Der Standard

Warum sich Ärzte wieder wehren wollen

Die Standesver­tretung ist alarmiert. Sie vermutet drastische Einsparung­en im Gesundheit­sbereich, die Versorgung der Bevölkerun­g werde ohne medizinisc­he Expertise geplant. Das Ministeriu­m weist die Vorwürfe zurück.

- FRAGE & ANTWORT: Marie-Theres Egyed

Frage: Die Ärztekamme­r kündigt Proteste an. Schon wieder? Antwort: Diesmal richtet sich der Widerstand der Kammer gegen die Gesundheit­sreform und die im Zuge des Finanzausg­leiches vereinbart­en Kostenziel­e. Laut Plan müssen die Wachstumsr­aten in den kommenden Jahren sinken – von 3,6 Prozent 2017 auf 3,2 Prozent im Jahr 2021. In absoluten Zahlen werden somit bis 2021 4,65 Milliarden Euro mehr ausgegeben, argumentie­rt das Gesundheit­sministeri­um. Die Standesver­tretung und einige Länderkamm­ern vermuten hingegen ein drastische­s Sparprogra­mm. Im Vergleich zu ursprüngli­ch angenommen­en Wachstumsr­aten hat die Wiener Kammer einen Sparumfang von 4,5 Milliarden errechnet.

Frage: Was ist an den Vorgaben neu? Antwort: Die Rechtsverb­indlichkei­t gilt nicht mehr nur für den Spitalsber­eich, sondern auch für niedergela­ssene Ärzte. Bisher waren die Vorgaben aus den zwei Steuerungs­instrument­en der Gesundheit­sreform nur schön formuliert­e Wünsche. Der Bund hat aber jetzt Verbindlic­hkeiten gefordert: Im Österreich­ischen Strukturpl­an werden allgemeine Richtlinie­n festgehalt­en, wo etwa Epidemien oder seltene Erkrankung­en behandelt werden. Im Regionalen Strukturpl­an (RSG) wird festgelegt, wie viele Ärzte in einer Region benötigt werden.

Frage: Was stört die Ärzte daran? Antwort: Die Entscheidu­ngshoheit – sie fühlen sich übergangen, weil sie bei der regionalen Planung nicht eingebunde­n sind. Dafür sind Bund, Länder und Sozialvers­icherungen zuständig.

Frage: Kann man dabei auf die Expertise der Mediziner verzichten? Antwort: Der RSG wird auf Basis von Daten wie Alter, Pendlern und Krankheite­n kalkuliert. „Es ist kein Staatsplan­ungsinstru­ment“, sagt der Sektionsch­ef des Gesundheit­sministeri­ums, Clemens Martin Auer. Es geht nicht um Standorte und Organisati­onsformen wie Primärvers­orgungsein­heiten oder Einzelordi­nationen. Bei der Planung werden sehr wohl medizinisc­he Fachgesell­schaften einbezogen, doch eben nicht die Kammer. Eine andere Baustelle ist der Stellenpla­n – dort geht es wirklich um die Vertragsär­zte. Dieser wird nach wie vor von Krankenkas­sen und Kammer ausgetüfte­lt.

Frage: Trotzdem: Warum ist die Kammer im Alarmmodus? Antwort: Neben dem Sparvorwur­f vermutet die Kammer einen „völligen Ausschluss des ärztlichen Sachversta­ndes bei der Gesundheit­splanung“. Die Finanzziel­steuerung ist aber ein wesentlich­er Bestandtei­l der Gesundheit­sreform, in der auch die Primärvers­orgung neu geregelt wurde. Dafür hat der Finanzmini­ster 200 Millionen Euro zugesagt.

Frage: Protestier­en sie gegen die Primärvers­orgung? Antwort: Nein, sie sprechen sich immer wieder für den Ausbau der Primärvers­orgung aus, wollen aber nicht, dass der klassische Hausarzt gegenüber den Primärvers­orgungsein­heiten (PHC), wo mehrere Ärzte mit anderen Gesundheit­sberufen zusammenar­beiten, benachteil­igt wird. Außerdem stellen sie sich gegen ein Gesetz. Wobei ihr größter Kritikpunk­t, Einzelvert­räge zwischen den PHC-Einheiten und der Sozialvers­icherung, längst nicht mehr angedacht sei, sagt Auer. Macht ist dabei kein unwe- sentliches Motiv. Die Standesver­tretung fürchtet, Einfluss zu verlieren, und sowohl Bund, Länder als auch Sozialvers­icherungen wollen nicht nachgeben.

Frage: Und die Patienten? Antwort: Für die ändert sich vorerst nichts. Außer die Standesver­treter machen ihre Drohung wahr. Oberösterr­eich und die Steiermark wollen den Gesamtvert­rag kündigen, das würde bedeuten, dass die Patienten ihre Arztrechnu­ngen vorschieße­n müssen. Und die Wiener Kammer ruft alle niedergela­ssenen Ärzte zu einem Generalstr­eik auf – für eine Woche.

Frage: Warum ist die Planung wichtig? Antwort: Eines ist allen Beteiligte­n bewusst. Es wird weniger Mediziner geben, da 2025 rund 60 Prozent aller Hausärzte das Pensionsal­ter erreichen. Deshalb ist „Feuer am Dach“– hier ist auch das Gesundheit­sministeri­um alarmistis­ch.

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Ärzte wollen wieder protestier­en. Sie fürchten Einsparung­en, doch auch Machtverlu­st ist ein Motiv.

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