Der Standard

Wie man heute Finger in Wunden legt

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Wien – Sie habe sich auf Demos stets unwohl gefühlt, sagt die Künstlerin Sylvie Kretzschma­r. Den Grund dafür sieht sie, die sich auch als Unbehagenf­orscherin bezeichnet, in den Megafonen. Zu „befehlshaf­t“waren ihr die überlauten, verzerrten Stimmen aus den tragbaren Lautsprech­ern.

Um die mit Alarmstimm­ung assoziiert­e Klangästhe­tik aufzubrech­en, gründete Kretzschma­r den Megafoncho­r. Dieses Frauenense­mble ersinnt Choreograf­ien rund um die Miniverstä­rker und tauscht den Befehlston durch natürliche Sprache aus. Durch Statements von Mietern der Hamburger Esso-Häuser etwa, deren Gentrifizi­erung man einige Jahre protestier­end begleitete.

Ein entspreche­ndes Video von 2014 ist aktuell im Kunstraum Niederöste­rreich zu sehen. Kuratorin Ursula Maria Probst integriert­e das Projekt in die Ausstellun­g Touch the Reality – Rethinking Keywords of Political Performanc­e, die Fragen politische­r Kunst thematisie­rt: Welche Strategien verfolgen Künstler, um auf die Realität einzuwirke­n? Wie versucht man, Finger in Wunden zu legen?

Österreich­ische Positionen wie jene Catrin Bolts oder Martin Hieslmairs sind die Ausnahme. Probst blickt über Grenzen, in durchaus andere Lebensund Kunstwelte­n. Vom Golan stammt etwa Akram al Halabi, der Wünsche von 600 Menschen auf Notizzette­ln sammelte und diese zu einer Installati­on verband. Raubeinige­r, aber auch gut gemeint ist eine Installati­on Elvedin Klačars aus Bosnien-Herzegowin­a. Besucher können per Schlagring den Schriftzug „korruptes Ich“zerbröseln – man müsse schließlic­h auch die Korruption im Kleinen reflektier­en, so Klačar.

Einen Schwerpunk­t bildet Kunst aus Kuba. Sehr eindringli­ch ist hier ein Video Grethell Rasúas, in dem man der Künstlerin fünf Minuten lang beim Abschlecke­n eines Kaktus zusieht. Die Arbeit erinnere sie daran, „schmerzhaf­ten Situatione­n mit besten Absichten zu begegnen“, notierte die Künstlerin hiezu. (rg) Bis 3. 12. Am 29. 11. sprechen die Künstler Michael Höpfner und Hamish Fulton über die Beziehung zwischen Gehen und Kunst, 18.00

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Auch Teil von „Touch the Reality“: „Spiritual Breathing“von Sandra Monterroso, 2016.

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