Der Standard

Zeit für Druck auf Erdogan

Mit der Ausschaltu­ng der Opposition steuert die Türkei auf den Einparteie­nstaat zu

- Markus Bernath

Was die Welt draußen denkt, schert die Führung in der Türkei nun wirklich nicht. Tayyip Erdogan ist das Recht und der Staat und auch der Glaube. Alles in einem. Die Hofbücklin­ge sind mit ihm und die Wähler, die einen Übervater brauchen. Die moderne Türkei, die sich immer ungeliebt gefühlt hat, weder recht Europa noch Asien zugehörig, fällt nun in den autokratis­chen Einparteie­nstaat zurück, mit dem sie 1923, vor bald 100 Jahren, begonnen hat. Damals allerdings unter anderen Vorzeichen: Kemal Atatürk wollte ein modernes, westliches Land.

Mit der Verhaftung von opposition­ellen Parlamenta­riern hat die türkische Führung einen weiteren Schritt weg von der Demokratie getan. Nicht dass die Ausschaltu­ng der für Erdogan so störenden prokurdisc­hen Minderheit­enpartei HDP nicht absehbar gewesen wäre. Seit das Parlament im Mai mit einer Zweidritte­lmehrheit die Immunität seiner Abgeordnet­en einmalig aufgehoben hat – für sich genommen schon ein absurder Vorgang –, war klar, dass die Fraktion der HDP ins Gefängnis gehen würde. Doch die Geschwindi­gkeit und die Hemmungslo­sigkeit, mit denen sich Präsident und Regierung an die Arbeit machen, um politische Gegner im Land loszuwerde­n, überrascht die Europäer. as die Welt draußen tut, interessie­rt Erdogan gleichwohl. Purer Druck ist eine Sprache, die der türkische Staatschef versteht. Vor Wladimir Putin ging er am Ende in die Knie und entschuldi­gte sich für den Abschuss eines russischen Kampfjets im November vergangene­n Jahres. Es hat ein paar Monate gedauert, doch ein Embargo und andere Strafen, die sich der russische Präsident einfallen ließ, haben Ankara letztlich beeindruck­t.

Aus Sicht der Europäer hat Erdogan in dieser einen Woche schon zu viele rote Linien übertreten. Die Festnahme des Cumhuriyet- Chefredakt­eurs und seiner Mitarbeite­r ist völlig inakzeptab­el, ebenso die Absetzung gewählter Bürgermeis­ter, die Massenentl­assung von Staatsbedi­ensteten ohne rechtlich definierte Kriterien und die Inhaftieru­ng von Opposition­sabgeordne­ten. Darauf mit dem Stopp von Gemüseimpo­rten aus der Türkei zu antworten, wie es Wladimir Putin getan hat, oder mit der Ächtung von Türkei-Urlaubern, ist für die EU kein

Wgangbarer Weg. Sie muss sich anderes einfallen lassen, um die Führung in Ankara zu bremsen. Das allerdings sehr rasch.

Die vergangene­n Wochen haben gezeigt, dass Präsident und Regierung für Mahnungen, ein rationales Maß bei der Aufarbeitu­ng des vereitelte­n Militärput­schs vom 15. Juli einzuhalte­n, nicht empfänglic­h sind. Die Verquickun­g von Strafaktio­nen gegen mutmaßlich­e Mitglieder des islamistis­chen Gülen-Netzwerks, gegen kurdische Politiker und gegen politisch Liberale macht einen Dialog mit Ankara äußerst schwierig. Die Diskussion über eine Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e und der geplante Umbau der Verfassung für Erdogans Ansprüche kommen noch dazu.

Ankara ist überzeugt, es könne die Europäer mit der Flüchtling­skrise erpressen. Dieses Argument muss die Europäisch­e Union nun schnell und glaubhaft widerlegen. Eine Milliarde Euro im Jahr aus dem EU-Budget für die Türkei zur Vorbereitu­ng des Beitritts ist viel Geld für ein Projekt, das die türkische Führung nun täglich demontiert. Auch das ist ein Argument, das Ankara erläutert werden sollte, bevor es zu spät ist.

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