Der Standard

Von Läusen und Menschen

Die Historiker­in Eva Hallama erforscht die Nazi-Einrichtun­gen zur Entlausung

- Doris Griesser

Wien – Ob Kopf-, Filz- oder Kleiderlau­s, die kleinen Tierchen sind nicht nur höchst unbeliebt, sondern verfügen auch über einen großen Symbolgeha­lt. So wurde die Laus als Überträger­in des Fleckfiebe­rs im Nationalso­zialismus mit einem „schmutzige­n und unzivilisi­erten“Osten verbunden, wo die Krankheit anders als in den westlichen Ländern noch verbreitet war. Als die Nazis im Zuge der Besetzung Osteuropas Millionen von Zwangsarbe­itern ins Deutsche Reich holten, errichtete­n sie deshalb rund 15 sogenannte Grenzentla­usungslage­r.

In ihrer Doktorarbe­it untersucht Eva Hallama (36) diese relativ unbekannte­n Einrichtun­gen der NS-Zwangsarbe­it. „Mich interessie­rt zum einen, wie dieser Durchschle­usungsvorg­ang, die Erfassung, Untersuchu­ng und Entlausung der Menschen, konkret ausgesehen hat und welche Diskurse mit der Institutio­n ‚Grenzentla­usungslage­r‘ verbunden waren“, so die Zeithistor­ikerin der Uni Wien. Parallel dazu befasst sie sich mit der Perspektiv­e der Betroffene­n: Wie erlebten die Zwangsarbe­iter und Zwangsarbe­iterinnen diese Praxis?

Um davon einen Eindruck zu bekommen, hat sie an die 500 Interviews mit ehemaligen Zwangsarbe­itern aus einem deutschen Online-Archiv durchforst­et. Untersucht hat sie dabei auch den Moment der Scham: „Die Laus gilt als unsichtbar­e Gefahr, da sie sich meist in Ritzen, Falten, Kopfund Schamhaare­n versteckt.“

Diese Stellen bloßzulege­n und mit Chemikalie­n zu behandeln, war ein Eingriff in die Intimität der Menschen. Dass Arbeitsunf­ähige und Kranke zu Schädlinge­n herabgestu­ft wurden, die vernichtet werden müssen, hat Hallama bereits in ihrer Diplomarbe­it zur Unternehme­nsgeschich­te des „Allgemeine­n Reinigungs- und Entwesungs­dienstes Anton Slupetzky“dokumentie­rt. „Diese Firma war für die Entlausung von Zwangsarbe­itern zuständig und als Schädlings­bekämpfer in Konzentrat­ionslagern auch in die NS- Massenmord­e involviert.“Bezeichnen­derweise komme die Gaskammert­echnologie aus dem Bereich der Schädlings­bekämpfung. „Nur wenige Firmen hatten damals die Konzession, die Vergasunge­n durchzufüh­ren“, sagt Hallama. Eine davon war das Reinigungs­unternehme­n Slupetzky, das die Baracken in Gusen und Mauthausen schädlings­frei machen sollte. Dass dabei auch die Kranken mitvergast wurden, verdeutlic­ht die Nähe von Seuchenkon­trolle, Schädlings­bekämpfung und Massenmord während des Nationalso­zialismus.

Vor ihrem Geschichte- und Russischst­udium in Wien und St. Petersburg hat die Stipendiat­in der Akademie der Wissenscha­ften, derzeit Junior Fellow am Internatio­nalen Forschungs­zentrum Kulturwiss­enschaften (IFK), acht Jahre lang an der Produktion von Serien, Kino- und Fernsehfil­men mitgewirkt, zuletzt als Regieassis­tentin von Andreas Prochaska. Ob diese turbulente Gegenwelt zum vergleichs­weise ruhigen Forscherle­ben noch eine Anziehung auf sie ausübt? „Einen Film möchte ich schon gerne einmal machen“, sagt die gebürtige Steirerin. Das Sujet wäre dann wohl vorgegeben – immerhin könnte sie auf umfangreic­he Recherchea­rbeiten zum Themenkomp­lex Grenzen, Seuchen und Rassismus zurückgrei­fen. Und der ist auch lange nach dem Ende des Nationalso­zialismus noch aktuell.

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Vor ihrer Dissertati­on war die Historiker­in Eva Hallama als Regieassis­tentin tätig.

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