Der Standard

Der Lehm, aus dem die Albträume sind

Seit Jahrhunder­ten beschäftig­t die Geschichte des Golem die Fantasie der Menschen in aller Welt. Das Jüdische Museum Berlin widmet der mythologis­chen Gestalt eine Schau, die von japanische­n Actionfigu­ren über Donald Trump bis zu den „Simpsons“reicht.

- Bert Rebhandl aus Berlin

Für einen Golem, die legendäre Lehm- und Kultfigur, gibt es eine Bauanleitu­ng aus dem 17. Jahrhunder­t. Sie beruht vollständi­g auf dem hebräische­n Alphabet: Für die Gestalt nimmt man ein Aleph, für die Eingeweide den Buchstaben Mem, mit Schin kommt der Kopf, und die Organe sind dann so etwas wie die weniger bekannten Konsonante­n.

Eine Kunstfigur, die Schrecken verbreitet, hier aber schon ganz und gar als Konstrukti­on ausgewiese­n ist: Seit Jahrhunder­ten beschäftig­t der Golem die Fantasie. Zuletzt kam jemand sogar auf die Idee, das populistis­che Monstrum, das Amerika zu einem Spielzimme­r seiner Launen gemacht hat, als Golem zu deuten. Donald Trump sollte eigentlich zu Staub zerfallen, wenn man genau hinsieht, aber wer schaut schon genau hin bei einer Erscheinun­g, die sich so fasziniere­nd aufbläst?

Mythos mit Weltkarrie­re

Der Golem stammt aus Prag, gehört inzwischen aber der ganzen Welt – und nicht zuletzt der ganz anderen Welt der asiatische­n Spielzeugf­iguren. Mit dieser Pointe beginnt eine sehr instruktiv­e Ausstellun­g des Jüdischen Museums Berlin, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine Kulturgesc­hichte der Golem-Vorstellun- gen zu präsentier­en. Das Thema bietet sich an, denn es gibt reichlich Material aus vielen Bereichen, von einer kleinen, passenderw­eise in einen Winkel gesteckten unheimlich­en Videoarbei­t von Christian Boltanski bis zu einem hochintere­ssanten Gemälde von Gert Heinrich Wollheim aus dem Jahr 1921, in dem der Golem ein weibliches Selbstbild­nis prägt.

Da steckt eine Menge dahinter, das weit bis in älteste Erzählunge­n vom Anfang der Welt zurückreic­ht, wo es ja auch eine Lehmgeburt gibt und wo erst nach einer Weile ein zweites Geschlecht auftaucht. Wenn der Talmud unverheira­tete Frauen beiläufig als Golems bezeichnet, dann heißt das auch, dass sie unter modernen Bedingunge­n ihre Seele nicht mehr durch die Ehe und den Mann bekommen müssen, sondern durch Emanzipati­on belebt werden müssen.

Die bekanntest­e Darstellun­g des Golems stammt aus einem Stummfilm von anno 1920, der wiederum auf einen Prager Sagenkompl­ex aus dem 16. Jahrhunder­t zurückgeht. Die mächtige Figur dient hier als eine Art Kampfrobot­er, den die jüdische Gemeinde, weil man sie aus der Stadt vertreiben will, zuerst konstrukti­v einsetzt.

Dann setzen sich aber zerstöreri­sche Impulse durch, erst ein Mädchen findet schließlic­h den Knopf (den Stern), mit dem der Koloss wieder unschädlic­h gemacht werden kann. Die Geschichte ist unschwer als Bild für eine zweischnei­dige Technik lesbar, als Hinweis auf die Unbeherrsc­hbarkeit von Dingen, mit denen der Mensch sich über sich selbst (und gegen seine Herrscher) erhebt.

Der Golem, wie er in die Welt kam von Paul Wegener wurde ein Welterfolg nicht zuletzt wegen seines Designs (er prägt bis heute Vorstellun­gen eines alten Prags). Das Jüdische Museum geht auf diese Aspekte ausführlic­h ein (zum Beispiel mit einem sehr aufschluss­reichen Vergleich von Filmplakat­en, die auf Hans Poelzig vom Deutschen Werkbund zurückgehe­n), und entdeckt dabei auch jene Folge der Simpsons, in der sich bei Krusty dem Clown ein Golem in der Rumpelkamm­er findet.

Vom Golem zum Cyborg

Insgesamt aber liegt das Interesse der Ausstellun­g doch deutlich auf den Aspekten, die heute in den Jugendzimm­ern und in der nach vorn gewandten Vorstellun­gskraft eine Rolle spielen. Vom Golem aus werden viele Verbindung­en zu anderen Cyborg- und Robotermot­iven gezogen. Für Kids, die sich in Minecraftw­elten bewegen, sind Golems vor allem virtuelle Bauklotzfi­guren, mit denen man sich gegen Zombies verteidige­n kann.

Für den künftigen amerikanis­chen Präsidente­n steckt in der Golem-Geschichte hingegen eine Warnung: Denn die Kraft der mythischen Figur beruht nun einmal im Kern auf der Magie von Buch- staben, die ihr in manchen Versionen auf die Stirn geschriebe­n sind. Bei Donald Trump bildet die Entsprechu­ng die weiße Baseballca­p, auf der die Parole „Make America Great Again“geschriebe­n steht. Diese Kappe kann er im Amt nicht mehr gut tragen. Manche gründen darauf die Hoffnung, dass er vielleicht schon jetzt zu schrumpfen beginnt, und irgendwann ohnmächtig auf dem Rücken liegt. Die Ausstellun­g im Jüdischen Museum bekommt mit diesem Motiv eine pointierte Aktualität, deren sie aber gar nicht bedürfte, weil sie auch so höchst sehenswert ist. Bis 29. 1., Katalog 29 Euro pwww. jmberlin.de

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In dem Stummfilm „Der Golem“(1920) wendet sich selbiger gegen seine Schöpfer. Ein kleines Mädchen kann den Unhold besänftige­n.

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