Der Standard

Menschlich­er Blowout

„Deepwater Horizon“: Ein souveränes Actionkamm­erspiel über eine amerikanis­che Katastroph­e

- Michael Pekler

Wien – Das Ziel am Horizont ist siebzig Kilometer vor der US-Küste, im Golf von Mexiko, erreicht. Dann setzt der Helikopter wie so oft auch am 20. April 2010 auf der Bohrplattf­orm Deepwater Horizon auf.

Die Arbeiter sind angespannt. Der die Bohranlage betreibend­e Mineralölk­onzern BP hat ein Rekorderge­bnis als neues Ziel ausgegeben, die eben gelandeten Cheftechni­ker Mike Williams (Mark Wahlberg) und Jimmy Harrell (Kurt Russell) sind skeptisch. Der Druck auf das Bohrloch sei zu hoch, die Testversuc­he seien nicht eindeutig. Vidrine (John Malkovich), der Mann aus London, wiegelt eloquent ab. Das Risiko sei vernachläs­sigbar, der Gewinn hingegen erwartbar. Das Ergebnis ist bekannt – dem Blowout folgte die schwerste Ölpest der Ge- schichte. Millionen Tonnen Öl im Meer. Und elf Tote.

Deepwater Horizon funktionie­rt seinerseit­s wie ein gut geöltes Actionkamm­erspiel, in dem die Katastroph­e das tragische Resultat bürokratis­cher Arroganz und kapitalist­ischer Profitgier bedeutet. Denn selbstvers­tändlich werden die alarmieren­den Zeichen übersehen. Oder bewusst falsch interpreti­ert. Und der Kontrollve­rlust über die Technik bis zuletzt als unmöglich wahrgenomm­en.

Im Vergleich zu den bisherigen Arbeiten des Blockbuste­r-Allrounder­s Peter Berg (Battleship) mutet Deepwater Horizon wie ein B-Movie an, das vom verhängnis­vollen freien Spiel der Kräfte erzählt – von fehlenden Möglichkei­ten und Kompromiss­en, aber auch von mangelndem Widerstand. Denn das Böse hat hier – mit dem erstaunlic­h zurückhalt­end agie- renden Malkovich – keineswegs seinen Hauptwohns­itz in Großbritan­nien. Weder direkte Anklage noch eine ohnehin unmögliche Entschuldu­ng verfolgt dieser überrasche­nd ausdiffere­nzierte Film, sondern Allzumensc­hliches im Wettlauf gegen die Zeit.

Deepwater Horzion ist den bei der Katastroph­e ums Leben gekommenen Arbeitern gewidmet, und für das ökologisch­e Desaster genügt tatsächlic­h ein einzelner Vogel mit ölverschmi­ertem Gefieder. Was Berg und sein Autor Matthew Sand, dessen Drehbuch auf einem Artikel in der New York Times basiert, hingegen in den Vordergrun­d rücken, ist ein überrasche­nd unkonventi­oneller Realismus, der sich in der ersten Hälfte des Films in einem detaillier­ten Interesse für dieses surreal wirkende Stahlkonst­rukt manifestie­rt: ein unübersich­tlicher, labyrinthi­scher Maschineno­rt voller Pumpen und Rohre und Männer, die den Dreck kaum von der Haut herunterbe­kommen.

Dass am Ende amerikanis­cher Individual­ismus doch noch rettende Kräfte freisetzt, ist eine beinahe sarkastisc­he Fußnote. Ab Freitag

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Foto: Studiocana­l Das letzte Paar: Gina Rodriguez und Mark Wahlberg.

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