Zeitloser Schmerz
„Marie-Fragment“im Theater Drachengasse
Wien – Fast unscheinbar wirkt die Bühne. Auf kleinstem Raum drängen sich sämtliche Kisten neben einer Lampe, einem Vogelkäfig und einem funktionsuntüchtigen Fernseher. Nahezu unbemerkt nähert sich ihm eine alte gekrümmte Frau, nimmt in dem großen Sessel Platz und erobert sich mit einem Blick, einer Geste den ganzen Theaterraum der Drachengasse, der auf einmal ganz groß und intim zugleich wird.
In Marie-Fragment (Text: Aristoteles Chaitidis) erzählt eine 80Jährige von dem Verlust ihrer Tochter und resümiert ihr Leben. In der Erinnerung an ihre Marie reist die Mutter (Aleksandra Corovic) in ihrer Erzählung und auch körperlich in der Zeit zurück. Mit jeder Kleiderschicht, die sie ablegt, verjüngt sie sich nicht nur um 20 Jahre, sie entledigt sich auch scheinbar einer kontrollierenden Last. Der Rhythmus steigert sich. Ihr Sprechen wird freier, unüberlegter – und ehrlicher.
Dramaturgisch ist diese Zeitreise geschickt gewählt: Hass, Verzweiflung, Angst und Sorge werden immer unmittelbarer. Während die alte Mutter es zu Beginn nicht einmal schafft, das Wort „Tod“auszusprechen, kann später – oder früher – die Wut aus ihr herausplatzen.
Traumwandlerisch, präzise
Die Inszenierung von Steve Schmidt zeigt mal humorvoll und mal schockierend ehrlich und schmerzhaft den Umgang mit dem Tod eines geliebten Menschen und stellt auch auf sehr geschickte, musikalisch-ironische Weise Fragen über den Glauben an Gott. In einer traumwandlerischen Jenseitssequenz kommt schließlich auch Marie (Constanze Winkler) selbst zu Wort. Sehenswert ist vor allem Corovic, die mit scheinbar völliger Leichtigkeit und großer Spielfreude präzise die Zeit springen lässt und mit ihrem eindringlichen Blick das Publikum in aufmerksame Stille versetzt. Jubelnder Applaus. Ansehen! Bis 3. 12.