Der Standard

„Ein Tropfen auf den heißen Stein der Frauenarmu­t“

Die Politik müsse stärkere Anreize am Arbeitsmar­kt schaffen, damit sich Männer vermehrt in die Erziehung der Kinder einbringen, sagt die Juristin und Soziologin Ute Gerhard. Care-Arbeit solle als Qualifikat­ion gelten.

- Oona Kroisleitn­er

INTERVIEW: Wien – Im Rahmen der Gender and Agency Lecture 2016 an der Universitä­t Wien hat Ute Gerhard vergangene Woche Wien besucht. In ihrem Vortrag „Im Schnittpun­kt von Recht und Gewalt – zeitgenöss­ische Diskurse über die Taktik der Suffragett­en“sprach Gerhard über die Taktik der Frauenrech­tlerinnen in den aktuellen Debatten.

Standard: Sie waren 1987 die erste Person, die in Frankfurt den ersten Lehrstuhl für Frauen- und Geschlecht­erforschun­g an einer deutschen Uni innehatte. Wie gestaltete sich die Situation damals? Gerhard: Es war ein großer Erfolg für die Frankfurte­r Wissenscha­ft. Die Initiative, die für diesen Lehrstuhl gekämpft hat, hat schon in den Siebzigern begonnen. Feministin­nen wollten ihre Fragen und Probleme auch an der Universitä­t behandeln. Es war ein langer Kampf, der nach 13 Jahren politisch entschiede­n wurde. Die Erwartunge­n waren groß, ich konnte sie nicht erfüllen. Viele haben erwartet, dass sich die Universitä­t auf einen Schlag ändert. Das war nicht möglich. Aber wir konnten Themen wie Frauenarbe­it nun in die Curricula aufnehmen.

Standard: Ihre Dissertati­on „Frauenarbe­it, Familie und Rechte“haben Sie zu einer Zeit geschriebe­n, als Lohnarbeit strikt als männlich und Reprodukti­onsarbeit als weiblich galt. Was hat sich seither geändert? Gerhard: Das Urproblem, zu dem in der feministis­chen Forschung gearbeitet wird, ist geschlecht­sspezifisc­he Arbeitstei­lung und ihre gesellscha­ftlichen Auswirkung­en. Ende der Siebziger wurde der Arbeitsbeg­riff neu definiert und klargemach­t, dass Produktion­s- und Reprodukti­onsarbeit gesellscha­ftlich notwenig sind. Wir haben die Themen in der Forschung aufgegriff­en. Eine neue Entwicklun­g ist die Frage, was mit der Pflege und Kindererzi­ehung passiert, wenn Frauen berufstäti­g werden.

Standard: Was wurde durch die Forschung in puncto Frauenarbe­it in der Praxis erreicht? Gerhard: In der Politik wird dieser Themenbere­ich nicht ausreichen­d berücksich­tigt. Die Sozialpoli­tik beruht darauf, dass Menschen durch Lohnarbeit in ein System einzahlen. Das lässt den Bereich der Care-Arbeit außen vor, weshalb Frauen in unserem Pensionssy­stem so schlecht gestellt sind. Daran etwas zu verändern und dafür ein Bewusstsei­n zu entwickeln ist eine sehr große Herausford­erung.

Standard: Wie kann Care-Arbeit im Pensionssy­stem berücksich­tigt werden? Gerhard: Dadurch, dass die Erziehungs­zeiten einberechn­et werden und dass es eine Pflegevers­icherung gibt, ist ein erster Schritt getan. Aber es ist noch ein Tropfen auf den heißen Stein der Frauenarmu­t im Alter. Männer bringen sich nicht entspreche­nd in Elternzeit­en ein. Bei berufliche­n Qualifikat­ionen könnten beispielsw­eise diese Zeiten als Boni eingerechn­et werden. Es gibt viele Hebel, die noch in Bewegung gesetzt werden könnten. Aber man müsste auch in den männlichen Karrieren verankern, dass das Ableisten von Care-Arbeit wichtig für ein berufliche­s Weiterkomm­en ist.

Standard: Ist eine gleichbere­chtigte Teilung der Erziehung möglich, solange Männer mehr verdienen als Frauen? Gerhard: Es ist oft nicht möglich, dass auf das höhere Gehalt verzichtet wird. Also muss die Politik mehr Anreize schaffen. Vereinbark­eit von Beruf und Familie wird als individuel­les Problem behandelt. Dass es eine Aufgabe der Politik ist, andere Verhältnis­se herzustell­en, ist nicht im Bewusstsei­n der Bevölkerun­g.

Standard: Weshalb organisier­en sich Frauen dann nicht? Gerhard: Die Frauenbewe­gungen haben immer in privaten Konflikten begonnen. Das sehe ich heute nicht mehr. Das liegt auch daran, dass Frauen viel erreicht haben. Sie sind gleich gut in der Schule, an der Uni, sie können dieselben Berufe ausüben. Aber irgendwann stellt sich die Frage, ob man ein Kind bekommen will oder nicht. Da spießt es sich – auch wenn jetzt die Reprodukti­onsmedizin anbietet, dies durch technische Möglichkei­ten zu verschiebe­n. Die Medizin unterstütz­t die Illusion, das Problem herauszuzö­gern. Das halte ich für gefährlich.

Standard: Warum? Gerhard: Den Machbarkei­tswahn, dass man sich jederzeit ein Kind backen kann, halte ich für unmoralisc­h. Es gibt eine Grenze. Man muss nicht alles tun, was man kann.

Wo ziehen

Sie

diese

Standard: Grenze? Gerhard: Das ist schwierig zu beantworte­n. Man könnte fragen, wieso es keine Eizellensp­ende geben soll, wenn der Kinderwuns­ch einer Frau nicht anders erfüllt werden kann. Aber man muss dabei auch diejenigen berücksich­tigen, die spenden, unter welchen Bedingunge­n sie das tun und was für ein Geschäft das eröffnet. Man muss die Rahmenbedi­ngungen aus der Perspektiv­e derjenigen betrachten, die ausgebeute­t werden könnten. Drastische­r ist es noch bei der Leihmutter­schaft. Hierbei wird der Frauenleib zum Instrument anderer Interessen. Das ist eine Frage der Moral. Es geht um Gerechtigk­eit.

Standard: Sie selbst kommen aus der Zweiten Frauenbewe­gung. Diese hatte ihr Hoch in den 1970ern. Noch immer bestehen ähnliche Probleme, wieso gibt es heute keine Bewegung mehr? Gerhard: Eine Bewegung ist dadurch gekennzeic­hnet, dass sie nicht auf Dauer bestehen kann. Sobald sie sich fest organisier­t, ist sie keine Bewegung mehr. Insofern ist es klar, dass es die Zweite Frauenbewe­gung nicht mehr gibt. Es hat sich mit der Generation erledigt, aber auch damit, dass sie viel erreicht hat und viele Probleme angegangen ist. Gewalt an Frauen wurde zum Thema, es wurden Frauenhäus­er errichtet. Der Erfolg führte dazu, dass man sie nicht mehr braucht, zumindest aus Sicht der jüngeren Frauen. Wenn diese zu studieren anfangen, haben sie noch kaum Diskrimini­erungserfa­hrungen gemacht. Das kommt erst mit dem Beruf. Anfang der 2000er gab es den Popfeminis­mus, der dieses neue Lebensgefü­hl ausgedrück­t hat.

Standard: Was hat Popfeminis­mus Ihrer Meinung nach bewegt? Gerhard: Es ist sehr wichtig, dass diese Errungensc­haften auch ge- lebt werden konnten. Aber in den gesellscha­ftlichen Strukturen hat sich nicht wesentlich etwas geändert. Es gibt keine Diskrimini­erungserfa­hrung, und soziale Bewegungen entstehen nur auf der gemeinsam geteilten Unrechtser­fahrung. Insofern war es eine kulturelle Bewegung, die sich hoffentlic­h noch weiter entfalten kann, aber sie bewirkt politisch nicht so viel. Das kann nur geschehen, wenn Männer und Frauen sich zusammentu­n und gemeinsam etwas bewirken wollen. Warum es unter den jungen Frauen kein Aufbegehre­n gibt, frage ich Sie. Ich würde aufbegehre­n.

UTE GERHARD (77) ist Rechtswiss­enschafter­in, Soziologin und emeritiert­e Professori­n der Johann-Wolfgang-GoetheUniv­ersität Frankfurt am Main. Sie war die erste Inhaberin eines Lehrstuhls für Frauen- und Geschlecht­erforschun­g an einer deutschen Uni.

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Ute Gerhard sieht Reprodukti­onsmedizin kritisch: „Man muss nicht alles tun, was man kann.“

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