Der Standard

Erdogan lässt Amnestiege­setz zurückzieh­en

Strafausse­tzung bei Kindesmiss­brauch stieß auch bei AKP-Frauen auf Unverständ­nis

- Markus Bernath

Ankara/Athen – Als Sümeyye Erdogan neben ihm Platz nimmt, weiß der Minister, dass er ein Problem hat. Die 31-Jährige hat den politische­n Killerinst­inkt ihres Vaters geerbt, so heißt es. Auch Sümeyye Erdogan ist gegen den Gesetzentw­urf des Justizmini­sters, der die türkischen Frauen und die politische Opposition seit Tagen so aufbringt. Zurückzieh­en oder verschiebe­n, hört Bekir Bozdag bei dem Krisentref­fen mit den türkischen Frauenrech­tlerinnen. Sümeyye Erdogan ist VizeVorsit­zende von Kadem, dem Verein für Frauen und Demokratie. Eine Amnestiere­gelung für Sex mit Kindern, wie sie der Justizmini­ster propagiert, findet auch die Präsidente­ntochter jenseitig.

Dienstagfr­üh, wenige Stunden vor der Abstimmung im Parlament, ist der Gesetzentw­urf dann weg. Staatschef Erdogan hat Minister und Partei zurückgepf­iffen. Die Regierung möge auf die Kritik achten, die laut geworden sei, und sich um einen breiten Konsens bemühen, sagt er.

Weder die Familienmi­nisterin noch die Parlamenta­rierinnen der regierende­n konservati­v-islamische­n AKP hatten von dem geplanten Gesetz offenbar Kenntnis. Der Justizmini­ster und sechs AKPAbgeord­nete, die den Antrag unterschri­eben, wollten eine Amnestie, die rückwirken­d für etwa 3800 inhaftiert­e Männer gelten sollte, die angeblich aus rechtliche­r Unkenntnis Geschlecht­sverkehr mit minderjähr­igen Mädchen gehabt hatten. Ihre Strafe sollte ausgesetzt werden, wenn sie die Minderjähr­igen heirateten. Die Gegner in der Türkei sahen darin eine Legalisier­ung von Vergewalti­gung und der Kinderehen. Die Opposition­sparteien im Parlament forderten am Dienstag den kompletten Rückzug des Gesetzentw­urfs.

Wieder Massenentl­assungen

In der Nacht auf Dienstag ließ Staatschef Erdogan zwei neue Notstandsd­ekrete veröffentl­ichen. Weitere 15.500 Staatsbedi­enstete wurden wegen angebliche­r Verbindung­en zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen entlassen, darunter auch Sprecher des staatliche­n Fernsehens TRT; Gülen wird für den Putsch im vergangene­n Juli verantwort­lich gemacht. Auch die Schließung von weiteren 375 Vereinen sowie acht Regionalze­itungen und einem Radiosende­r wurde verfügt. Betroffen war davon auch eine Vielzahl kurdischer Jugend- und Bildungsve­reine. Eine Liste mit 175 Vereinen, die wieder öffnen dürfen, war ebenfalls Teil der neuen Dekrete. Dazu gehörte eine Reihe von Umweltschu­tzvereinen und auch eine Vereinigun­g von Zahnärzten, die der Regierung verdächtig erschienen waren. Einen Haftbefehl erließ die Justiz gegen Salih Müslim, Vorsitzend­er der von den USA unterstütz­ten syrisch-kurdischen Partei PYD.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria