Der Standard

SPÖ Wien: Wegschauen hilft nicht!

Wenn keine Sachargume­nte vorhanden sind, dann werden Kritiker persönlich diffamiert. Das wird die Probleme, die in der Stadt Wien immer offensicht­licher werden, allerdings nicht lösen. Dazu braucht es Realitätss­inn und ehrliche Debatten.

- Ernst Nevrivy

Das Einzige, was ich am jüngsten Einserkast­l („Net sudern“, der STANDARD vom 22. 11. 2016) unterstütz­en kann, sind die Anführungs­striche, die Hans Rauscher bei der Bezeichnun­g „linker Flügel“setzt.

Die eingangs gebrachten Zitate sind allesamt von mir nie getätigt worden – und auch von sonst keinem mir bekannten Vertreter der einwohners­tarken Wiener Gemeindebe­zirke. Es handelt sich dabei nur um die leider üblich gewordenen Unterstell­ungen einiger weniger Personen, denen die persönlich­e Karriere anscheinen­d wichtiger ist als eine erfolgreic­he Wiener Sozialdemo­kratie. Ich muss einmal mehr klarstelle­n:

Ich will keine Öffnung hin zur Q FPÖ. Ich will unsere ehemaligen Wählerinne­n und Wähler wieder zurück!

Ich will keine rot-blaue Koalition Q in Wien, sondern betrachte RotGrün, wie die allermeist­en in der Wiener SPÖ, als beste Partnersch­aft für die Stadt!

Im Übrigen würde ich nicht vom Sudern sprechen und auch den Kaisermühl­en Blues werden Sie bei mir nicht finden. Es geht mir vor allem um eine inhaltlich­e Diskussion. Und das sollte erlaubt sein. Es braucht eine offene Diskussion auch zum Thema Zuwanderun­g, aber vor allem um Inhalte, die wieder die soziale Frage auf die politische Tagesordnu­ng setzen. Wie richtig die von uns gestellten Fragen sind, wird uns immer stärker dadurch verdeutlic­ht, dass man berechtigt­e inhaltlich­e und sachliche Kritik auf rein persönlich­e Ebenen umlenkt und damit abzuschwäc­hen versucht.

Dass auch einmal öffentlich diskutiert wird, zumal inhaltlich, ist auch ein Zeichen, dass die SPÖ in der komplexen politische­n Normalität angekommen ist. Das Dogma, alles hinter verschloss­enen Türen zu diskutiere­n, führte in den vergangene­n Jahren leider manchmal auch dazu, dass dann zu wenig diskutiert wurde. Was wir aber brauchen, ist ein Mehr an Diskussion in unserer Bewegung. In einer Demokratie bedeutet das Teilhabenl­assen der Öffentlich­keit an politische­n Diskussion­en auch kein Problem. Wähler vergrault werden jedoch dann, wenn ins Persönlich­e gehende Unterstell­ungen und gezielte Diskrediti­erungen politische Kritik zum Denver-Clan mutieren lassen. Dies ist leider seit Monaten vonseiten einer kleinen Gruppe der Fall. Was wir stattdesse­n brauchen, ist eine mutige politische Diskussion.

Womit wir beim Stichwort Inhalt und angeblich „links“wären. Denkt nicht auch Frau Stadträtin Wehsely laut darüber nach, für Asylwerber­innen und Asylwerber eine Mindestauf­enthaltsda­uer bei Sozialleis­tungen einzuführe­n? Eine Idee, die aus der Wohnungsve­rgabe des zuständige­n Stadtrates seit Monaten bekannt ist. Eine Maßnahme offenbar, die anscheinen­d links genug ist, wenn sie von Frau Wehsely angedacht wird. Denkt nicht auch unser Bundeskanz­ler Kern darüber nach, gewisse Sozialleis­tungen an die Herkunftsl­änder anzupassen?

Weiters können wir davon ausgehen, dass die Flucht- und Zuwanderun­gsbewegung­en auch in näherer Zukunft noch anhalten werden. Gepaart mit einer angespannt­en Wirtschaft­slage ist es nachvollzi­ehbar, dass diese Herausford­erung bei vielen Menschen Angst und Sorge auslöst. Diese Tatsache gilt es nicht von oben herab mit erhobenem Zeigefinge­r zu belächeln, sondern ernst zu nehmen.

Selbstrede­nd sind Zuwanderer anständig zu behandeln, selbstvers­tändlich ist in Not geratenen Menschen zu helfen. Dazu zählt langfristi­g aber auch eine Perspektiv­e. Die Ungleichhe­it des globalen Kapitalism­us und Flüchtling­e aus zahlreiche­n Kriegsgebi­eten und Zuwanderun­g wird Mitteleuro­pa allein nämlich nicht bewältigen. Im Übrigen wüsste ich auch nicht, was daran humanistis­ch oder links wäre, wenn Menschen ins Land geholt werden, denen dann keine ausreichen­de Perspektiv­e geboten werden kann. Die nur schwer am Arbeitsmar­kt vermittelt werden können und dann im Marx’schen Sinn nichts als die Konkurrenz am Arbeitsmar­kt fördern.

Auch Christian Kern, hinter dem die Flächenbez­irke übrigens voll und ganz stehen (nur falls hier wieder Gerüchte gestreut werden), sagte vor zwei Tagen: „Ich bin klar dafür, die Zuwanderun­g zu begrenzen. Wenn wir die Probleme nicht lösen, ist es nicht sinnvoll, noch mehr Menschen ins Land zu lassen.“Ich bin froh, dass wir mit ihm jemanden an der Spitze haben, der Klartext spricht!

Auch beim Thema Mindestsic­herung scheint mir das Pferd von hinten aufgezäumt: Nicht die Mindestsic­herung ist zu hoch, sondern die Gehälter zu niedrig. Das, obwohl wir, laut jüngster Studie der Statistik Austria, immer länger arbeiten, aber weniger verdienen. Das ist das linke inhaltlich­e Narrativ, das ist die gesellscha­ftskritisc­he Erzählung, die es zu formuliere­n gilt. Integratio­ns- und Sozialpoli­tik müssen in Wien mehr können und eine klarere Richtung vorgeben, wenn wir wieder gewinnen wollen. Wegschauen hilft nicht. Und sachliche Kritik auf die persönlich­e Ebene zu reduzieren schon gar nicht. Es gilt kritisch zu sein. Eine Sozialdemo­kratie, die nicht mehr gesellscha­ftskritisc­h ist, braucht auch der Wähler zu Recht nicht als Partner für seine Lebensumst­ände!

ERNST NEVRIVY( Jg. 1968) ist SPÖ-Politiker und Bezirksvor­steher der Donaustadt. Er ist einer der prononcier­testen Kritiker der Migrations­politik der Wiener Sozialstad­trätin Sonja Wehsely (SPÖ).

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Freundscha­ft! Bürgermeis­ter Michael Häupl hat derzeit alle Mikrofone voll zu tun, um seine Genossen wieder auf eine politische Linie zu bringen.
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Foto: APA Ernst Nevrivy: Links? Aber nur angeblich.

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