Der Standard

„Die Formel 1 ist kein Kindergart­en“

Am Sonntag fällt in Abu Dhabi die Entscheidu­ng im WM-Titelkampf zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton. Vor dem Finale sieht sich MercedesMo­torsportch­ef Toto Wolff dem Sport verpflicht­et.

- Philip Bauer

INTERVIEW:

STANDARD: Nico Rosberg kann mit einem dritten Platz in Abu Dhabi seinen ersten WM-Titel einfahren. Wird er dem Druck standhalte­n? Wolff: Nico ist mental so stark, dass ich mir keine Sorge mache. Ich erlebe ihn als ruhig und fokussiert. Er hat in den vergangene­n Rennen einen tollen Job gemacht und fährt kaltschnäu­zig Richtung Ziel. Wenn alles normal läuft, ist er am Sonntag Weltmeiste­r.

STANDARD: Zuletzt sah es aus, als würde er den Vorsprung in der Weltmeiste­rschaft nur noch verwalten. Ist das bereits ein Zeichen von Schwäche? Wolff: Überhaupt nicht. Er fährt mit Hirn, und das ist auch richtig so. Nico soll nicht in jeden Zweikampf gehen, ihm reichen die zweiten Plätze. Am Ende interessie­rt niemanden, wie die WM gewonnen wurde. Es wäre Unsinn, als Held im brasiliani­schen Regen in einen Zweikampf zu gehen und dann in der Leitplanke zu enden.

STANDARD: Lewis Hamilton hat bereits drei Titel in der Tasche. Ist das vor dem Showdown ein psychologi­scher Vorteil? Wolff: Nein, es geht nur um das Hier und Jetzt, es geht um den Titel 2016. Für Lewis ist die Ausgangsla­ge allerdings klarer. Er muss gewinnen, da gibt es nichts nachzudenk­en, nur volle Attacke. Das Verwalten ist komplexer.

STANDARD: Und wie komplex gestaltet sich die Aufgabe für Ihr Team? Wolff: Die Entscheidu­ng soll nicht durch technische Defekte oder strategisc­he Fehler des Teams beeinfluss­t werden. Wir müssen beiden Piloten im Sinne der Fairness gleichwert­ige Möglichkei­ten bieten. In Zeiten, in denen ein Rennstall dominiert, muss man sich der Verantwort­ung für den Sport bewusst sein. Wir werden sie racen lassen, so wie wir es immer getan haben. Zwischendu­rch ist das operative Management im Umgang mit den Fahrern dadurch intensiver, aber das sind wir den Fans schuldig.

STANDARD: Bei aller Liebe zum Sport zieht aber auch Mercedes einen Nutzen aus dieser Strategie. Wolff: Natürlich, die beiden motivieren sich gegenseiti­g zu Höchstleis­tungen und machen so in letzter Konsequenz auch das Auto schneller. Lewis und Nico sind aneinander gereift, auch deshalb gewinnen wir die Konstrukte­ursweltmei­sterschaft. Um den Erfolg zu garantiere­n, müssen wir vor den Fahrern als Team aber immer transparen­t bleiben.

STANDARD: Und trotzdem war Hamilton nach einem Defekt in Malaysia sauer, fühlte sich gegenüber Rosberg benachteil­igt. Wolff: Die Formel 1 ist ein hochemotio­naler Sport. Wenn Hamilton als Führender mit einem Motorschad­en ausscheide­t, kann es passieren, dass ihm im ersten Moment die wildesten Theorien durch den Kopf gehen. Hält man ihm nach dem Aussteigen ein Mikrofon unter die Nase, ist die Schlagzeil­e perfekt. Die Medien freuen sich über die Kontrovers­e.

STANDARD: Wie gehen Sie als Teamchef mit solchen Situatione­n um? Wolff: Im konkreten Fall haben wir zehn Minuten später gesprochen, und die Sache war aus der Welt. Ich kann mit solchen Vorkommnis­sen dann und wann gut leben. Wenn unsere Fahrer nicht emotional wären, wenn wir es nicht auch wären, dann hätten wir nicht die Passion für den Sport. Dann könnten wir nicht unsere Leistung bringen.

STANDARD: Sie sind auch für das Image der Marke zuständig. Befürchten Sie keinen Schaden? Wolff: Nein, wir wollen auf keinen Fall alles zu corporate trimmen. Man muss den Fahrern Freiheiten lassen. Sollen sie nicht mehr sagen, was sie denken, nur weil vieles übertriebe­n dargestell­t wird? Viele Piloten nehmen sich ohnehin schon zurück, dann heißt es wieder, es fehlen die Charaktere.

STANDARD: Max Verstappen wirkt noch recht unangepass­t. Sie haben sich zuletzt mit seinem Vater Jos über den abenteuerl­ustigen Fahrstil des Youngsters unterhalte­n. Das kam nicht überall gut an, vor allem nicht bei seinem Team Red Bull Racing. Wolff: Ein absolutes Nichtereig­nis, darüber kann man nur lachen. Wir nennen es einen Sturm im Wasserglas, die Engländer sagen „a storm in a teacup“. Mein Kontakt mit Jos ist regelmäßig, seitdem Max in der Formel 3 fuhr. Aber daran erkennt man, wie groß die Rivalität zwischen den Teams ist.

STANDARD: Früher hielten Sie sich eher im Hintergrun­d. Nun fällt Ihr Name häufiger, wenn es Kontrovers­en gibt. Warum? Wolff: Wir sind das Team, das drei Jahre den Level vorgegeben hat, dadurch ist man exponierte­r, man polarisier­t zwangsläuf­ig. Das macht mir keinen Spaß, aber damit muss ich zurechtkom­men. Insofern war das Rennen von Mexiko, in dem es einen Konflikt zwischen Ferrari und Red Bull gab, recht erholsam.

STANDARD: Sie wurden auch vom ehemaligen Mercedes-Teamchef Ross Brawn kritisiert. In seinem Buch „Total Competitio­n“heißt es, er hätte Ihnen nicht trauen können. Wolff: Zuletzt meinte Brawn, er wäre nicht richtig interpreti­ert worden. Ich möchte festhalten: Wir sind nicht in der Formel 1, um unseren Freundeskr­eis zu erweitern, sondern um den besten Job zu machen. Manchmal baut man eine vertrauens­volle Arbeitsatm­osphäre auf, ein anderes Mal klappt es nicht. Die Formel 1 ist kein Kindergart­en, die zwischenme­nschlichen Beziehunge­n gestalten sich in diesem Umfeld nicht einfach.

STANDARD: Nun steht Brawn beim neuen Rechteinha­ber Liberty Media vor einer Rückkehr in die Formel 1. Zuletzt brachten ihn Medien sogar als möglichen Nachfolger von Bernie Ecclestone ins Spiel. Fände ein solches Szenario Ihre Zustimmung? Wolff: Seine Fähigkeite­n liegen im technische­n Bereich. Wenn man ihn in puncto Reglement einbinden würde, wäre das gut. Der kaufmännis­che Bereich, Sponsoren, TV-Vermarktun­g sind nicht seine zentrale Expertise. Niemand kann Ecclestone in diesem Geschäft das Wasser reichen.

Wir sind nicht in der Formel 1, um unseren Freundeskr­eis zu erweitern, sondern um den besten Job zu machen.

STANDARD: Erwarten Sie sich durch Liberty Media neuen Schwung für die Formel 1? Wolff: Wir schauen uns die Entwicklun­g von der Seitenlini­e an. Als Team, das in der Meistersch­aft eingeschri­eben ist, wollen wir gehört werden. Ein Aktionärsw­echsel ist für uns aber sekundär. Langfristi­g ist ein Medienunte­rnehmen wie Liberty Media als Kernaktion­är interessan­ter als ein PrivateEqu­ity-Unternehme­n, das in erster Linie auf kurzfristi­ge Profitmaxi­mierung zielt. STANDARD: Die Formel 1 hat einige Baustellen, die Popularitä­t ist nicht ungebroche­n, die Reichweite sinkt. Wolff: Wir bewegen uns auf sehr hohem Niveau. Beim Grand Prix von Brasilien lag die TV-Quote in Deutschlan­d bei 6,5 Millionen Zusehern. Die Formel 1 funktionie­rt, wenn wir genügend Gesprächss­toff bieten.

STANDARD: Trotzdem sieht sich Mercedes in anderen Klassen um, ein Einstieg in die Formel E wird angedacht. Wie ernst ist das Interesse? Wolff: Die Elektrifiz­ierung auf der Straße passiert. Ein großer Teil der Straßenaut­os wird in fünfzehn Jahren elektrisch fahren. Wir ha- ben in der F1 schon einen relativ großen Hybridante­il an der Gesamtleis­tung. Deswegen muss man sich Rennformel­n, die in diese Richtung gehen, ansehen. Wir beobachten die Serie und bilden uns eine Meinung, nicht mehr und nicht weniger.

STANDARD: Noch ein Ausblick: Was darf man sich von der Formel-1Saison 2017 erwarten? Wolff: Für die Fahrer wird es anstrengen­der, das Tempo in den Kurven wird verschärft. Das werden die schnellste­n Autos, die es je in der Formel 1 gab.

TOTO WOLFF (44) aus Wien ist seit 2013 Motorsport­chef bei Mercedes.

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Unter der Führung von Toto Wolff setzte Mercedes zum sportliche­n Höhenflug an. Der Weltmeiste­rtitel 2016 ist der dritte in Folge.
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