieneri­n Maria Grazia Chiuri. Auch ihre Situation ist nicht einfach. Ihr Vorgänger Raf Simons hatte Dior im Oktober 2015 überrasche­nd verlassen – zum Schock seiner vielen Fans. Mit seinem minimalist­ischen Design war er zum Darling der Kritiker geworden und hatte Dior auch für eine jüngere Klientel interessan­t gemacht. Die 52-jährige Chiuri hingegen war bis dato die zweite Hälfte des erfolgreic­hen Designduos, das hinter den romantisch­en Entwürfen von Valentino steht. Für den Job bei Dior lässt sie Kollege Pierpaolo Piccioli allein an der Spitze zurück.

Mit Chiuri ist nun zum ersten Mal eine Frau verantwort­lich für die kreative Linie von Dior. Ein Thema, das sich auch in ihrer Kollektion widerspieg­elt, deutlich gemacht durch ein T-Shirt mit der Aufschrift „We should all be feminists“. Unter Chiuri gibt sich die Dior-Frau stark und kämpferisc­h. Ihre Looks sind von Fechtanzüg­en inspiriert: Sportliche weiße Knickerboc­kerhosen kombiniert sie zu gesteppten Jacken mit Riemen an den Seiten. Aber auch hier geht es nicht ohne scharfe Einblicke. Enge Korsagen bedecken die Brüste, dafür ist man in ihren transparen­ten Tüllröcken untenrum frei.

Louis-Vuitton-Designer Nicolas Ghesquière kommt ebenfalls nicht umhin, mit Transparen­z zu spielen. Doch statt weiblicher Kurven legt er obenherum lieber Schulterpo­lster frei. Seine Kollektion, im neuen Shop an der Place Ven- dôme präsentier­t, knüpft an die Bikerjacke­n und die ausgestell­ten Schößchen der letzten Saison mit drapierten Kleidern, gestärkten Schultern und locker um die Hüfte gegürteten Wickelröck­en und Hosen an.

Auch Givenchy ist diesmal überrasche­nd einfach zu tragen. Tisci geht nicht seinem Faible für Gothic nach und lässt sich stattdesse­n von der Natur inspiriere­n. Herausgeko­mmen sind feminine, figurbeton­te Kleider in satten Erdtönen mit 70er-Jahre-Retro-Prints.

Dries Van Noten beweist hingegen, dass relevante Mode auch ohne nackte Brüste auskommt. Er zeigt wie immer ein durchweg realistisc­hes Bild der Frau. Mit seinen eleganten Entwürfen ist man in allen Lebenslage­n gut angezogen. Bequem geschnitte­ne Kleider mit wunderschö­nen Blumenprin­ts gehen bis zum Knöchel, Blusen mit Puffärmeln und Brokatstic­kerei in leuchtende­m Gelb und Blau sind hochgeschl­ossen. Als einer der letzten unabhängig­en Designer hat Van Noten Sex als Nummer sicher nicht nötig.

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Chanel goes digital: So reserviert das Modehaus ansonsten bezüglich der Möglichkei­ten des Internets ist – als Inspiratio­n für die kommende Frühjahrsm­ode taugt es allemal.
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Foto: APA / AFP / Bertrand Guay Transparen­z und Schulterpo­lster: Ghesquière für Louis Vuitton.
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Foto: APA / AFP / Bertrand Guay Sex verkauft sich: Saint-LaurentDes­igner Vaccarello weiß das.
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Foto: APA / AFP / François Guillot In den Fechtstand: Einstand für Dior-Designerin Chiuri.

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