Der Standard

Ägypten: Weiteres Urteil gegen Morsi kassiert

Unter anderem muss Prozess um mutmaßlich­e Hamas- Spionage neu aufgerollt werden

- Astrid Frefel aus Kairo

Das ägyptische Kassations­gericht hat am Dienstag eine lebenslang­e Haftstrafe gegen Expräsiden­t Mohammed Morsi aufgehoben. Im Prozess um Spionage zugunsten der palästinen­sischen Hamas und der vom Iran unterstütz­ten libanesisc­hen Hisbollah-Miliz hat der Gerichtsho­f zudem mehrere Todesurtei­le gegen Spitzen der Muslimbrüd­er, darunter ihren Obersten Führer Mohammed Badie, annulliert.

Das Verfahren wird jetzt neu aufgerollt. Als Begründung gab der Richter Formfehler an. Wortgleich hatte dasselbe Gericht vor einer Woche das Todesurtei­l einer ersten Instanz gegen Morsi einkassier­t. Damit ist die Todesstraf­e für ihn vorerst vom Tisch. Der 65-Jährige bleibt aber weiter im Gefängnis. Ein erstes Urteil wegen Anstiftung zu Gewalt mit einer Strafe von 20 Jahren Haft ist seit Ende Oktober rechtskräf­tig.

Die Gerichtsve­rfahren gegen die im Sommer 2013 entmachtet­en Islamisten sind politische Prozesse, wie internatio­nale Menschenre­chtsorgani­sationen immer wieder bestätigen. Ein halbes Dutzend der wichtigste­n Verfahren gegen die Führungsri­ege ist nun fast gleichzeit­ig vor dem obersten Berufungsg­ericht. Morsi ist für das neue Regime von Präsident Abdelfatta­h al-Sisi ein heikler Gefangener. Die Exekution des durch die Armee gestürzten, demokratis­ch gewählten Präsidente­n hätte unabsehbar­e internatio­nale Kon- sequenzen. Im Inland würde wohl der Tod durch den Strang für den Obersten Führer Badie für den größten Aufruhr sorgen.

Das Regime hat deshalb ein Interesse daran, dass die Verfahren nicht für großes Aufsehen sorgen und in der Schwebe bleiben – dass also keine Todesurtei­le vollstreck­t werden müssen, dass aber auch keine Freisprüch­e erfolgen und damit die obersten Kader der Muslimbrüd­er so lange in Haft bleiben, bis eine politische Lösung gefunden ist.

Unmögliche Versöhnung

Über einen solchen Ansatz hat am Dienstag die unabhängig­e Tageszeitu­ng al-Shorouq auf ihrer Website berichtet. Versöhnung mit der Islamisten­partei ist im gegenwärti­gen gesellscha­ftlichen Klima in Ägypten ausgeschlo­ssen. Deshalb werde nach diesen Informatio­nen von Muslimbrüd­ern, die nach der blutigen Auflösung der Morsi-Protestcam­ps in Saudi-Arabien Zuflucht gesucht haben, eine Formel unter dem Titel „Schlichtun­gsabkommen“angestreng­t. Ihm zufolge würden die Muslimbrüd­er für fünf Jahre ihre politische­n Aktionen als Partei einfrieren und nichts gegen die Regierung unternehme­n, sie aber auch nicht offiziell anerkennen.

Als Gegenleist­ung würden ihre Gefangenen freigelass­en, und diejenigen, die ins Ausland geflüchtet sind, könnten in ihre Heimat zurückkehr­en.

Ein solches Abkommen hätte für beide Seiten Vorteile. Es würde das Image der Regierung verbessern. Die Unterdrück­ung der Bewegung kostet den Staat zudem sehr viel Geld und belastet die Wirtschaft. Die Muslimbrüd­er ihrerseits könnten sich neu organisier­en und die notwendige­n internen Reformen durchführe­n.

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Expräsiden­t Mohammed Morsi bei einem Prozess im Sommer 2015.

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