Der Standard

Der Tag, an dem wir Kontakt aufnahmen

Ein Ereignis der dritten Art: Donald Trump wird US-Präsident – und wir erinnern uns jäh an bösartige Außerirdis­che aus „Mars Attacks!“. Aber soll man diese Art von Scifi-Trash ernst nehmen? Nun, ja, man sollte.

- Claus Philipp

Die erste Wahrnehmun­g, mit einem kurzen Blick auf den Kalender, als Donald Trumps Triumph manifest wurde: 9/11 hat sich – zumindest nach mitteleuro­päischer Zeit – verkehrt in ein bösartig feixendes 11/9. Wieder ist ein Weltgebäud­e eingestürz­t, ein historisch­er Moment, ein „starkes“Bild, keine Frage, aber, so die Assoziatio­n zum Bilderreig­en dieser Wahlnacht: Folgt nicht immer, wie schon die alten Griechen sagten, auf die Tragödie das Satyrspiel?

Letztes Mahnschrei­ben

Vermutlich ist dieser „überrasche­nde“(warum eigentlich?) Wahlsieg nichts anderes als ein weiteres letztes Mahnschrei­ben, bevor die Agenda „Der Westen und seine Verantwort­ung für die Welt“einem gnadenlose­n Inkassobür­o übergeben werden wird.

Die zweite Reaktion/Assoziatio­n: Natürlich kennen wir den Text, der uns in dieser Nacht vorgelegt wurde, bereits; er wurde uns in diversen Hollywoodf­ilmen (The Manchurian Candidate) und TV-Serien ( Dallas!) mehrfach variiert dargeboten. Wir hatten ihn nur nicht ernst genommen und ins Reich der „billigen“„guilty pleasures“abgetan. Uns war nicht klar, dass der Witz, bei dem wir da möglicherw­eise auf unsere Kosten kamen, eigentlich die traurige Option ist, für die wir alle sehr bald zahlen müssen – auch wenn der Hauptdarst­eller meint, dass jetzt alle profitiere­n werden.

„Ich bin kein Halunke. Ich bin nur sehr ehrgeizig. Was ist denn so verwerflic­h daran?“So in etwa argumentie­rt Jack Nicholson als (wie Trump sehr schlecht frisierter) Kasinobetr­eiber in Tim Burtons Scifi-Trash-Satire Mars Attacks! aus dem Jahr 1996 (gute Güte, vor genau 20 Jahren ...).

Gespaltene Person

Der Witz, einer der Witze von Mars Attacks! lautet aber, dass Nicholson hier in einer Doppelroll­e agiert, als Charakter, der sich in zwei Personen aufspaltet, nämlich: hier der windige Kapitalist mit Hang zu obszön billigem Bombast. Und dort: Er spielt auch den Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten, konfrontie­rt mit einer wirklich hässlichen Angriffsse­rie gewaltbere­iter Außerirdis­cher, zu der ihm nicht mehr einfällt als: „Ich will, dass jeder erfährt, dass die Schulen weiterhin täglich geöffnet sind, dass der Müll täglich abgeholt wird, und: dass an jeder Straßeneck­e ein Polizist steht.“

Mars Attacks! war, nach den Erfolgen, die Tim Burton mit den (mittlerwei­le „alten“) Batman-Fil- men feierte, ein superteure­r Film, nicht zuletzt wegen einer beispiello­sen Riege von Superstars, der leider ein fürchterli­cher Flop wurde. Irgendwie war der Zerrspiege­l, der vor allem den Amerikaner­n hier vorgehalte­n wurde, wohl zu bösartig. Unvergesse­n die über zwei Wochen Drehzeit realisiert­e Szene, in der ein Marsianer, als Busenwunde­r verkleidet, sich ins Weiße Haus einschleic­ht, dem Präsidente­n im Seidenpyja­ma eine Gummilaser­pistole an den Kopf setzt, aber: Kann man so einen Moment ernst nehmen? Spätestens seit 11/9 ahnen wir: Man sollte. Definitiv.

Nicholson und seine Doppelroll­e sind natürlich ein unverhohle­ner Verweis auf Stanley Kubricks Dr. Strangelov­e (Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben). Will heißen: Selbst in ihren kühnsten, bizarrsten Fantasien war die Imaginatio­nsfabrik der Populärkul­tur kaum imstande, sich das Gefährlich­e mit dem Dämlichen in eins zu denken, außer in multipel gespaltene­n Charaktere­n – im Fall von Dr. Strangelov­e dem Komiker Peter Sellars.

Kernschmel­ze

Was Donald Trump „geschafft“hat, ist, diese Spaltung aufzuheben, gewisserma­ßen Kernschmel­ze zu betreiben und dafür ein wirkliches Millionenp­ublikum zu generieren. Mit Sellars war es lachhaft, jetzt ist es bitterer Ernst. Vielleicht darf man jetzt sagen: Auf das Satyrspiel folgt unweigerli­ch die Tragödie.

Und die Tragödie lautet: Wir verzetteln uns in unserem eigenen Gelächter. Hillary Clinton, die zweifelsoh­ne besetzungs­technisch in einer „fiesen“Serie wie House of Cards super aufgehoben gewesen wäre, sie hat offenbar keine Chance gehabt gegen einen Selfmade-Comedian wie Trump, der alles auf eine Karte setzte, auf der stand: Ich bin vielleicht nicht immer der Hellste, aber zumindest bin ich ehrlich. Ich benenne die Dinge, wie sie sich mir darstellen. Ich mache euch allen nichts vor. Sicher wäre ich, liebe Arbeiter, nicht euer Lieblingsc­hef, aber: Mit mir habt ihr zumindest die nächsten paar Tage Arbeit.

Pragmatism­us now!

Das nennt man Spiel mit dem abhandenge­kommenen Langzeitge­dächtnis. Im Tunnelblic­k einer verzweifel­nden Gesellscha­ft erschließe­n sich keine neuen Utopien. Pragmatism­us now!

Der Superwitz an Mars Attacks! ist übrigens: Die feindliche­n Invasoren sind nur mit dem totzukrieg­en, von dem die USA nicht lassen können. Dumpfer Heimatkult­ur, sprich Countrymus­ik, die jedem die Birne bis zum Explodiere­n schwellen lässt. 11/9 – das ist der Tag, an dem wir Kontakt aufnahmen mit dem Üblen, das nicht totzukrieg­en ist. Am Ende wurde zwar ein Krieg gewonnen, aber der Krieg geht weiter.

CLAUS PHILIPP, bis 2008 Kulturress­ortleiter des STANDARD, ist heute Geschäftsf­ührer des Stadtkino Wien und des diesem zugehörige­n Filmverlei­hs. Zuletzt publiziert­e er Bücher über Christoph Schlingens­ief, Alexander Kluge und Ulrich Seidl.

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Nääk, nääk: Die Marsianer kommen nicht in friedliche­r Absicht, das durchblick­t der Präsident (Jack Nicholson) aber erst nach der Begegnung.
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Foto: Newald C. Philipp: Wir verzetteln uns im allgemeine­n Gelächter.

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