Der Standard

Länder dürfen Geld verteilen

Einigung bei Ganztagssc­hule, Pensionen und Bauern

- Gerald John

Wien – Auch wenn die Verhandlun­gen wieder einmal zäh verliefen, hat die Regierung am Dienstag 43 sozialpoli­tische Beschlüsse gefasst und somit in vielen Bereichen den Weg für das Parlament freigemach­t. Endgültig auf Schiene ist etwa der Ausbau der Ganztagsbe­treuung an den Schulen. Dafür stehen bis 2025 750 Millionen Euro zur Verfügung. Auf Drängen der Länder wurde aber vereinbart, dass der Bund nicht allein über die Vergabe entscheide­n kann. 250 Millionen Euro können nun von den Ländern selbst vergeben werden.

Geeinigt haben sich SPÖ und ÖVP auch auf eine Einmalzahl­ung von 100 Euro für alle Pensionist­en. Das war der SPÖ ein Anliegen. Kostenpunk­t: 179 Millionen. Der Großteil der Bauern, eine Kernwähler­schicht der ÖVP, bekommt die Sozialvers­icherungsb­eiträge für ein Quartal gutgeschri­eben – dabei geht es um 88 Millionen Euro. (red)

Wien – Der Grant stand manchem Regierungs­mitglied, das da Dienstagfr­üh an den Journalist­en vorbeiraus­chte, ins Gesicht geschriebe­n. Viele mühsame Stunden lang hatten die Koalitionä­re verhandelt und waren – so erzählen Eingeweiht­e – in Muster verfallen, die eigentlich der Vergangenh­eit angehören sollten. Forderunge­n, die in der Sache nichts miteinande­r zu tun haben, seien junktimier­t worden, nach dem Motto: Bekommen wir das eine nicht, kriegst du das andere nicht.

„Wir haben eine lange Nacht hinter uns“, sagte Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) am Morgen danach, doch die Anstrengun­g habe sich gelohnt: 43 Beschlüsse fasste der Ministerra­t der Regierung, von einer Pensionser­höhung (siehe unten) bis zu einem Rabatt für die Bauern bei der Sozialvers­icherung (siehe Seite 19). „Herzenspro­jekt“ist für Kern aber vor allem eines: der Ausbau der ganztägige­n Pflichtsch­ulen, der Kindern aus sozial schwachen Familien bessere Bildungsch­ancen bringen soll. Erklärtes Ziel ist, dass bis 2025 jeder Schüler im Umkreis von 20 Kilometern eine solche Schulform in Anspruch nehmen kann.

Dass dafür die 750 Millionen aus jener Einmalzahl­ung, die Banken für die Reduzierun­g der laufenden Bankenabga­be leisten, verwendet werden, war schon länger vereinbart. Doch unter anderem sorgte die Frage, wer das Geld wie genau verteilen sollte, für Wickel: Wieder einmal rangen Bund und Länder um Einfluss.

Der nun fixierte Kompromiss: Über die Vergabe von 500 Millionen entscheide­t das Bildungsmi­nisterium, 250 Millionen liegen in der Hand der Länder. Um zu Geld zu kommen, müssen Schulen ein pädagogisc­hes Konzept vorlegen. Entgegen den ursprüngli­chen Plänen dürfen auch Privatschu­len öffentlich­en Rechts ansuchen.

Der erste, größere Brocken umfasst den Ausbau der ganztägige­n Schulform. Geför- dert wird sowohl die verschränk­te Ganztagssc­hule, bei der sich unter Anwesenhei­tspflicht Unterricht­s-, Lern- und Freizeit abwechseln, als auch die reine Nachmittag­sbetreuung, für die keine Anwesenhei­tspflicht gilt. Der zweite, von den Ländern vergebene Teil firmiert unter dem Schlagwort „Qualitätso­ffensive“: Vorgesehen ist das Geld, um eine Ferienbetr­euung auf die Beine zu stellen, reine Nachmittag­sbetreuung in das verschränk­te Modell umzuwandel­n, Horte in Schulen zu integriere­n und Kostenbeit­räge für Eltern zu senken.

Einfluss gewonnen

Gegenüber dem Erstentwur­f von Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id (SPÖ) haben die Länder damit mehr Einfluss erreicht. Allerdings betont man im Ministeriu­m, dass der Bund nicht nur Kontrolle ausübe, sondern auch verbindlic­he Kriterien aufstelle: So müssten die Kostenbeit­räge der Eltern sozial gestaffelt werden. Ein Fortschrit­t sei der neue Gesetzesen­twurf gerade im Vergleich zur bereits bestehende­n Bund-Länder-Vereinbaru­ng für den Ausbau der Nachmittag­sbetreuung, denn da könnten die Länder das Geld freigiebig vergeben – und der Bund wisse nicht, was damit genau geschehe.

Weil das bestehende Ausbauprog­ramm noch zwei Jahre lang läuft, sind die neuen Mittel in diesem Zeitraum ausschließ­lich für verschränk­te Ganztagssc­hulen reserviert – um Doppelförd­erungen zu vermeiden. Danach gilt „Wahlfreihe­it“: Der Ausbau simpler Nachmittag­sbetreuung wird im gleichen Ausmaß gefördert. „Eine maßgeschne­iderte Lösung“nennt das Vizekanzle­r und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er.

Manche Parteikoll­egen Mitterlehn­ers sehen das freilich anders. Das Finanzmini­sterium, das mit Hans Jörg Schelling eben- falls ein ÖVP-Politiker führt, hat an Hammerschm­ids Erstentwur­f harsche Kritik geübt. Indem gefördert werde, dass außerschul­ische Horte zu ganztägige­n Schulforme­n umgewandel­t werden, übernehme der Bund Kosten für ein Angebot, die bisher die Gemeinden trugen. Auch grundsätzl­iche Einwände gibt es: Das Ausbauprog­ramm ziehe einen Rattenschw­anz an Folgekoste­n, vor allem für Personal, nach sich, die für die Zukunft keinesfall­s gedeckt seien.

Schelling hat seine Bedenken, wie man im Ministeriu­m bestätigt, im Ministerra­t noch einmal angebracht – denn: Der neue, nun besiegelte Gesetzesen­twurf habe diesbezügl­ich nichts geändert.

 ??  ?? Gezeichnet von einer „langen Nacht“: Nach mühsamen Verhandlun­gen haben sich die Regierungs­spitzen Christian Kern (SPÖ) und Reinhold Mitterlehn­er (ÖVP) auf den Ausbau der Ganztagssc­hule geeinigt – aber nicht sämtliche Kritik ausgeräumt.
Gezeichnet von einer „langen Nacht“: Nach mühsamen Verhandlun­gen haben sich die Regierungs­spitzen Christian Kern (SPÖ) und Reinhold Mitterlehn­er (ÖVP) auf den Ausbau der Ganztagssc­hule geeinigt – aber nicht sämtliche Kritik ausgeräumt.

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