Wie Japan der Ausstieg aus der Kernenergie gelang
Fünf Jahre nach Fukushima kommt die von der Regierung gewünschte Renaissance der Atomkraft kaum voran, genauso wenig aber auch eine Wende zu erneuerbaren Energien. Damit trotzdem genügend Strom vorhanden ist, musste eine andere Lösung her.
Am Donnerstag wurde im Großraum Tokio plötzlich der Strom knapp. Die Auslastung der Netze sei auf 97 Prozent gestiegen, warnte der Stromriese Tokyo Electric Power Company, in Japan Toden und im Ausland Tepco genannt. Viele Japaner hatten nämlich ihre elektrischen Heizungen hochgedreht, weil es zum ersten Mal seit 1962 im November schneite. Dass das Stromnetz infolge von zwei Zentimetern Schnee so schnell überlastet wurde, ist bezeichnend für die japanische Energiepolitik.
Denn die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist nach der Tsunami-Katastrophe im AKW Fukushima im März 2011 de facto aus der Atomkraft ausgestiegen, ohne eine Wende zu erneuerbaren Energien zu vollziehen. Binnen eineinhalb Jahren gingen alle noch laufenden Atomkraftwerke vom Netz. Zuvor waren fast 30 Prozent der Elektrizität mithilfe der Kernspaltung erzeugt worden.
Doch die erneuerbaren Energien liefern bei weitem nicht genug Ersatz. Ihr Stromanteil ist seit Fukushima nur von einem auf sechs Prozent gewachsen. Zusam- men mit Wasserkraft sind es etwas mehr als vierzehn Prozent Anteil. Dennoch brach die Stromversorgung nicht zusammen.
Des Rätsels Lösung lautet Stromsparen. In den Sommern nach der Katastrophe mussten die Unternehmen ihren Verbrauch zwischen 8.00 und 18.00 Uhr um 15 Prozent zum Vorjahr verringern. Dafür schalteten sie Lampen in Büros und Fabriken aus, legten Lifte still und regelten die Klimaanlagen herunter. „Die Japaner haben schnell begriffen, dass sich mit einfachen Mitteln Strom sparen lässt“, sagt Energieexperte Tetsunari Iida.
Stromsparen wurde zur obersten Bürgerpflicht. Die Auswirkungen halten bis heute an: Im Großraum Tokio ist der Stromverbrauch um 16 Prozent gesunken. Dabei sind Lifte und Rolltreppen längst wieder in Betrieb und die Geschäfte so hell erleuchtet wie früher. Doch der massive Umstieg auf LED-Leuchten und effizientere Geräte drückt den Verbrauch.
Déjà-vu durch das Erdbeben
Regierung und AKW-Betreiber kümmert das wenig. Trotz des nahezu reibungslosen Ausstiegs wollen sie den Anteil von Atomstrom bis 2030 wieder auf 20 bis 22 Prozent hochfahren. Die Bürger haben sie aber nicht überzeugt: Gerade erst wurde ein AtomkraftKritiker zum Gouverneur von Niigata gewählt. Er will den Neustart im AKW Kashiwazaki-Kariwa nur genehmigen, wenn Tepco die Fukushima-Ursachen komplett of- fengelegt hat. Zudem verzögern engagierte Anwälte jede Wiederinbetriebnahme mit Gerichtsklagen. Und das Erdbeben sowie der Tsunami Anfang der Woche haben den Japanern noch einmal ausdrücklich die Gefahren von Atomkraft in Erinnerung gerufen.
Nicht einmal das „Atomdorf“aus Beamten, Managern und Politikern funktioniert mehr. Im Juli wandte sich die größte Managerlobby gegen die Rückkehr der Atomkraft. “Japan wird zur Witznummer, wenn wir erneuerbare Energien nicht unterstützen”, meinte Teruo Asada, Vize-Chef von Keizai Doyukai. Atomkraft werde höchstens zehn Prozent Anteil erreichen, falls die funktionierenden Meiler weiter so langsam zurück ans Netz kämen.
Tatsächlich sind von damals 54 Reaktoren bislang erst drei wieder in Betrieb. Als Gründe nennen Analysten die lange Dauer des Genehmigungsverfahrens, aufwendige Sicherheitsnachrüstungen und die Widerstände der AKWAnwohner.