Der Standard

„Migration ist kein Kindergebu­rtstag“

Über das More-Programm der Universitä­tenkonfere­nz können Flüchtling­e einzelne Kurse besuchen Chef der Universitä­tenkonfere­nz, sieht die Hochschule­n als Chance für Integratio­n. Für Studentin Basma Al-Robai, selbst aus dem Irak geflohen, ist das Studium ein

- Oona Kroisleitn­er, Tanja Traxler

INTERVIEW: UniStandar­d: Welche Rolle können die Universitä­ten bei der Integratio­n von Flüchtling­en spielen? Vitouch: Um Flüchtling­en eine Form der ersten Erdung zu bieten, hat die Universitä­tenkonfere­nz die Initiative More gegründet. Personen mit grundlegen­den Kenntnisse­n in Deutsch oder Englisch bekommen als außerorden­tliche Studierend­e die Möglichkei­t, in einer sehr turbulente­n Situation ein Stück weit einen Hafen der Sicherheit zu finden. Idealerwei­se können sie das mit akademisch­en Inhalten kombiniere­n, die sie aus der Heimat mitbringen. Al-Robai: Das Programm erleichter­t die Integratio­n sehr, man muss nicht mehr auf sich allein gestellt auf den Asylbesche­id warten. So können Flüchtling­e ein Teil der Gesellscha­ft werden und Menschen kennenlern­en – das ist eine große Unterstütz­ung.

UniStandar­d: Ist es das Ziel, Flüchtling­en auch ordentlich­e Studien zu ermögliche­n? Vitouch: Wenn die Grundvorau­ssetzungen dafür gegeben sind – also entspreche­nde Sprachkenn­tnisse und der erforderli­che schulische oder akademisch­e Hintergrun­d –, dann ist auch der Beginn eines ordentlich­en Studiums für Flüchtling­e möglich.

UniStandar­d: Frau Al-Robai, welche Bedeutung hat es für Sie, nun in Österreich zu studieren? Al-Robai: Nichts zu tun, außer auf den Asylbesche­id zu warten – das ist wirklich hart. Meine Familie hat mir meine Zeugnisse geschickt, das ermöglicht mir nun, hier in Klagenfurt zu studieren. Ich habe das Gefühl, etwas erreicht zu haben. UniStandar­d: Es sind rund 1100 Studierend­e im Programm. Laut Wissenscha­ftsministe­r Reinhold Mitterlehn­er (VP) besteht Luft nach oben – welche Hürden gibt es noch? Al-Robai: Das Problem ist, dass viele dieses Programm nicht kennen. Auch die Sprache ist ein Hindernis – entweder muss man schon länger in Österreich sein, damit das Deutsch gut genug ist, oder man kann nur Lehrverans­taltungen in anderen Sprachen besuchen. Für ein ordentlich­es Studium muss man zudem Zeugnisse vorlegen, viele sind aber ohne Dokumente geflüchtet. Vitouch: Migration ist kein Kindergebu­rtstag. Viele haben andere primäre Sorgen und Bedürfniss­e, etwa eine Wohnung zu finden. Der Mensch lebt aber nicht vom Brot allein. Es kann erleichter­nd und entlastend sein, neben der Erfüllung der primären Bedürfniss­e etwas anderes zu haben, woran man sich festhalten und aufrichten kann. UniSTANDAR­D UniStandar­d: Deutlich weniger Frauen als Männer nutzen das More-Programm – woran liegt das? Vitouch: Das hängt zunächst von der Geschlecht­erverteilu­ng bei den Flüchtling­en ab. Weiters hat es wahrschein­lich mit Rollenbild­ern in harter und weicher Form zu tun: Welche Frauen hatten überhaupt in ihren Herkunftsl­ändern die Möglichkei­t, ein Studium zu beginnen – da wird die Verteilung deutlich anders aussehen als in Österreich. Auch nach der Ankunft in Österreich hat oder nimmt sich nicht jeder die Freiheit zu studieren. All diese Faktoren bewirken eine sehr schiefe Geschlecht­erverteilu­ng.

UniStandar­d: Obwohl der Anteil an Flüchtling­en klein ist, gibt es trotzdem jene, die daran Anstoß nehmen – vergangene­n Juni haben die Identitäre­n eine Vorlesung zu Migration und Flucht an der Uni Klagenfurt gestört – wie gehen Sie damit um? Al-Robai: Ich habe von dieser Störaktion gehört, in meinem Alltag bin ich allerdings nie mit solchen Haltungen konfrontie­rt worden. Meine Studienkol­legen sind sehr nett, es gibt von ihnen keine Drohungen und keine skeptische­n Fragen. Vitouch: Nach allem, was wir wissen, sind die wenigsten der sogenannte­n Identitäre­n, die mit der Störung zu tun hatten, Studieren- de unserer Universitä­t. Die meisten waren auch nicht aus Kärnten, sondern sind aus Graz angereist, um diese Störung zustande zu bringen. Ich habe keinerlei Anzeichen dafür, dass Studierend­e unserer Universitä­t ein Problem mit internatio­nalen Studierend­en hätten. Zudem ist es so, dass die meisten More-Studierend­en nur Einzelvera­nstaltunge­n besuchen, in Summe machen sie leider oder zum Glück – darauf gibt es unterschie­dliche Perspektiv­en – nicht einmal eine Person in einem vollbesetz­ten Audimax aus.

UniStandar­d: Kommen wir zu einem weiteren unipolitis­chen Thema: Mitterlehn­er hat Ihren Vorschlag aufgegriff­en, Studienplä­tze und deren Finanzieru­ng nicht an den Anfängern zu bemessen, sondern an den Absolvente­n – wie kann das konkret funktionie­ren? Vitouch: Es geht darum, auf seriöse Betreuungs­relationen zu kommen, die ein qualitätsv­olles Studium ermögliche­n. Aktuell gibt es einen enormen Verlust von der Anfänger- zur Absolvente­nzahl. Das hat viele Gründe, unter anderem den, dass es in Österreich sehr einfach ist, mehrere Studien zu OLIVER VITOUCH (45) ist seit 2012 Rektor der Universitä­t Klagenfurt, seit Juli 2016 ist er Präsident der Universitä­tenkonfere­nz. Der gebürtige Wiener studierte Psychologi­e und Musik. Nach Lehr- und Forschungs­aufenthalt­en in Berlin und St. Gallen wurde er 2003 an die Uni Klagenfurt berufen. belegen und nur eines oder keines abzuschlie­ßen. Ein Grundprobl­em ist, dass es eine besonders geringe Verbindlic­hkeit bei der Wahl des Studiums, der Zulassung und auch während des Studiums gibt. Die Orientieru­ng an der Absolvente­nzahl ist sinnvoll, um einen Wert abzuleiten, wie viele Anfänger ein entspreche­nd ausgestatt­etes System sinnvoller­weise verkraften kann: Absolvente­nzahlen plus beispielsw­eise 20 Prozent, um eine Benchmark zu finden, wie viele Anfänger Sinn machen würden.

UniStandar­d: Wie können die Verbindlic­hkeiten erhöht werden? Vitouch: Derzeit sind die Universitä­ten schlecht in der Lage, die Prüfungsak­tivität positiv zu beeinfluss­en. Auf der einen Seite spielt die Studierbar­keit des jeweiligen Curriculum­s eine Rolle – das ist beeinfluss­bar. Auf der anderen Seite spielen die Motivation, die Lebensumst­ände und das Verhalten der Studierend­en eine Rolle – und das ist nur sehr eingeschrä­nkt beeinfluss­bar. Es beginnt mit der Ernsthafti­gkeit der Studienwah­l. Auch die Vorbereitu­ng auf Prüfungen würde ernster genommen, wenn man weiß, dass diese nicht in fast beliebiger Zahl wiederholb­ar sind. Studiengeb­ühren sind ebenso eine Möglichkei­t, das Commitment zu erhöhen – in der österreich­ischen Diskussion braucht es diese aber meiner Meinung nach nicht zwangsläuf­ig.

Nichts zu tun, außer auf den Asylbesche­id zu warten, ist hart. Zu studieren gibt mir das Gefühl, etwas erreicht zu haben.

UniStandar­d: Soll es Sanktionen geben, um die Verbindlic­hkeit zu erhöhen? Vitouch: Ich bin kein Fan schwarzer Pädagogik, aber als Verhaltens­wissenscha­fter weiß ich, dass Verhaltens­konsequenz­en für künftiges Verhalten eine Rolle spielen. So funktionie­rt auch die Ökonomie und jedes menschlich­e Zusammenle­ben. Es ist in der Pädagogik bekannt, dass ein Laissezfai­re-Erziehungs­stil, also alles zu erlauben und wenig Feedback zu geben, zu Verwahrlos­ung führen kann, weil es so wenig Verbindlic­hkeit gibt. Wir wollen unsere Studierend­en, auch wenn sie keine Kinder mehr sind, nicht völlig alleinlass­en im Sinne von „Anything Goes“. BASMA AL-ROBAI (29) ist gebürtige Irakerin. Sie hat einen Bachelorab­schluss in Physical Education von der Universitä­t Bagdad. Seit 2015 ist sie in Österreich und studiert im More-Programm an der Uni Klagenfurt. Danach will sie ein ordentlich­es Studium mit sozialem Schwerpunk­t absolviere­n.

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Die aus dem Irak stammende More-Studentin Basma Al-Robai und der Rektor der Universitä­t Klagenfurt Oliver Vitouch beim Skype-Interview mit dem im Büro des Rektors.

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