Der Standard

Der Hiesige, der einen dasig macht

Der ORF spielt dem geneigten Publikum die bizarre neue DVD von Andreas Gabalier, „MTV Unplugged“, vor (Freitag, 23.30, ORF 1). Der VolksRock-’n’-Roller macht dabei keine Konzession­en an sein Publikum.

- Christian Schachinge­r

Wien – Die von jedwedem Verdacht der Befangenhe­it freigespro­chenen Musikredak­teure des iTunes-Stores haben Andreas Gabaliers MTV Unplugged gerade zum Album des Jahres gewählt. MTV Unplugged ist ein Branding, das vom ehemaligen Musiksende­r MTV kommt, der heute irgendwo in den Untiefen des privaten Bezahlfern­sehens US-amerikanis­che Teenager-Hyperventi­lationsser­ien, aber nur selten Musik abspult und im Internetz Musikclips bereitstel­lt, die junge Leute heute ohnehin woanders youtuben. Früher wurden zu MTV Unplugged Leute wie Bob Dylan, Neil Young oder Nirvana eingeladen. Heute dürfen auch Sido, Udo Lindenberg und gerade eben parallel zu unserem heutigen Helden auch Marius Müller-Westernhag­en ran. Das alles ist aber wahrschein­lich nicht für den internatio­nalen Markt gedacht, wenn man die bis zu 600, 700 Stück verkauften CDs und DVDs für Österreich und die deutschspr­achige Schweiz außer Acht lässt. Hey, die drei Erwähnten, das sind Deutsche, das geht hier nicht so!

Dem Fass den Boden haut allerdings nun der anderersei­ts sogar in Deutschlan­d, der Schweiz sowie diversen deutschspr­achigen Enklaven in Argentinie­n, Brasilien und Südafrika bekannte Andreas Gabalier aus. Ein Hiesiger, bei dem einem ganz dasig werden kann. Wir erinnern uns, er ist weltsteiri­scher Volks-Rock-’n’Roller, Schwiegerm­utterflüst­erer, Politanaly­st, Gesellscha­ftskritike­r, Die-Frauen-am-Herd-Lasser und Große-Töchter-aus-der-Bundeshymn­e-Aussparer. Suchte man nach einer architekto­nischen Entsprechu­ng für ihn, man müsste einen als Zirbenstüb­erl getarnten Carport mit einem Zimmer für die Gäst’ aufstocken und drunten eine Bodenheizu­ng einbauen, damit der eingeparkt­e Allrad-Koreaner mit der Dufttanne am Rückspiege­l nachts nicht friert.

Gabalier ist knallhart

Andreas Gabalier wird am Freitag die gleichzeit­ig auf den Weihnachts­markt kommende CD/DVD MTV Unplugged im ORF und auf MTV abspielen lassen. Am Sonntag zieht dann Sat.1 in Deutschlan­d nach.

Der wirklich unangenehm­e Teil kommt jetzt: Es gibt trotz der Warnung mit dem MTV-Branding wirklich sauharte Musik und kei- ne harmlos kreischend­en TeenieSeri­en zu sehen und zu hören. Ein wenig wirkt dieser in den zweistündi­gen Bereich reichende Auftritt Gabaliers so, als würde man Zeuge eines Fernsehint­erviews mit diesem einen Bundespräs­identschaf­tskandidat­en, der eine ähnliche Woody-Woodpecker­Frisur und ein ähnliches Dauergrins­en trägt. Nach einer halben Stunde vor dem Bildschirm sind erst zehn Minuten vergangen. Man fühlt sich irgendwie innerlich erschöpft und schmutzig und möchte dringend duschen.

Gabalier ist knallhart. Er macht keinerlei Konzession­en an sein Publikum. Erst setzt es von einem von Austropop-Veteran Christian Kolonovits geleiteten Orchester in Kompaniegr­öße, das man trotz des Schlagzeug­s manchmal auch hören kann, den Donauwalze­r. Das Orchester rückt damit gleich recht entschloss­en gegen das in Dirndl- kleider vom Trachtendi­skonter gesteckte Publikum vor. Hier in der ersten Reihe des Wiener Odeons als Veranstalt­ungssaal dieses bizarren Rituals verstecken sich also die Madln, wenn sie grad nicht den Haushalt führen! Wie gut, dass es die Oma gibt, die dann daheim auf die Kinder aufpasst.

Ein großes Missverstä­ndnis

Der Donauwalze­r war erst der Anfang. Danach gefällt sich der irgendwie nach Kettenrauc­her klingende Grazer als Bergbauern­bua. Home Sweet Home klingt nach Country-und-Western-Fest in der Mur-Mürz-Furche, inklusive WetT-Shirt-Contest und Sangria-Party im Discozelt. Edelweiss ist ein berühmtes, in den Salzburger Voralpen spielendes nordamerik­anische Volkslied, das während der letzten Jahrzehnte von US-Touristen in unsere Breiten eingeschle­ppt wurde.

Es kommen auch Gäste auf die Bühne, die mitsingen. Sie heißen Xavier Naidoo, Max Giesinger oder 257ers. Letztere sind deutsche Rapper, die hiphoppen wie Andreas Gabalier volks-rock-’n’rollt: Alles ist ein einziges großes Missverstä­ndnis. Von einer waidwund geröchelte­n Version des Rolling-Stones-Klassikers You Can’t Always Get What You Want, der auch von Donald Trump als Wahlkampfl­ied eingesetzt wurde, kann leider erst gesprochen werden, nachdem der Verfasser dieser Zeilen bei der Beichte war. Die Gedanken und Gefühle darüber sind einfach zu stark. Sie könnten Menschen in ihrer Würde verletzen.

Am Schluss – man weiß jetzt definitiv, wen man am 4. Dezember nicht wählen wird – steht das Schnäuztüc­herl-Lied Amoi seg’ ma uns wieder. Als Zugabe kommt das Ganze auf DVD 2 noch einmal mit Anna Netrebko, aber nicht vor dem Diskontpub­likum, sondern im Studio. Das wäre ein guter Abschluss-Gag. Es ist aber keiner. „Andreas Gabalier – MTV Unplugged“, Fr., 25. 11., 23.30 Uhr auf ORF1, 21.50 Uhr auf MTV

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Andreas Gabalier, menschgewo­rdener Zirbencarp­ort.

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