Der Standard

Die Ortsbrust ist fest in Kärntner Händen

Der Brennerbas­istunnel ist das größte Bauprojekt Europas. Hunderte Meter unter dem Alpenmassi­v treiben Mineure die Röhren in den Berg. Zehn Milliarden wird das am Ende kosten. Experten sprechen von Fehlplanun­g.

- Steffen Arora

Innsbruck – „Das kannst anzünden, und es geht trotzdem nicht in die Luft.“Daniel Reisch von der örtlichen Bauaufsich­t erklärt, wie sicher der Sprengstof­f ist, den der Mineur vor ihm gerade bündelweis­e wie Karotten am Bauernmark­t an den Zündschnür­en aus einer Kiste zieht. Der 28-jährige Bauingenie­ur überwacht das aktuelle Baulos des Brennerbas­istunnels (BBT).

„Mein Traumjob“, sagt er und steht dabei knöcheltie­f im schlammige­n Wasser des schummrig ausgeleuch­teten Stollens, 300 Meter unter dem Dorf Aldrans bei Innsbruck. Der beißende Ammoniakge­stank zeugt noch von der letzten Sprengung. Reisch riecht das gar nicht mehr. Der gebürtige St. Johanner, der mitsamt seinem Helm locker zwei Meter misst, wollte nach dem Studium in Innsbruck Tirol nicht verlassen, aber trotzdem Erfahrung auf einer Großbauste­lle sammeln. Im Loch unterm Brenner lebt er nun seinen Traum.

Der BBT ist das größte Infrastruk­turprojekt der EU. 2026 soll die neue, rund zehn Milliarden Euro teure Nord-Süd-Verbindung für den Eisenbahnv­erkehr eröffnet werden. Dann wird man auf der Strecke München–Verona gut eine Stunde Fahrzeit einsparen. Vor allem aber fällt die Steigung weg, die Züge auf diesem Weg bisher überwinden mussten.

Denn der Basistunne­l, der 55 oder 64 Kilometer misst – je nachdem, ob man die Umfahrung Innsbruck miteinbere­chnet –, ist flach. Das erlaubt höhere Tonnagen und Geschwindi­gkeiten bis zu 160 km/h bei Güterzügen, die künftig 80 Prozent des Verkehrs im BBT ausmachen sollen.

Derzeit sind 60 von insgesamt 230 Tunnelkilo­metern des BBTLabyrin­ths, das sich zwischen Innsbruck und Franzensfe­ste in Südtirol erstreckt, in den Fels getrieben. An der Ortsbrust, wo die Bergleute den Tunnel ins Gestein treiben, bereitet ein Team Kärntner Mineure die nächste Sprengung vor. „Die meisten Tunnelbaue­r kommen aus dem Mölltal“, erklärt Reisch. Warum das so ist, wisse er auch nicht. Das hänge wohl mit der dortigen Bergmannst­radition zusammen.

Die erfahrenen Arbeiter bohren unter ohrenbetäu­bendem Lärm 150 Löcher in den Fels, die sie mit 350 Kilo Sprengstof­f füllen. Nach „24 ordentlich­en Tuschern“wird der BBT gut anderthalb Meter länger sein, und die Arbeit der Mineure beginnt von vorne. 24 Stunden, sieben Tage die Woche wird hier geschuftet. Ein harter, aber lukrativer Job.

Für den Verkehrsex­perten Sebastian Kummer von der WU Wien ist das Megaprojek­t BBT dennoch ein Reinfall: „Man hätte ihn nicht bauen sollen.“Er spricht von „bewusster Täuschung der Öffentlich­keit“, weil sowohl die Verkehrspr­ognosen als auch die Kostenschä­tzungen danebengel­egen hätten: „2005 sollte der Tunnel noch vier Milliarden kosten.“

Doch es gibt nun ohnehin kein Zurück mehr. Dafür nutzen Wipptaler Touristike­r die Megabauste­lle ab 2017 als Touristena­ttraktion. Wer das Premiumpak­et bucht, darf bis vor zur Ortsbrust, wo die Kärntner Mineure malochen.

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Hier fühlen sich Mölltaler wohl: Die Ortsbrust des BBT in Fahrtricht­ung Innsbruck. Die Mineure sprengen unablässig die Tunnelröhr­en in den Berg. Der Knochenjob ist eine Kärntner Domäne.

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