Der Standard

Armselige Hochburg

- Gerald John

Der Bundeskanz­ler bat um Milde. In den sechs Monaten, in denen er nun im Amt sei, könne die Regierung unmöglich „alles umbauen, alles neu machen“, sagte Christian Kern Dienstagfr­üh vor versammelt­er Medienscha­r: Doch die „Akzente“würden kommen – „da darf ich Sie noch um ein bisschen Geduld bitten“.

Man ist geneigt, Kern den guten Glauben abzunehmen: Die Worte des von einer zermürbend­en Verhandlun­gsnacht erschöpfte­n Regierungs­chefs klangen authentisc­h und so gar nicht nach den ihm nachgesagt­en Gelüsten, den Absprung aus der Koalition zu wagen. Womöglich ist bei Kern aber auch die Erkenntnis gereift, dass er momentan gar nicht anders kann: Die SPÖ ist schlicht nicht der Verfassung, in Neuwahlen zu stürmen.

Abgesehen von der alles überlagern­den Ausländerd­ebatte, die der FPÖ in die Hände spielt, ist das größte Handicap hausgemach­t. Kein SPÖ-Chef kann eine Wahl gewinnen, ohne dass sich die Wiener Landespart­ei ins Zeug legt. Doch die ist in einem armseligen Zustand: Flügelkämp­fe und die ungelöste Nachfolgef­rage an der Spitzen lähmen die Genossen aus der Hauptstadt. Bürgermeis­ter Michael Häupl, einst wortgewalt­iger Player, ist in der Bundespoli­tik abgemeldet, für Schlagzeil­en sorgen nur die Querelen.

Kampagnenf­ähig ist eine Partei in solch einer Verfassung nicht: Bei baldigen Neuwahlen droht Kern in der vermeintli­chen Hochburg zu scheitern.

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