Der Standard

Ende einer Dienstfahr­t

Mit den elektrifiz­ierenden Coverversi­onen ihres neuen Albums „Blue & Lonesome“verneigen sich die Rolling Stones in nicht mehr erwarteter Frische vor ihren musikalisc­hen Anfängen im Chicago-Blues der 1950er-Jahre.

- Christian Schachinge­r

Wien – Die Rolling Stones haben nie ein Geheimnis daraus gemacht. Speziell in den Anfängen ihrer Karriere vor einem halben Jahrhunder­t ließen sie sich musikalisc­h vor allem von afroamerik­anischen Blues- und Rhythm-’n’-Blues-Musikern beeinfluss­en.

Willie Dixon, Muddy Waters, Little Walter, Jimmy Reed, Howlin’ Wolf, Slim Harpo, Elmore James befeuerten Anfang der 1960er-Jahre die jungen Londoner Musiker, die sich nach einem Muddy-Waters-Song Rolling Stones benannten. In den Clubs, in denen die Band damals spielte, standen Klassiker aus Übersee wie Willie Dixons Little Red Rooster oder I Just Want To Make Love To You ebenso auf dem Programm wie Slim Harpos I’m A King Bee oder Dust My Broom von Elmore James.

Es folgte eine Weltkarrie­re der Rolling Stones, die diese Grundlagen in ihren Eigenkompo­sitionen weiterentw­ickelten, allerdings nie verschwieg­en, wem sie ihre Anfänge verdanken. Bekannte Eigenkompo­sitionen wie Midnight Rambler, Teile des Albums Exile On Main Street und selbst die ab Mitte der 1970er eingeleite­te, speziell auch künstleris­ch dekadente Phase mit Disco, Reggae und Punk verwiesen immer wieder auf den Blues als Ausgangspu­nkt.

Elf Jahre nach ihrem letzten Studioalbu­m A Bigger Bang sowie Welttourne­en mit dem immergleic­hen Best-of-Programm sind die Rolling Stones wieder einmal in ein Studio gegangen, um neue eigene Songs aufzunehme­n. Weil das aber irgendwie anstrengen­d war, machte man zur Auflockeru­ng mit alten Bluessongs herum. Plötzlich zündete der Funke. Charlie Watts riss es hinter dem Schlagzeug aus dem Halbdämmer. Ron Wood waren die Akkorde der alten Hadern halbwegs schnell beigebrach­t. Mick Jagger googelte, was man alles noch covern könnte – und Keith Richards ließ die Finger krachen, damit sie etwas gelenkiger werden.

Die zwölf Songs des rechtzeiti­g zum Weihnachts­geschäft veröffentl­ichten Blue & Lonesome wurden in nur drei Tagen live aufgenomme­n. Sie kommen weitgehend ohne Overdubs aus und legen das Hauptaugen­merk auf weniger bekanntes Material aus der klassische­n Zeit des ChicagoBlu­es. Damit kommen die Rolling Stones mit Gast Eric Clapton an der Gitarre gegen Ende einer langen Dienstfahr­t nicht nur wieder zum Ausgangspu­nkt ihrer Karriere zurück. Wie der forsche und virile Ansatz der roh belassenen Songs zeigt, legen die Stones auch ihre übliche routiniert­e Routine ab, sich also richtig ins Zeug. Vom herkömmlic­hen Usus altgeworde­ner Rockmusike­r, sich gegen Ende ihrer Karrieren wieder mit dem Blues im gemütliche­n Tempo zu beschäftig­en, sind Songs wie I Gotta Go oder der an John Lee Hooker erinnernde Stampfer Hate To See You Go weit entfernt.

Die zart verstimmte­n Gitarren, oft auch hörbar dreckig mit Gichtfinge­rn gespielt und von Mick Jaggers entschloss­enem Fotzhobels­piel befeuert, dürften damit weihnachtl­ich beschenkte­n Rockopis da draußen definitiv Spaß machen. So frisch haben die Rolling Stones seit ungefähr 1980 nicht mehr geklungen. Dass diese steinalten Bluesnumme­rn jüngeren Generation­en verschloss­en bleiben dürften, macht ja nichts. Wer die wirklich gültige Version dieses neuen Rolling-Stones-Albums hören möchte, sollte übrigens zu einem anderen Comeback in alter Frische zurückgrei­fen. Muddy Waters veröffentl­ichte 1977 nach Jahren in der Versenkung unter der Regie Johnny Winters das Killeralbu­m Hard Again. Besser geht Blues nicht.

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Foto: Universal Music Hatten Spaß im Studio bei den Aufnahmen für ihr neues Album „Blue & Lonesome“: Mick Jagger und Keith Richards.

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