Tränenreiches Strippen für Clinton in Kalifornien
Für das demokratische Los Angeles war ein Wahlsieg Donald Trumps ein Horrorszenario
Was passiert hier?“, hört man immer wieder. Vor dem Eingang der Bar Abbey in West Hollywood kann eine Frau nicht fassen, was sie da gerade miterlebt: Der Demagoge und Populist Donald Trump ist gerade im Begriff, der 45. Präsident der Vereinigten Staaten zu werden.
Die Bar, vor der sie ihr Erstaunen herausschreit, ist ein bekannter Treffpunkt der Homosexuellenszene in Los Angeles, am Dienstag auch für die Hillary-Clinton-Unterstützer. Drinnen sind die Augen gegen 22 Uhr abends auf die Leinwand hinter der Bar gerichtet, wo das Wahldrama auf CNN übertragen wird. Kopfschütteln und Umarmungen mischen sich zwischen ungläubige „Fuck!“Ausrufe, die ersten Tränen fließen. „Diese Wahl macht uns nicht aus. West Hollywood ist unsere Gemeinschaft, das ist unser Amerika. Wir werden weiterhin für Ge- rechtigkeit kämpfen“, verlautbart eine Clinton-Anhängerin über Mikrofon.
Kurz flackert in Los Angeles wieder der Optimismus auf. Die Ansprache des demokratischen Wahlkampfleiters John Podesta im Fernsehen, dass Clinton noch lange nicht fertig sei, sorgt bei den Gästen noch einmal kurzfristig für Hoffnung. Doch schnell stellt sich wieder Ernüchterung ein im demokratischen Hollywood.
Kalifornien war ein sicheres Pflaster für Clinton. Stars und andere Vertreter der Unterhaltungsindustrie warnten vor ihrem Gegner. Aus dem Silicon Valley, das Fachkräfte aus dem Ausland braucht, flossen Millionen zur demokratischen Kandidatin, um die von Trumps vorgeschlagene Einwanderungspolitik zu verhindern. Für viele war Clinton aber zu konservativ, Bernie Sanders ist nach wie vor ein Liebling der liberalen Westküstenbewohner. „Eigentlich war ich für Bernie. Aber natürlich bin ich jetzt für sie“, sagte eine Wählerin in Venice außerhalb von Los Angeles zu ihrer Entscheidung. Und trotzdem hat Trump in dem Bundesstaat 34 Prozent der Stimmen erreicht, auf Clinton kamen 61 Prozent.
„Wir haben gewonnen!“
Vor dem Bürogebäude in Long Beach riecht es nach Marihuana, was in Kalifornien bereits seit 1996 für medizinische Zwecke und nunmehr auch für den privaten Gebrauch legal sein wird (siehe Seite 8). Der Gang zum Büro des republikanischen Kampagnenteams, eine halbe Stunde südlich von Los Angeles, ist mit Bildern von Donald Trump zugepflastert.
Die Räumlichkeiten selbst sind um 20 Uhr am Dienstagabend schon fast leer. Rachel Gunther, die regionale Kampagnenleiterin, sitzt erschöpft auf der Couch: „Wir haben gewonnen! Ich bin müde, aber wir haben gewonnen.“Dabei hat Trumps Herausforderin Clinton zu diesem Zeitpunkt theoretisch noch eine kleine Chance.
In der demokratischen Menschenmenge der Abbey-Bar hingegen schluchzt derweil jemand: „Wie soll es jetzt weitergehen?“Bis zuletzt hatten die Clinton-Helfer noch Hoffnung, dass ein Sieg möglich sei. Die Wähler mit den enttäuschten Gesichtern werden zwar immer betrunkener, wirken dabei aber immer ernüchterter. Als klar ist, dass es keine US-Präsidentin Clinton geben wird, drehen die Betreiber den Ton der Fernsehübertragung ab, die gerade Bilder aus der Wahlkampfzentrale der Republikaner zeigt. Zu hören ist jetzt nur mehr die elektronische Musik, zu der ein Stripper zu tanzen beginnt.
Zumindest diese Nacht will die liberale Westküstenstadt noch in ihrer Blase leben. Bei denen, die sich auf den Heimweg machen, kehrt dann langsam die Realität ein. Kein Jubeln auf den Straßen, sondern schweigendes Warten auf das Taxi. Die kalifornische Leichtigkeit wird zumindest am nächsten Morgen nicht zu spüren sein.