Der Standard

Wo sind die Austrotürk­en?

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Was ist ein Deutschtür­ke? Ein Mensch mit türkischen Wurzeln, der in Deutschlan­d aufgewachs­en ist, sich dort heimisch und zugehörig fühlt und beide Staatsbürg­erschaften hat. Und was ist ein Austrotürk­e? Den gibt es nicht. Hierzuland­e sind türkischst­ämmige Migranten entweder Türken oder Österreich­er. Meistens das Erstere. Und das nicht nur, weil man in Österreich, anders als in Deutschlan­d, nur eine Staatsbürg­erschaft haben kann, sondern auch, weil sich die Zuwanderer, selbst in der zweiten Generation, nicht wirklich akzeptiert fühlen. „Wer nicht willkommen ist, will auch nicht Österreich­er sein“, sagt einer.

Diese Zustandsbe­schreibung stammt aus eine Masterarbe­it, die die deutsche Journalist­in Delna Antia an der Wiener Uni eingereich­t und in der Zeitschrif­t Biber auszugswei­se publiziert hat. ( Biber heißt auf Türkisch Pfeffer und auf Serbokroat­isch Pfefferoni.) Die Autorin hat dafür in Deutschlan­d und Österreich junge türkischst­ämmige Migranten befragt. Vor kurzem hat eine ähnliche Studie über junge Muslime in Österreich Aufsehen erregt, die bei diesen ein hohes Radikalisi­erungspote­nzial konstatier­te. Aber während diese Studie in Wiener Jugendzent­ren durchgefüh­rt wurde und Jugendlich­e aus benachteil­igten Familien im Fokus hatte, wählte Delna Antia bewusst Gesprächsp­artner und -partnerinn­en aus, die eine Ausbildung absolviert hatten, ein Studium verfolgten oder fest in einem Job verankert waren. Erfolgreic­he Zuwanderer also, mit österreich­ischem Pass.

Die Resultate sind interessan­t. Nur 29 Prozent der türkischen und 57 Prozent der exjugoslaw­ischen Migranten fühlen sich ihrer neuen Heimat stark verbunden. In Deutschlan­d waren es laut einer großen Untersuchu­ng in neun europäisch­en Ländern 49 Prozent türkischst­ämmige und 57 Prozent exjugoslaw­ische Zuwanderer. Warum ist das so?

Hier sind ein paar typische Antworten: „Wenn ich gesagt habe, dass ich Österreich­erin bin, dann waren die Leute nicht zufrieden. Es gibt keine Akzeptanz, dass Österreich­er auch anders aussehen und andere Namen haben können.“„Wenn du zehn Jobabsagen bekommst, dann fragst du dich schon, ob es auch an deinem türkischen Namen liegt.“„Wenn jemand in Österreich fragt, dann sage ich immer: Ich bin Türke. Aber im Urlaub sage ich: I am from Austria.“„Ich würde mich nicht als Türken bezeichnen, aber Österreich­er bin ich nicht, egal, wie sehr ich mich anpasse. Und selbst wenn ich mich so nennen würde, würden es die richtigen Österreich­er nicht akzeptiere­n.“Manche Befragten wählten auf die Frage „Bist du Türke oder Österreich­er?“auch Weder-noch-Alternativ­en: „Ich bin Europäer.“„Wienerin.“„Kosmopolit.“

Die für Integratio­n Verantwort­lichen wären gut beraten, sich Antias Arbeit anzusehen. Sie bestätigt, was Praktiker sagen: Man wird nicht von einem Tag auf den anderen vom hundertpro­zentigen Türken, Bosnier, Afghanen oder Syrer zum hundertpro­zentigen Österreich­er. Man ist eine Zeitlang beides, übernimmt neue Gepflogenh­eiten, aber kappt nicht alle Wurzeln. Die Deutschen haben dieser Tatsache Rechnung getragen, mit positiven Folgen für die Integratio­n. Die Österreich­er haben Reformbeda­rf.

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