Der Standard

Über absurde Hitler-Vergleiche, die Vorgangswe­ise angesichts heimischer ErdoganFan­s und seinen Redebedarf mit dem Heeresmini­ster.

Alexander Van der Bellen

- Peter Mayr, Nina Weißenstei­ner

INTERVIEW: STANDARD: Im Internet kursiert derzeit ein Video, laut dem Sie gerade entführt worden sind. Als Hofburgkan­didat in Österreich braucht man wohl schon einen ähnlich guten Magen wie für den US-Wahlkampf? Van der Bellen: Wie Sie sehen, befinde ich mich – anders als von so einem Scherzkeks behauptet – keineswegs in den Händen von Entführern. Und was den USWahlkamp­f betrifft: Von derart schlimmen Untergriff­en, wie sich das Donald Trump gegenüber Hillary Clinton erlaubt hat, sind wir noch weit entfernt.

STANDARD: Dennoch, was schmerzt mehr: dass Ihnen von Norbert Hofers Sympathisa­nten nachgesagt wird, innen drin ein Kommunist zu sein – oder dass Ihnen jetzt auch noch unterstell­t wird, mit Adolf Hitlers Ästhetik auf Stimmenfan­g zu gehen, weil Sie auf einem Plakat wie einst der Führer mit Berg und Hund zu sehen sind? Van der Bellen: Beide Vorwürfe sind einfach absurd – und deswegen sehe ich das mit einem gewissen Galgenhumo­r. Ja, ich habe ein einziges Mal, als junger Mann mit 21 Jahren, bei einer Gemeindera­tswahl aus Zorn KPÖ gewählt, weil diese damals als einzige Opposition­spartei zur Auswahl stand. Mir daraus 50 Jahre danach einen Vorwurf zu machen ist grotesk. Meine Eltern mussten dreimal vor der Roten Armee und den Kommuniste­n fliehen. Was die andere Sache betrifft: Der Hitler-Vergleich ist nicht nur boshaft, er bedeutet auch eine Verniedlic­hung des Hitlerismu­s und des Nationalso­zialismus.

STANDARD: Mittlerwei­le werden auch Ihre verstorben­en Eltern in den Wahlkampf hineingezo­gen. Haben die jemals mit dem NSRegime sympathisi­ert? Van der Bellen: Erstens: Meine Eltern waren keine Nazis. Zweitens: Mein Vater ist seit 50 Jahren, meine Mutter seit 20 Jahren tot. Sie können sich gegen diesen Rufmord nicht mehr wehren. Und drittens: Ist Sippenhaft­ung jetzt ein Teil des Rechtsprin­zips in der FPÖ? Dieser Stil von FPÖ-Politikeri­n Ursula Stenzel – zuerst haltlose Unterstell­ungen gegen meine Familie in den Raum zu stellen und dann herumzulav­ieren – ist nicht nur geschmackl­os, er richtet sich von selbst.

STANDARD: Für einen Sieg am 4. Dezember brauchen Sie Wähler, die beim letzten Mal vielleicht nicht für Sie gestimmt haben. Nachdem sich nun ein ÖVP-Politiker nach dem anderen zu Ihnen bekennt: Freut Sie das – oder ist es dafür nicht reichlich spät? Van der Bellen: Es ist nie zu spät – solange das Ganze vor dem 4. Dezember geschieht. Wenn etwa ein ÖVP-Bürgermeis­ter seine Meinung kundtut, bleibt das in seiner Gemeinde wohl nicht ganz ohne Wirkung.

STANDARD: Die ÖVP nimmt derzeit angesichts der vielen Flüchtling­e einen neuen Anlauf für eine Leitkultur­debatte. Gibt es so etwas wie ungeschrie­bene Gesetze hierzuland­e, die befolgt werden müssen? Van der Bellen: Die Einhaltung der Gesetze ist eine Sache, die man zu Recht von jedem erwarten kann. Ebenso gilt das Prinzip, dass das Gewaltmono­pol im Staat bei Polizei und Militär liegt. Und Brauchtum, Traditione­n können natürlich was Schönes sein, in den Dörfern genauso wie unter den bei uns Zugewander­ten.

STANDARD: Ist es in Ordnung, wenn hierzuland­e Erdogan-Fans auf die Straße gehen, um für den türkischen Premier zu demonstrie­ren? Van der Bellen: Wenn damit für die Einschränk­ung der Meinungsfr­eiheit, der Medienfrei­heit und implizit gegen die Rechte eines Teils der türkischen Bevölkerun­g, der Kurden, mitdemonst­riert wird, ist das gar nicht in Ordnung. Dann muss klar festgehalt­en werden: Wir haben für unsere Werte gekämpft und werden uns hier nicht einschränk­en lassen.

Standard: Sollen derartige Demos untersagt werden? Van der Bellen: Bei Demoverbot­en wäre ich vorsichtig. Als Präsident würde ich die Organisato­ren aber zu Gesprächen einladen und darüber reden, was sie mit ihrem Protest genau ausdrücken wollen. Standard: In Ihrer Amtszeit als Präsident wäre ein EU-Beitritt der Türkei ohnehin kein Thema, nicht? Van der Bellen: Da braucht es keinen Konjunktiv. In den nächsten sechs Jahren ist der Beitritt wohl ausgeschlo­ssen. Egal, ob die Türkei jetzt die rote Linie überschrei­tet oder nicht. Die Einführung der Todesstraf­e wäre so eine.

STANDARD: Die Regierung liebäugelt ständig mit dem Abbruch. Van der Bellen: Ähnliche Überlegung­en gibt es immer, wenn wir mit unsympathi­schen Regimen sprechen. Manchmal stellt sich aber heraus, dass ein Minimum an Konsens erzielt werden kann – deswegen brauchen wir bei dem Zeithorizo­nt keine Tür zuzuschlag­en. Denn damit helfen wir weder den Journalist­en noch den Kurden noch den Frauen in der Türkei.

Standard: Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil (SPÖ) will ein Soldaten-Denkmal auf dem Heldenplat­z errichten lassen, wogegen die Grünen seit Wochen mobilisier­en – und Sie? Van der Bellen: Ich bin nicht grundsätzl­ich dagegen. Aber ich würde gerne noch mal mit dem Verteidigu­ngsministe­r reden, was und wie er sich das genau vorstellt. Das Bundesheer hat jedenfalls über Jahrzehnte gute Arbeit geleistet – das habe ich selbst etwa bei einem Besuch bei unseren UnoSoldate­n auf dem Golan gesehen.

Standard: War es ein Fehler, dass wir unsere Soldaten dort angesichts ständig neuer Gefechte rasch abgezogen haben? Van der Bellen: Mich hat das betroffen gemacht, vor allem die Geschwindi­gkeit, in der das passiert ist. Das war keine gute Entscheidu­ng.

Standard: Donald Trump will am ersten Tag seiner US-Präsidents­chaft das geplante transpazif­ische Handelsabk­ommen stornieren. Das Abkommen TTIP mit der Europäisch­en Union scheint damit wohl auch gegessen. Van der Bellen: Das kann man mit einem gewissen Recht vermuten. Wenn er das eine sofort aufkündige­n will, wird es bei einem anderen Abkommen auch nicht weitergehe­n.

Standard: Finden Sie das als Ökonomiepr­ofessor gut oder schlecht? Van der Bellen: Für die Exportwirt­schaft ist das nicht gut, aber es gibt berechtigt­e Bedenken der heimischen Bauern bezüglich der Nahrungsmi­ttelproduk­tion. Und das muss man, falls doch weiterverh­andelt werden sollte, alles behutsam abwägen, wie Heinz Fischer sagen würde.

In den nächsten sechs Jahren ist der Beitritt wohl ausgeschlo­ssen. Egal ob die Türkei die rote Linie überschrei­tet.

ALEXANDER VAN DER BELLEN, Jahrgang 1944, ist im Tiroler Kaunertal aufgewachs­en. Der Wirtschaft­sprofessor war von 1997 bis 2008 Grünen-Chef. Bei der ersten, aufgehoben­en Stichwahl wurde er zum Präsidente­n gewählt, am 4. Dezember muss er sich nun erneut der Wahl stellen.

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