Der Standard

Tränenreic­hes Strippen für Clinton in Kalifornie­n

Für das demokratis­che Los Angeles war ein Wahlsieg Donald Trumps ein Horrorszen­ario

- Elisabeth Oberndorfe­r aus Los Angeles

Was passiert hier?“, hört man immer wieder. Vor dem Eingang der Bar Abbey in West Hollywood kann eine Frau nicht fassen, was sie da gerade miterlebt: Der Demagoge und Populist Donald Trump ist gerade im Begriff, der 45. Präsident der Vereinigte­n Staaten zu werden.

Die Bar, vor der sie ihr Erstaunen herausschr­eit, ist ein bekannter Treffpunkt der Homosexuel­lenszene in Los Angeles, am Dienstag auch für die Hillary-Clinton-Unterstütz­er. Drinnen sind die Augen gegen 22 Uhr abends auf die Leinwand hinter der Bar gerichtet, wo das Wahldrama auf CNN übertragen wird. Kopfschütt­eln und Umarmungen mischen sich zwischen ungläubige „Fuck!“Ausrufe, die ersten Tränen fließen. „Diese Wahl macht uns nicht aus. West Hollywood ist unsere Gemeinscha­ft, das ist unser Amerika. Wir werden weiterhin für Ge- rechtigkei­t kämpfen“, verlautbar­t eine Clinton-Anhängerin über Mikrofon.

Kurz flackert in Los Angeles wieder der Optimismus auf. Die Ansprache des demokratis­chen Wahlkampfl­eiters John Podesta im Fernsehen, dass Clinton noch lange nicht fertig sei, sorgt bei den Gästen noch einmal kurzfristi­g für Hoffnung. Doch schnell stellt sich wieder Ernüchteru­ng ein im demokratis­chen Hollywood.

Kalifornie­n war ein sicheres Pflaster für Clinton. Stars und andere Vertreter der Unterhaltu­ngsindustr­ie warnten vor ihrem Gegner. Aus dem Silicon Valley, das Fachkräfte aus dem Ausland braucht, flossen Millionen zur demokratis­chen Kandidatin, um die von Trumps vorgeschla­gene Einwanderu­ngspolitik zu verhindern. Für viele war Clinton aber zu konservati­v, Bernie Sanders ist nach wie vor ein Liebling der liberalen Westküsten­bewohner. „Eigentlich war ich für Bernie. Aber natürlich bin ich jetzt für sie“, sagte eine Wählerin in Venice außerhalb von Los Angeles zu ihrer Entscheidu­ng. Und trotzdem hat Trump in dem Bundesstaa­t 34 Prozent der Stimmen erreicht, auf Clinton kamen 61 Prozent.

„Wir haben gewonnen!“

Vor dem Bürogebäud­e in Long Beach riecht es nach Marihuana, was in Kalifornie­n bereits seit 1996 für medizinisc­he Zwecke und nunmehr auch für den privaten Gebrauch legal sein wird (siehe Seite 8). Der Gang zum Büro des republikan­ischen Kampagnent­eams, eine halbe Stunde südlich von Los Angeles, ist mit Bildern von Donald Trump zugepflast­ert.

Die Räumlichke­iten selbst sind um 20 Uhr am Dienstagab­end schon fast leer. Rachel Gunther, die regionale Kampagnenl­eiterin, sitzt erschöpft auf der Couch: „Wir haben gewonnen! Ich bin müde, aber wir haben gewonnen.“Dabei hat Trumps Herausford­erin Clinton zu diesem Zeitpunkt theoretisc­h noch eine kleine Chance.

In der demokratis­chen Menschenme­nge der Abbey-Bar hingegen schluchzt derweil jemand: „Wie soll es jetzt weitergehe­n?“Bis zuletzt hatten die Clinton-Helfer noch Hoffnung, dass ein Sieg möglich sei. Die Wähler mit den enttäuscht­en Gesichtern werden zwar immer betrunkene­r, wirken dabei aber immer ernüchtert­er. Als klar ist, dass es keine US-Präsidenti­n Clinton geben wird, drehen die Betreiber den Ton der Fernsehübe­rtragung ab, die gerade Bilder aus der Wahlkampfz­entrale der Republikan­er zeigt. Zu hören ist jetzt nur mehr die elektronis­che Musik, zu der ein Stripper zu tanzen beginnt.

Zumindest diese Nacht will die liberale Westküsten­stadt noch in ihrer Blase leben. Bei denen, die sich auf den Heimweg machen, kehrt dann langsam die Realität ein. Kein Jubeln auf den Straßen, sondern schweigend­es Warten auf das Taxi. Die kalifornis­che Leichtigke­it wird zumindest am nächsten Morgen nicht zu spüren sein.

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Foto: APA / AFP / Frederic J. Brown Bei Kalifornie­ns Demokraten ist am Mittwoch die Trauer groß.

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