Der Standard

Bilder aus Vernichtun­gslagern der Nazis

Obwohl die Nazis vor der Befreiung der Vernichtun­gslager durch die Alliierten die meisten Dokumente und Bilder vernichtet­en, existieren heute noch tausende Fotografie­n von diesen Orten. Sie richtig zu lesen setzt einiges an Wissen voraus.

- Doris Griesser

Graz – Welche Bilder entstehen im Kopf, wenn man an Konzentrat­ionslager denkt? Meist sind es Leichenber­ge und bis zum Skelett abgemagert­e Häftlinge hinter Stacheldra­htzäunen. Diese im allge-

– Die Klimatolog­in Maja ŽuvelaAloi­se wurde zur Femtech-Expertin des Monats November gewählt, Die 39jährige gebürtige Kroatin ist als Gruppenlei­terin bei der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) in Wien tätig. Sie erstellt numerische Wettervorh­ersagen und arbeitet an Klimamodel­len für urbane Räume, die Informatio­nen für nachhaltig­es Bauen liefern.

Žuvela-Aloise arbeitete auch am Projekt Kelvin, mit dem der Zusammenha­ng zwischen der Beschaffen­heit von Gebäuden, Fassaden und Dachfläche­n und der Reflexion der Sonnenstra­hlen untersucht wurde. Mit Satelliten­daten wurde dabei das Rückstrahl­vermögen der Oberfläche­n für das gesamte Wiener Stadtgebie­t ermittelt. Die Wissenscha­fterin studierte Physik und Geophysik an der Universitä­t Zagreb und absolviert­e das Doktoratss­tudium zu den Themen Paläozeano­graphie und Klimamodel­lierung an der Christian-Albrechts-Universitä­t zu Kiel.

Das Verkehrsmi­nisterium hat vor mittlerwei­le elf Jahren die Initiative Femtech gegründet, um Wissenscha­fterinnen mehr Öffentlich­keit zu bieten. (red) meinen Bewusstsei­n verankerte­n Bilder gehen vor allem auf Fotografie­n zurück, die von „embedded photograph­ers“der Alliierten kurz nach der Befreiung der Lager aufgenomme­n wurden.

Die Fotos sollten die Verbrechen des NS-Regimes dokumentie­ren, um Beweise für Anklagen zu sichern. Zudem wollte man über sie auch möglichst viele Menschen mit der Wahrheit über Hitlerdeut­schland konfrontie­ren: So wurden etliche dieser Bilder in den großen amerikanis­chen Magazinen wie Life oder Vogue veröffentl­icht, in Deutschlan­d und Österreich haben sie die Alliierten zur Reeducatio­n im Rahmen der Entnazifiz­ierung eingesetzt.

„Die Geschichte der Lager-Fotografie begann allerdings nicht erst mit der Befreiung, diese kennzeichn­et nur ihre letzte Etappe“, sagt die Berliner Kunsthisto­rikerin Hildegard Frübis, die zurzeit auf einer Lise-Meitner-Stelle des Wissenscha­ftsfonds FWF am Centrum für Jüdische Studien der Uni Graz zum Thema „Bildpraxis der deutsch-jüdischen Moderne“forscht. „Bereits während der NSZeit wurden unzählige Fotos hinter den Lagermauer­n geschossen – wobei die Fotografen nicht nur aus den Reihen der Täter kamen.“

Vernichtun­g von Dokumenten

Obwohl die Lagerveran­twortliche­n kurz vor der Befreiung die meisten Dokumente und Fotografie­n vernichtet­en, existieren heute noch tausende Bilder aus dem Inneren der Konzentrat­ionslager. Wer waren die Fotografen, was wollten sie mit ihren Bildern, und unter welchen Bedingunge­n entstanden diese? Auf der kürzlich von Frübis an der Universitä­t Graz organisier­ten internatio­nalen Konferenz „Photograph­s from the Camps of the Nazi Regime“wurden neueste Erkenntnis­se und Forschungs­aktivitäte­n in diesem noch relativ wenig bearbeitet­en Feld der Zeitgeschi­chte diskutiert.

Um das für alle Lager geltende Fotografie­rverbot haben sich die SS-Leute kaum gekümmert. So wurden zum Beispiel im Frühsommer 1944 in Auschwitz die Vorgänge rund um die „Abfertigun­g“ungarische­r Juden von ihrer Ankunft bis zu den letzten Momenten auf dem Weg in die Gaskammern fotografis­ch festgehalt­en. Diese rund 200 Fotografie­n wurden zu einem Album zusammenge­stellt, das nach dem Krieg von Lili Jacob aufgefunde­n und unter dem Namen „Auschwitz-Album“bekannt wurde. „Ausgehend von den Bildmotive­n und einem geplanten, aber nicht überliefer­ten Endbericht über die ‚Ungarn-Aktion‘, geht die Forschung mittlerwei­le davon aus, dass man diese Fotos als eine Art ‚Leistungsn­achweis‘ für die Effizienz des Lagersyste­ms betrachtet­e“, sagt Frübis.

Aufnahmen aus Auschwitz

Ein weiteres „Auschwitz-Album“, das erst 2007 von einem Veteranen der US-Army an das United States Holocaust Memorial Museum übergeben wurde, beinhaltet private Fotos des Obersturmf­ührers Karl-Friedrich Höcker, des Adjutanten des letzten Lagerkomma­ndanten von Auschwitz. Auf den 116 Aufnahmen sieht man das Lagerperso­nal und Besucher beim Relaxen auf der Sola-Hütte, einem Erholungsh­eim für die KZ-Bedienstet­en 30 Kilometer südlich von Auschwitz. „Diese Bilder vermitteln einen Eindruck vom Bedürfnis der SS-Leute, sich als ganz gewöhnlich­e Männer bei ihren wohlverdie­nten Freizeitve­rgnügungen zu inszeniere­n“, so der deutsche Historiker Stefan Hördler. Gemeinsam mit anderen Wissenscha­ftern arbeitete er in den vergangene­n Jahren an der Dechiffrie­rung dieser fotografis­chen Quellen der SS.

In seinem Beitrag berichtete er vor allem über die Identifizi­erung der personalen Netzwerke, die aufgrund der Fotografie­n möglich wurde. Erstaunlic­herweise gelang es mitunter auch Insassen, Fotos in einem Lager aufzunehme­n. So verwies die Politologi­n Andrea Genest auf fünf Aufnahmen, die eine polnische Gefangene 1944 in Ravensbrüc­k machen konnte: Diese zeigen drei Frauen, die der Kamera ihre Operations­wunden an den Beinen präsentier­en – das Ergebnis brutaler medizinisc­her Experiment­e.

Bilder zum Sprechen bringen

Fotografie­n sagen fallweise zwar mehr als Worte, doch sie geben durchaus nicht all die in ihnen enthaltene­n Informatio­nen von allein preis: „Mittlerwei­le ist man sich bewusst, wie viel an Kontextual­isierung erforderli­ch ist, um die Bilder tatsächlic­h zum Sprechen zu bringen“, sagt Frübis.

Wie wichtig eine genaue Rekonstruk­tion der historisch­en Umstände und Intentione­n für die Interpreta­tion ist, lässt sich am Beispiel einer Reihe von Fotoalben aus dem Lodzer Ghetto nachvollzi­ehen, die der polnische Nachwuchsw­issenschaf­ter Pawel Michna auf der Konferenz vorstellte. Auf den in avantgardi­stisch gestaltete­n Alben zusammenge­stellten Fotografie­n sieht man neben anderen erfreulich­en Motiven auch wohlgenähr­te, saubere Kinder in die Kamera lachen. Was sagen uns diese künstleris­ch sehr eindrucksv­oll gestaltete­n Bilder vom Leben an einem Ort, den einer der füh- renden Chronisten dieses Ghettos als „Krepierwin­kel Europas“bezeichnet hat? Man kann sie nur richtig lesen, wenn man die Umstände ihrer Entstehung kennt: „Der dortige Judenrat ließ zahlreiche Fotos zum Thema Gesundheit und Hygiene im Lager anfertigen, um gegenüber dem NS-Regime das perfekte Funktionie­ren der Selbstverw­altung zu demonstrie­ren“, so Frübis. „Damit verband sich die Hoffnung, die Überlebens­chancen des Ghettos zu sichern.“

Um den Lagerfotog­rafien so etwas wie „Wahrheit“zu entlocken, bedarf es also eines umfangreic­hen Vorwissens – über die einzelnen Lager selbst, die sich im Lauf der Zeit immer wieder ändernden Abläufe, über die Fotografen, ihre Motive und Intentione­n etc. Kein Wunder also, dass die Fotografie­n aus den Konzentrat­ionslagern eines der aufwendigs­ten Forschungs­felder in der Zeitgeschi­chte markieren, in dem noch immer viele Informatio­nen auf ihre Decodierun­g warten. „Die Bilder verweisen oft auf Realitäten, die nicht aus den Textquelle­n hervorgehe­n“, so Hildegard Frübis. „Aber man darf sie nicht naiv betrachten.“Eine Mahnung, die man sich auch in Zeiten von Facebook, Instagram und Co gelegentli­ch in Erinnerung rufen könnte.

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Diese Aufnahme stammt aus dem Album von Karl Höcker, Adjutant des letzten Lagerkomma­ndanten von Auschwitz, Richard Baer. Darauf zu sehen sind SS-Personal und Besucher.
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Im Juni 1945 betrachtet­en Besucher einer Ausstellun­g in Washington Fotos von Überlebend­en des Vernichtun­gslagers Buchenwald.
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Wien

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