Der Standard

Böse Erinnerung­en an Fukushima

Heftige Erdstöße vor der Küste im Nordosten Japans sorgen für ein Déjà-vu-Erlebnis bei den Bewohnern, ereignete sich doch genau dort 2011 die große Atomkatast­rophe. Diesmal aber sind die Schäden geringer.

- Martin Fritz aus Tokio

Um 5.59 Uhr rüttelte ein mächtiges Erdbeben die Menschen im Nordosten von Japan unsanft aus dem Schlaf. „Als ob sich der Boden in Wasser verwandelt hätte und mein Haus schwimmen würde“, beschrieb ein Anwohner die Schwankung­en des Untergrund­es. Dann heulten die Sirenen.

Der Fernsehsen­der NHK unterbrach sein Programm. „Fliehen Sie von der Küste“, forderte der Sprecher die Bewohner von Fukushima auf. Die Szenen waren für viele Japaner ein Déjà-vu-Erlebnis und brachten die Erinnerung­en an den Tsunami und die Atomkatast­rophe vom 11. März 2011 zurück. Auch damals lag das Epizentrum des Bebens im Meer. Auch damals wurde vor einem bis zu drei Meter hohen Tsunami gewarnt. „Ich spürte die gleiche Angst in den Knochen“, berichtete ein Pensionist im Fernsehen.

Anders als vor fünfeinhal­b Jahren kamen die Japaner diesmal mit dem Schrecken davon. Denn das Beben von Dienstag war mit einer Stärke von 7,4 deutlich schwächer als das von 2011 mit 9,0. Während damals 18.500 Menschen starben, wurden diesmal lediglich vierzehn Menschen leicht verletzt. Sie stolperten bei den Erdstößen oder wurden von herabfalle­ndem Geschirr und anderen Sachen getroffen.

Die Evakuierun­gen klappten reibungslo­s. Jeder Bewohner erhielt eine Warnung auf sein Handy. Damals hatte man sich auf Lautsprech­er verlassen und die Feuerwehr mit Megafonen losgeschic­kt. Viele Anwohner fuhren mit Autos ins Landesinne­re. Fischer steuerten ihre Boote aufs offene Meer. Niemand blieb als Schaulusti­ger zurück. Das hatte damals einige Menschen ihr Leben gekostet.

Auch das Arbeitsleb­en wurde kaum beeinträch­tigt. In einem Forschungs­zentrum der Chemiefirm­a Kureha brach ein Feuer aus, das schnell gelöscht werden konnte. In Geschäften und Supermärkt­en fielen Regale um. Dennoch wurden sie bald geöffnet. In einer Nissan-Fabrik stoppte man die Fertigung von Motoren nur vorübergeh­end. Es gab keine Überflutun­gen.

In der Stadt Tagajo drängte der Tsunami das Wasser des Sunaoshi-Flusses zurück. Die TV-Sender brachten mit den Luftaufnah­men dieses Schauspiel­s ihre Zuschauer zum Gruseln. Die höchste Welle wurde im Hafen der Metropole Sendai mit 1,40 Metern gemessen.

Misstrauen gegen Tepco

Das AKW Fukushima Daiichi erreichte ein ein Meter hoher Tsunami. Vor fünf Jahren waren die Wellen 14 Meter hoch. Nach Angaben von Betreiber Tepco gab es keine Schäden. Viele Japaner machen solche Abwiegelun­gen jedoch eher misstrauis­ch. Zwar wurden inzwischen zwei neue Betonmauer­n zwischen den Reaktoren und dem Meer errichtet. Aber sie dienen weniger dem Tsunami-Schutz, sondern sollen vor allem radioaktiv verstrahlt­es Grundwasse­r vom Meer trennen. Immerhin wurde die Notstromve­rsorgung höher gelegt. Der Tsunami von 2011 hatte die Aggregate überschwem­mt und so die Kernschmel­zen ausgelöst.

Allerdings fiel in Meiler 3 des AKW Fukushima Daini, ein zweiter Tepco-Atomkomple­x nahe den Atomruinen, der Strom für ein Abklingbec­ken mit abgebrannt­en Brenneleme­nten aus. Es dauerte 90 Minuten, bis die Kühlung wieder funktionie­rte. Die vier Reaktoren in der Atomanlage stehen höher und überstande­n das Beben 2011 ohne große Schäden. Seitdem blieben sie abgeschalt­et. Die Bewohner der Region lehnen ihren Neustart ab. Das neuerliche Beben hat die Menschen nun daran erinnert, warum.

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Der durch das Erdbeben ausgelöste Tsunami sorgte dafür, dass das Wasser des Sunaoshi-Flusses in der Stadt Tagajo zurückgedr­ängt wurde, wie von der japanische­n Polizei veröffentl­ichte Bilder zeigen.

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