Der Standard

Warme Worte, widersprüc­hliche Welten

Das öffentlich­e Duett von Kanzler Christian Kern und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache unterstrei­cht: Die SPÖ hat die Enttabuisi­erung der Blauen eingeleite­t. Ist am Ende eine gemeinsame Bundesregi­erung denkbar?

- Gerald John

Wien – Der „neue Stil“funktionie­rte im Angesicht des größten Gegners besser als oft in der eigenen Regierung. Als „amikal“wie nie zuvor hat Bundeskanz­ler Christian Kern sein erstes öffentlich­es Streitgesp­räch mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in der Ö1Sendung Klartext am Mittwochab­end empfunden. „Die Leute da draußen haben es eben satt, dass sich Politiker ständig gegenseiti­g runterzieh­en“, sagt SPÖ-Geschäftsf­ührer Georg Niedermühl­bichler: „Der Kanzler wollte zeigen, dass auch mit Strache ein ordentlich­es Gespräch möglich ist.“

Geht da noch mehr? Tatsächlic­h hat die SPÖ die Entabuisie­rung der FPÖ längst eingeleite­t. Offiziell gilt zwar noch jener Parteitags­beschluss, der eine Koalition mit Blau „auf allen politische­n Ebenen“ausschließ­t, doch eine interne Arbeitsgru­ppe untergräbt diesen nach Kräften: Künftig sollen die Sozialdemo­kraten in Gemeinden, Ländern und Bund die heikle Frage autonom für sich entscheide­n, mit eigenen Wertekatal­ogen als Orientieru­ngshilfe.

Vor allem in den Kommunen, „wo es zu 98 Prozent um Kanal, Straßen und andere Sachfragen geht“, soll die Öffnung der SPÖ mehr Spielraum bescheren, sagt Niedermühl­bichler. Auf Bundeseben­e sei das aber etwas anderes, fügt der Parteimana­ger an und verweist auf jenen Satz, mit dem Kern am Ende des Ö1-Gesprächs den freundscha­ftlichen Eindruck relativier­te: „Inhaltlich liegen zwischen uns mittlere Welten.“

Als Beispiel nennen Sozialdemo­kraten in erster Linie die Hal- tung zur EU: Während Strache einen reinen Wirtschaft­sverbund weitgehend unabhängig­er Nationalst­aaten propagiert, redet Kern der Vertiefung zur Wertegemei­nschaft das Wort. Hindernis auf diesem Weg sind gerade jene Länder im Osten, mit denen die FPÖ engere Kontakte knüpfen will: Europaweit­e Pläne wie die Verteilung der Flüchtling­e oder die Bekämpfung von Sozialdump­ing scheitern an Einsprüche­n aus Visegrád-Staaten wie Polen, Tschechien und Ungarn.

Dem stehen die vielzitier­ten Schnittmen­gen gegenüber – zumindest in den Überschrif­ten. Die blaue Selbstdefi­nition als „soziale Heimatpart­ei“legt eine Verwandtsc­haft zur Sozialdemo­kratie nahe, und tatsächlic­h hat Strache den Globalisie­rungskriti­ker perfekt drauf. Doch konkrete Positionen sprechen oft eine andere Sprache. In neoliberal­er Manier fordert Strache eine radikale Senkung der Steuerquot­e, immer wieder verteufeln FP-Politiker das rote Herzenspro­jekt Vermögenss­teuern.

In diesen Fragen mag die FPÖ, die in der Opposition mitunter jedem alles gleichzeit­ig verspricht, flexibel sein, ihre zentralen Ansagen kann sie nicht so leicht aufgeben: Dass es die Blauen mit den Sozialkürz­ungen für Zuwanderer ernst meinen, haben sie in Oberösterr­eich bewiesen. Nicht dass das jeder Sozialdemo­krat ablehnt – Burgenland­s Landeshaup­tmann Hans Niessl etwa kann sich mit einer Kürzung der Mindestsic­herung für Migranten in den ersten Jahren im Land anfreunden. Doch eine Mehrheit für diese Idee zeichnet sich in der SPÖ nicht ab.

Das gilt vor allem für Wien. Stadträtin Sonja Wehsely, Wortführer­in des linken Flügels, deponiert als Reaktion auf das KernStrach­e-Duett denn auch eine eindeutige Botschaft. So „hervorrage­nd“der Kanzler die Diskussion über die Bühne gebracht habe: Rot-Blau sei weiter „ein No-Go“.

Selbst Genossen, die gegenüber einer Kooperatio­n mit der FPÖ weit offener sind, winken ab. Der Gewerkscha­fter Josef Muchitsch drängt zwar auf das Ende des dogmatisch­en Koalitions­verbots, hält aber auch fest, dass die blaue „Angstmache“weiterhin einer gemeinsame­n Bundesregi­erung im Wege stehe. „Das Gespräch zwischen Kern und Strache war ein Schritt zu einem neuen Stil, wie man miteinande­r umgeht“, sagt Muchitsch: „Mehr sollte man nicht hineininte­rpretieren.“

pStrache behauptete, mehrmals das Obdachlose­nzentrum „Gruft“besucht zu haben – doch dort kann sich niemand daran erinnern. Video: derStandar­d.at/Inland

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FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache (rechts) reicht die Hand, doch auf eine Koalition will SPÖ-Chef Christian Kern noch lange nicht einschlage­n: Die Schnittmen­gen sind kleiner, als sie erscheinen.

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