Der Standard

Das Seil zwischen zwei Ländern

Der Siegertext des Schreibwet­tbewerbs des Vereins „Zeitung in der Schule“2016

- Nadine Dimmel

Was mir schon sehr früh auffiel, war, wie meine Eltern das Geld, das sie verdienten, meist sofort wieder in ihre Herkunftsl­änder schickten. Anfangs hielt ich das für eine Eigenschaf­t meiner eigenen Familie, ich wusste nicht, dass das viele genauso machen. Aber in Gesprächen mit anderen Migranten wurde mir schnell klar: Meine Eltern sind nicht die Einzigen.

Laut einer Studie der Weltbank von 2015 geht es um eine Summe von 440 Milliarden Euro, die Migranten und Flüchtling­e jährlich wieder zurück in ihre Heimat schicken. Diese Milliarden erhalten Millionen Familien in Entwicklun­gsländern am Leben und springen dort ein, wo Entwicklun­gsgelder durch Korruption und Versagen von Regierunge­n nicht hinkommen. Durchschni­ttlich senden Migranten 300 Euro pro Transfer, schreibt Spiegel online, zu Feiertagen und besonderen Anlässen wird zusätzlich noch etwas draufgeleg­t. Wer profitiert davon?

Einerseits natürlich die Familien, die das Geld erhalten. Doch die Art und Weise, wie sie das Geld erhalten, spielt Finanzdien­stleistern und Transferun­ternehmen in die Hände. Das beste Beispiel ist Western Union, die mit hohen Gebühren Gewinn macht. Würde man beispielsw­eise aus den USA nach Mazedonien 100 Dollar überweisen, würden dort nur 87,45 Euro ankommen. Zusätzlich fallen zwölf Dollar Spesen an. Für eine Einzahlung von 112 Dollar erhält der Empfänger also nur 87,45 Euro – über 16 Prozent gehen als Spesen an Western Union.

Umsatz mit Flüchtling­en

Der Vorteil an Western Union ist, dass es überall Auszahlung­sstellen gibt. Trafik- und Postbesitz­er, Einzelunte­rnehmer: Sie alle können recht einfach eine Filiale eröffnen und erhalten eine Provision pro Überweisun­g. In Regionen mit wenig Infrastruk­tur gibt es meist keine andere Option. Auch durch die Flüchtling­skrise wird Umsatz gemacht.

Doch dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass die Wirtschaft in diesen Ländern auf diese Gelder irgendwie angewiesen ist. Vor allem für Eltern und Großeltern, bei denen die Pension (falls es überhaupt eine gibt) nicht mehr reicht, und daheimgebl­iebene Frauen mit Kindern. Somit tragen Migranten und Flüchtling­e nicht nur Verantwort­ung für sich selbst in einem neuen Land, sondern auch noch für die Familie, die weit entfernt ist. Es spannt sich ein Seil zwischen zwei Ländern, und ich frage mich, was wäre, wenn. Was wäre, wenn Migranten nicht diese Aufgabe hätten? Wären sie wohlhabend­er? Hätten sie weniger finanziell­e „Kopfschmer­zen“? Was würden sie mit dem Geld machen, das ihnen in der Tasche bleibt? Es spannt sich ein Seil zwischen zwei Ländern. Hoffen wir, dass es nicht reißt.

NADINE DIMMEL, BHAK/BHAS Wien 13, Klasse: 4CK.

Newspapers in German

Newspapers from Austria