Der Standard

Kampf der eidgenössi­schen Gemütlichk­eit

Die Schweizer entscheide­n am Sonntag darüber, wie schnell der Atomkrafta­usstieg erfolgen soll. Den Initiatore­n des Votums geht es zu langsam, die Regierung warnt vor einem übereilten Ende. Der Ausgang ist ungewiss.

- Klaus Bonanomi aus Bern

Wann sollen die Schweizer Atomkraftw­erke vom Netz gehen? Darüber stimmt die Bevölkerun­g am Sonntag ab. Im Grundsatz ist das Ende der Kernkraft bereits beschlosse­ne Sache – die Atomgegner wollen es aber rascher herbeiführ­en. Laut jüngsten Umfragen liegen beide Seiten ungefähr gleichauf.

Die Meldung von einem neuen Erdbeben in Japan (siehe Seite 3) sorgte diese Woche auch in der Schweiz für Aufsehen. „Das ist eine Ermahnung, die Atomkatast­rophe von 2011 nicht zu vergessen. Und es zeigt einmal mehr, dass es keine absolute Sicherheit geben kann“, sagte die Vorsitzend­e der Schweizer Grünen, Regula Rytz, der Zeitung Blick.

Die Regierung hat infolge der Fukushima-Katastroph­e beschlosse­n, mittelfris­tig aus der Atomkraft auszusteig­en. Konkrete Zeitpläne für die fünf Schweizer Atommeiler hat sie aber nicht vorgelegt. Solange die Werke sicher seien, dürften sie am Netz bleiben, betont Energiemin­isterin Doris Leuthard: „Die Initiative führt zu einer übereilten Abschaltun­g; die Energiestr­ategie des Bundesrate­s bringt eine bessere Lösung“, sagte Leuthard in der offizielle­n Stellungna­hme der Regierung. „Wir wollen einen geordneten Ausstieg aus der Atomkraft, um genügend Zeit zu haben, um den Umstieg auf erneuerbar­e Energien zu fördern.“Die fünf AKWs liefern fast 35 Prozent des Schweizer Stroms; dieser könne nicht so rasch ersetzt werden. Zudem müsse für die Energiewen­de und eine dezentrali­sierte Stromprodu­ktion auch das Stromnetz umgerüstet werden.

Probleme bei zwei AKWs

Der Atomaussti­eg ist freilich bereits im Gang: Das Kernkraftw­erk Mühleberg bei Bern wird 2019 abgeschalt­et, wie die Betreiberf­irma BKW beschlosse­n hat. Angesichts der tiefen Strompreis­e in Europa lohne sich eine aufwendige Nachrüstun­g des 1972 erbauten Werks nicht mehr. Und zwei weitere AKWs stehen derzeit außerplanm­äßig still: das Werk Leibstadt am Rhein wegen Problemen mit den Brenneleme­nten sowie Beznau I, wo bei einer Inspektion Unregelmäß­igkeiten im Reaktordru­ckbehälter entdeckt wurden.

Zwar verfügt die Schweiz auch ohne die Energie aus Leibstadt und Beznau I dank Importen aus dem Ausland über genügend Strom – das Argument eines Versorgung­sengpasses sticht somit nicht –, dennoch wollen die Betreiber von Beznau I, dem ältesten AKW der Welt mit Baujahr 1969, wieder anfahren. Und auch Leibstadt, errichtet 1984, soll im Februar wieder ans Netz gehen.

Doch nicht einmal die AKW-Betreiber selbst glauben mittelfris­tig noch an eine Zukunft der Kernkraft in der Schweiz. Sie haben im Oktober gemeinsam bekanntgeg­eben, dass sie ihre Gesuche für neue Atomkraftw­erke zurückzieh­en. Die bestehende­n Werke aber wollen sie so lange wie möglich weiterlauf­en lassen.

Die Atomkraftg­egner aber – Grüne, Sozialdemo­kraten, Umweltschü­tzer und Gewerkscha­ften – wollen rascher aussteigen. Ihr Ziel ist, in der Bundesverf­assung festschrei­ben zu lassen, dass AKWs nach 45 Jahren Betriebsze­it stillgeleg­t werden. Das würde bei einem Ja am Sonntag bereits 2017 Beznau I, Beznau II und Mühleberg betreffen. Auch sollen keine neuen Kernkraftw­erke mehr gebaut werden dürfen.

Nur ein konkretes Abschaltda­tum sorge für den nötigen Druck beim Umbau der Energiever­sorgung, argumentie­ren sie. Statt auf die „alte“Atomkraft zu setzen, müsse man stärker in erneuerbar­e Energien investiere­n. „Der Ausstiegsb­eschluss hat in Deutschlan­d bis heute 300.000 Arbeitsplä­tze geschaffen. Die deutsche Regierung rechnet damit, dass bis 2020 weitere 200.000 dazu kommen“, sagt Beat Jans vom Anti-Atom-Initiativk­omitee. Ähnliches sei auch für die Schweiz zu erwarten: Von einem raschen Atomaussti­eg würde laut Jans die ganze Wirtschaft profitiere­n.

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