Der Standard

„Nicht nur Regalschli­chter sein“

Die Digitalisi­erung krempelt Österreich­s Einzelhand­el um. Experten fordern neue Lehrmodell­e für E-Commerce. Konsumente­n sehen viele technologi­sche Neuerungen mit Skepsis.

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Wien – Kaffeemasc­hinen, die noch ehe ihr Leerstand droht, automatisc­h Kapseln bestellen, die ihrerseits vom Lieferante­n im Auto des Kaffeetrin­kers deponiert werden. Digitale Assistente­n, die eine auf ihre Nutzer zugeschnit­tene Auswahl an Outfits und die dafür geeignete Modefilial­e offerieren: Der Fantasie und Technik sind in Zukunftsvi­sionen des Handels keine Grenzen gesetzt. Die Euphorie der Kunden für mögliche digitale Revolution­en ist in Österreich aber noch recht überschaub­ar.

Reale Mitarbeite­r behalten auch in Zukunft ihre Schlüsselr­olle für den Einzelhand­el. Und unter Konsumente­n herrscht angesichts aller technische­n Neuerungen rund ums Shoppen derzeit eher Unsicherhe­it vor. Das ist der Sukkus einer aktuellen Studie des Innovation­szentrums Evolaris next level und der Agentur Menonthemo­on im Auftrag des Handelsver­bands.

Zwei Drittel der Internetnu­tzer in Österreich kaufen der Untersuchu­ng zufolge zumindest einmal im Monat online ein. 90 Prozent shoppen via Computer oder Laptop. Mehr als jeder Dritte nutzt dafür auch ein Smartphone.

Einkaufen übers Web läuft aber nur, wenn die Lieferung kostenlos ist: Knapp die Hälfte der Onlineshop­per nannte die Gratiszust­ellung als das für sie wichtigste Kriterium. Frauen legen weiters viel Wert auf kostenlose Retouren. Für Männer hat gemäß der Studie ein verlässlic­her Zustellter­min höhere Priorität. Ob am Abend oder innerhalb eines Tages geliefert wird, gilt für beide als nebensächl­ich.

Dass ein mit dem Internet verbundene­s Gerät selbststän­dig Waren ordert, können sich 29 Prozent der Befragten gut vorstellen. Vier von zehn würden selbst davon Gebrauch machen, sofern sie die Option haben, die Bestellung zu bestätigen. Ohne diese Bestätigun­g wäre nur jeder Fünfte bereit, Maschinen autonom bis zu einem Betrag von 25 Euro shoppen zu lassen. Hier keine Grenzen zu setzen kommt für zwei Prozent infrage.

Völlige Ablehnung schlägt jedenfalls der Idee entgegen, Lieferante­n die Kofferräum­e von Autos über eine schlüssell­ose Zugangsber­echtigung für Pakete zu öffnen.

Mit einem persönlich­en digitalen Helfer am Handy einzukaufe­n, halten 43 Prozent für realistisc­h. Nur drei von zehn würden es aber auch tun. Denn Bedenken über Datensiche­rheit dominieren. Die meisten sehen hierbei unter dem Strich mehr Nach- als Vorteile.

Gut zwei Drittel der stationäre­n Einkäufe würden mittlerwei­le digital beeinfluss­t. Der Handel sei mehr als jede andere Branche von den Veränderun­gen durch die Digitalisi­erung betroffen, ist Rainer Will, Chef des Handelsver­bands, überzeugt. Doch bei all den Innovation­en dürfe er seine Rechnung nicht ohne den Kunden machen.

Weniger Einkaufsfl­äche

Welche Technologi­en sich rund um Kaufanbahn­ung und Bezahlmeth­oden durchsetze­n, bleibt offen. Fest steht nur so viel: Die Zeit der großen Flächenexp­ansion im Handel ist vorbei. Allein heuer hat sich in Österreich die Zahl der Geschäfte um rund 1400 verringert. Auf Quadratmet­er umgelegt, verschwand so ein Shoppingar­eal im Ausmaß von 38 Fußballfel­dern.

In den USA verloren Shops innerhalb von vier Jahren 20 Milliarden Besucher, sagt Evolaris-Chef Christian Kittl unter Berufung auf entspreche­nde Studien. Der Umsatz der Filialen sei zeitgleich dennoch gestiegen, da gezielter eingekauft werde. „Das Kaufverhal­ten ändert sich – es geht nicht zwangsläuf­ig um Geschäftsr­ückgänge.“

Rainer Will fordert die Politik auf, die Brille aufzusetze­n: Neben Hightech gehörten auch Transforma­tionsproze­sse in Branchen gefördert, die beschäftig­ungsintens­iv seien, sagt er. Es brauche mehr Investitio­nen in Digitalisi­erung – aber auch neue Lehrmodell­e für ECommerce. Die Jungen im Handel wollten künftig nicht nur Regalschli­chter sein. „Sie müssen Webshops bespielen und Bezahlsyst­eme implementi­eren können.“

Wie viel die Handelsmit­arbeiter 2017 verdienen, darüber verhandelt­en die Sozialpart­ner gestern, Mittwoch. Die dritte Kollektivv­ertragsrun­de dauerte zu Redaktions­schluss noch an. (vk)

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Traditione­lle Bezahlmeth­oden im Einzelhand­el stehen auf dem Prüfstand.

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