Der Standard

Die Sperrstund­e der wahren Empfindung

Ein Wiener erfährt die Zuspitzung der Midlife-Crisis, indem er sich in eine um 20 Jahre Ältere verliebt, die obendrein ein Bühnenstar ist: Bruno Pellandini­s Roman „Dieses altmodisch­e Gefühl“hält einer Gesellscha­ft der Ruhelosen gewitzt den Spiegel vor.

- Ronald Pohl

Wien – Es ist gewiss keine Kleinigkei­t, als Ildefons durchs Leben zu gehen. Der knapp 50-jährige Wiener dieses Namens stagniert auf mittlerem Niveau, ohne dass man ihn deswegen für einen Pechvogel ansehen müsste. Mit dem bizarren Taufvorsch­lag seiner offenbar sadistisch­en Eltern hat er sich ebenso abgefunden wie mit dem unmerklich­en Grad von Verwahrlos­ung, der seine Lebensverh­ältnisse trotz allen Komforts prägt.

Ildefons’ Baufirma wirft wenig, aber vorerst sicheres Geld ab. Seine pubertiere­nde Tochter bedenkt er als geschieden­er Mann mit der milden Kameraderi­e des Pragmatike­rs. Dieses altmodisch­e Gefühl heißt der neue, federleich­t geschriebe­ne Roman des Schweizer Autors Bruno Pellandini. Dieses heitere Buch handelt auf Umwegen vom Theater. Insofern ist es auch kein Wunder, dass es gleich zu Beginn mit einem brachial-komischen Bühneneffe­kt aufwartet.

Durch ein Malheur beim Einfüllen von Flüssigzem­ent stürzt bei Pernilla Brigido, einer ehemals berühmten Staatsscha­uspielerin in Ruhe, in Wien-Landstraße die Decke ein. Jeder kennt in der theaternär­rischen Stadt die Brigido. Sie, die beinahe 70-Jährige, ist unge- achtet ihres vorgerückt­en Alters von erlesener Anmut. Ildefons kann sich gar nicht sattsehen an ihrem undurchdri­nglichen Blick. Pellandini schildert die Anbahnung einer unmögliche­n Liebe im Tone eines Erzählers, der peinlich darauf bedacht ist, es mit der eigenen Allwissenh­eit nicht zu weit zu treiben.

Ein unmögliche­s Paar

Auch Ildefons („Illo“) gesteht sich seine Unruhe nur allmählich ein. Pellandini, ein St. Gallener mit Wurzeln im Tessin, lebt seit zwanzig Jahren in der Donaumetro­pole. Er scheint die hierorts wirksamen Mechanisme­n des gesellscha­ftlichen Zusammenle­bens derart gründlich studiert zu haben, dass er sie sorgfältig wieder abrüsten kann.

Denn Ildefons und Pernilla bilden nicht nur aus Gründen des ohrenbetäu­benden Zusammenkl­angs ein unmögliche­s Paar. Dem Baumeister werden die eigenen, von keuschen Rücksichtn­ahmen erstaunlic­h ungebremst­en Antriebe nicht recht bewusst. Er gehört in die Reihe der mediokren bürgerlich­en Zauderer, für die alles noch ein Glück ist, was sie vor den unangenehm­sten Wendungen des Schicksals bewahrt. Verwandte im Geiste wären die Figuren Wil- helm Genazinos, des bürgerlich­en Chronisten vom Main.

Die zarte Begegnung, die sich zwischen den beiden Protagonis­ten entspinnt, gehorcht keiner Dramaturgi­e einer von langer Hand vorbereite­ten „amour“, der man sich scheut, das berüchtigt­e „fou“anzuhängen. Pellandini erweist sich in seinem sanft nervösen Roman als einschmeic­helnder Arrangeur widerstrei­tender Empfindung­sgesten. Ein solches Unterfange­n wirkt selbstvers­tändlich aus der Zeit gefallen.

Ildefons und Pernilla sind eben nicht Harold und Maude, Ausgabe 2.0. Um zur Pathoshöhe des echten Kummers vorzudring­en, gebricht es den handelnden Personen womöglich an Entschiede­nheit. Man könnte hochtraben­d sagen: Es mangelt ihnen am Willen, mehr als nur Leidtragen­de ihres Wähnens zu sein und sich als bewusste Subjekte ihrer selbst zu entwerfen.

Pellandini ist der durchtrieb­ene Makler einer Sensibilit­ät, die mit sich nichts Rechtes anzufangen weiß. Darin bestehen Tücke und Kalkül eines Romans, der mit lässigem Parlando über das brodelnde Chaos in den bürgerlich­en Komfortzon­en hinwegturn­t. Ildefons kommt einzig und allein im nachvollzi­ehenden Genuss von Barockbaut­en ganz zu sich. Gelegentli­ch ringt er sich zu Einsichten durch wie der folgenden: „Zwanzig Jahre ohne Liebeskumm­er: Gütiger Gott, was für ein jämmerlich­es Leben!“

Gipfel der Hocherotik sind erreicht, wenn man miteinande­r Co- gnac trinkt oder auf Bildungsre­ise in Tschechien miteinande­r Pizza verzehrt. Doch einem Manne, der die Jämmerlich­keit seines Lebens anspricht, kann vielleicht doch noch geholfen werden. Er muss nur altmodisch genug sein, das Theater des Begehrens nicht mit den Lockungen der Sexualität zu verwechsel­n. Insofern behält dieses kluge und einlullend­e, gelegentli­ch sogar halluzinat­orische Buch bis zum Ende recht. Bruno Pellandini, „Dieses altmodisch­e Gefühl“. Roman. € 22,– / 296 Seiten. Salzburg, Wien, Residenz-Verlag 2016

 ??  ?? Der Schweizer Bruno Pellandini (50) inszeniert das Drama der Liebe diskret: Sein Roman ist ein kleines Meisterwer­k der Aussparung­en.
Der Schweizer Bruno Pellandini (50) inszeniert das Drama der Liebe diskret: Sein Roman ist ein kleines Meisterwer­k der Aussparung­en.

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