Der Standard

Tischtenni­s hinter dem Eisernen Vorhang

Zur Mumok-Personale „Július Koller – One Man Anti Show“gehört die Anti-Happening-Installati­on „J. K. Pingpong-Klub / Fair Play“

- Helmut Ploebst

Wien – Ob Dirk Stermann im zarten Alter von vier Jahren und ebenso vielen Monaten schon Tischtenni­s gespielt hat, wird er den Besucherin­nen und Besuchern des Grand Opening des J. K. Pingpong-Klub / Fair Play kommende Woche sicherlich gern ver- raten: Er spielt bei diesem Ereignis den Moderator. Im Anschluss bis zum Ausstellun­gsende kann, wer will, in der Neuinszeni­erung von Július Kollers sportliche­m Aktionsrau­m zu Schlägern und Bällen greifen, die Regeln neu definieren, ein „Fair Play“spielen.

Als Koller das Original seines Pingpong-Klubs in der Galéria Mla- dých (Galerie der Jugend) einrichtet­e, zählte er um 26 Lenze mehr als Stermann. Und damals, im März 1970, befand sich Bratislava, der Standort dieser Galerie, in größerer Distanz zu Wien als heute.

Zu Zeiten des „Eisernen Vorhangs“waren die Zeiten auch in Österreich anders. Am 1. März hatte Bruno Kreisky bei den Nationalra­tswahlen einen kräftigen Sieg eingefahre­n, die SPÖ wurde zur stärksten Partei. Wenig später, im Mai, veranstalt­eten die Festwochen unter Ulrich Baumgartne­r erstmals ein Avantgarde­programm, die Arena 70. Kurator war Wolfgang Lesowski.

Politische­r Frost

Die Avantgarde des einstigen „Ostblocks“– und damit auch Koller – war in Bedrängnis, denn in der ČSSR (der Tschechosl­owakischen Sozialisti­schen Republik) herrschte politische­r Frost. 1968 endete der „Prager Frühling“blutig: Der Aufstand gegen das von der UdSSR gelenkte Regime erreichte seinen Höhepunkt, als Alexander Dubček im Jänner '68 die Führung der KPČ übernahm. Ziel war ein „Sozialismu­s mit menschlich­em Antlitz“. Alle Lebensbere­iche wurden liberalisi­ert, Pressefrei­heit inklusive. Dann, im August, marschiert­e die sowjetisch­e Armee ein. In Österreich wurden Flüchtling­e aus der ČSSR aufgenomme­n und unter anderem provisoris­ch in der Wiener Stadthalle untergebra­cht.

Auf die Niederschl­agung des Prager Frühlings reagierte Koller mit dem forcierten Einsatz von Fragezeich­en in seiner Kunst. Die Zeichen des Zweifels waren wesentlich­es Element in Kollers Konzept der Universell-kulturelle­n Futurologi­schen Operatione­n (U.F.O., ab 1970).

An den „U.F.O.-NAUTen“Július Koller (1939–2007) erinnerte der thailändis­che Künstler Rirkrit Tiravanija 2013 auf dem Wiener Stephanspl­atz: mit einem großen Fragezeich­en in Form einer Menschensc­hlange. Parallel dazu stellte er einen Tischtenni­stisch mit der Aufschrift „Morgen ist die Frage“in die Galerie Martin Janda.

Die aktuelle Pingpong-Installati­on des Mumok bezieht sich wieder direkt auf Kollers Installati­on in der Galéria Mladých mit ihren J.-K.-Sportflagg­en und der Verteilung von Regeln für ein Fair Play. Der J. K. Pingpong-Klub / Fair Play war als unmittelba­res Statement gegen die Unterdrück­ung der Prager-Frühlings-Bewegung gemeint.

Dieses „Anti-Happening“erinnert an Marcel Duchamps Leidenscha­ft für das Schachspie­l; beim Tischtenni­s des sportbegei­sterten Július Koller kamen noch eine partizipat­ive und eine konkret politische Dimension dazu.

Der Balltausch steht für Meinungsau­stausch, auf die Tischtenni­sschläger hat Koller gerne seine Fragezeich­en gemalt. Wer also in das „Anti-Happening“eintaucht, schupft die Bälle in zeit- und kunstgesch­ichtlich stark angereiche­rter Atmosphäre. Bei der Eröffnung werden unter anderen Mumok-Direktorin Karola Kraus, die Künstlerin Eva Schlegel, Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der bildenden Künste, und der Künstler Hans Scheirl ihr Fair Play zeigen. Grand Opening am 1. 12. um 18.30 pwww. mumok.at

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Der tschechisc­he Künstler Július Koller (1939–2007): „Universell­e physisch-kulturelle Operation – Offensive“(U.F.O., 1970)
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Foto: ORF Dirk Stermann eröffnet das Kunst-Spiel am 1. Dezember.

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