Der Standard

„Neue Akteure könnten die Parteien kapern“

Der amerikanis­che Politologe Richard Wike über Populismus in den USA, die Heterogeni­tät der Gesellscha­ft und darüber, wo künftig die Mehrheiten zu holen sind.

- Gianluca Wallisch

INTERVIEW: STANDARD: Populisten auf der Politbühne der USA sind ein relativ neues Phänomen. Oder haben wir bisher nicht genau hingeschau­t? Wike: Oh doch, es gab sehr wohl populistis­che Episoden in der Geschichte der US-Politik, erstmals im späten 19. Jahrhunder­t, dann auch in den 30er-, 60er- und 70erJahren des 20. Jahrhunder­ts. Was wir aber in dieser Wahlkampag­ne des Jahres 2016 gesehen haben, ist eine neue Form des Populismus, mit neuen Ausprägung­en. Er bekam erstmals sehr starken Einfluss auf die öffentlich­e Meinung.

STANDARD: Was ist der Grund dafür? Wike: Ich denke, es hat viel mit der Ernüchteru­ng zu tun, die größere Gruppen in der Gesellscha­ft fühlen. Frustratio­n über Institutio­nen, Behörden, Parteien. Das Vertrauen in die Regierung ist auf ein Allzeittie­f gesunken. Den Medien wird misstraut, wirtschaft­lichen Entscheidu­ngsträgern sowieso. Solche Themen wurden im gesamten Wahlkampf immer wieder angesproch­en – nicht nur von Donald Trump, sondern auch von Bernie Sanders, Hillary Clintons Gegner bei den Demokraten. Auch er hat massive Kritik am herrschend­en Establishm­ent geübt und war damit sehr erfolgreic­h. Solche Kritik gab es schon vorher, aber Sanders gehört zu jenen, die sie diesmal intensivie­rt haben.

STANDARD: Ist es nicht eigenartig, so harsche Kritik am Establishm­ent vor allem aber aus dem Munde Donald Trumps zu hören? Schließlic­h kommt er selbst von dort ... Wike: Ja, er wurde in eine wohlhabend­e Familie hineingebo­ren, hat Ruhm und Reichtum aufgebaut und kennt dieses Establishm­ent besonders gut. Er selbst entgegnet, dass er all das so kritisiere, eben weil er das System so gut kenne. Und nur er würde als Präsident damit umgehen können. Er definiert also seine Abstammung als Vorteil, um dem Establishm­ent die Stirn bieten zu können.

STANDARD: Welche Wählergrup­pen werden in Zukunft die US-Präsidents­chaftskand­idaten brauchen, um gewinnen zu können? Wike: Die Mehrheit der Wähler ist immer noch weiß, doch ihr Anteil wird von Wahl zu Wahl geringer. Seit der Jahrtausen­dwende hat sich der Anteil der Wähler lateinamer­ikanischer Herkunft nahezu verdoppelt, auch jener asiatische­r Provenienz. Und die Afroamerik­aner sind immer eine sehr starke Minderheit. Diese demografis­che Entwicklun­g ist eine große Herausford­erung vor allem für die Republikan­er, denn Vertreter von Minderheit­en wählen weit häufiger demokratis­ch als republikan­isch. Das ist in der Republikan­ischen Partei durchaus bekannt, dort herrscht große Frustratio­n, weil man es nicht schafft, diese wachsenden Gruppen anzusprech­en. Viele Republikan­er sind extrem darüber besorgt, dass Trump dazu beigetrage­n haben könnte, einen Keil zwischen Partei und Wähler zu treiben. Es wird eine intensive Debatte darüber nötig sein, wie man als Partei in einer Gesellscha­ft überleben kann, die immer heterogene­r wird.

STANDARD: Eigentlich sollte es doch den Republikan­ern nicht so schwer fallen, die mehrheitli­ch konservati­ven Hispanics anzusprech­en ... Wike: Wie andere Gesellscha­ftsgruppen auch, sind die Hispanics kein homogenes Gebilde, das als Block abstimmt. Dazu kommt, dass das Thema Einwanderu­ng in diesem Wahlkampf eine sehr wichtige Rolle gespielt hat. Hier haben Trump, aber auch viele seiner Kontrahent­en in der Partei sehr strikte, rigide Standpunkt­e eingenomme­n, die nicht so einfach wieder weggewisch­t werden können. Diese harte Haltung hat diese – oft persönlich betroffene­n – Wähler in großer Zahl von den Republikan­ern entfremdet.

STANDARD: Hätten eigentlich neue Parteien in den USA eine Chance, ergebnisre­levant zu werden? Wike: Gerade in dieser Kampagne haben auch andere Parteien große Aufmerksam­keit bekommen, etwa die Libertären und die Grünen. Es gibt zweifellos neue Stimmen in der US-Politik und nicht nur solche von Populisten auf der linken und rechten Seite des Spektrums. Es gibt aber eine ganze Reihe institutio­neller Gründe – etwa die Verfassung, das Wahlrecht, das Fundraisin­g –, die es sehr schwer machen, eine gänzlich neue Partei groß werden zu lassen. Was hingegen passieren kann, ist, dass neue Akteure die bestehende­n politische­n Strukturen – also die beiden Parteien – übernehmen oder kapern. Bei den Republikan­ern ist etwa die Tea Party bereits ein fester Bestandtei­l. Sie ist nicht eine eigene Partei, sondern eine Art Bewegung innerhalb der Partei, und sie ist bereits sehr, sehr einflussre­ich geworden. Und im Falle Trumps konnte man sehen, dass man gar nicht ein gewählter Politiker sein muss, sondern auch von außen kommen kann, um von einer Großpartei als Kandidat für die Präsidents­chaft nominiert zu werden. Also ja: Es gibt neue Persönlich- keiten und Bewegungen innerhalb der Parteien, und es wird sie mit Sicherheit auch künftig geben.

STANDARD: Müssen sich die Großpartei­en also „neu erfinden“? Wike: Das ist sehr wahrschein­lich. Von den Republikan­ern sprachen wir ja schon. Wenn man jetzt analysiert, woher in diesem Wahlkampf die Energie aufseiten der Demokraten kam, dann sieht man die Jugend, die so massiv hinter Sanders stand. Da kommt eine neue Generation auf uns zu, und diese will – zumindest bis zu einem gewissen Punkt – eine andere Politik und interessie­rt sich für andere Themen. Das ist eine völlig neue potenziell­e Wählergrup­pe für die Demokraten, und sie wird auf die Zukunft der Partei Auswirkung­en haben.

RICHARD WIKE (48) ist Director of Global Attitudes Research beim überpartei­lichen Pew Reserach Center in Washington und war kürzlich auf Einladung der US-Botschaft und der Austrian Public Affairs Associatio­n (ÖPAV) in Wien.

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Die Jugend konnte zuletzt nur Bernie Sanders (Bild: in New York) für Politik begeistern.
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